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Der sicherheitspolitische Jahresrückblick auf 2024

Europas Rolle in der globalen Weltordnung

Wie steht es um die globale Sicherheitspolitik? In der Tagung "360 Grad- Der sicherheitspolitische Jahresrückblick auf 2024" analysierten Expertinnen und Experten die Konflikte und sicherheitspolitischen Trends in 2024 und diskutierten zukünftige Szenarien für das Jahr 2025.

Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 15.01.2025

Von: Rebecca Meyer / Foto: Rebecca Meyer

Programm: 360 Grad - Der sicherheitspolitische Jahresrückblick auf 2024

360 Grad - Der sicherheitspolitische Jahresrückblick auf 2024

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"Europa muss aufhören, der letzte naive Kontinent zu sein", erklärt Benedikt Franke, CEO der Münchner Sicherheitskonferenz. Er beschreibt damit eine grundlegende Schwäche Europas: die Unfähigkeit, in einer multipolaren Welt entschlossen zu handeln und strategisch zu agieren. Während autoritäre Mächte wie Russland und China gezielt ihre Interessen verfolgen, verharre Europa in einem Zustand zwischen wirtschaftlichen Abhängigkeiten und mangelnder Resilienz. Dabei stünde der Kontinent vor großen Herausforderungen: Der Krieg in der Ukraine, die zunehmende Rivalität zwischen Großmächten und neue technologische Entwicklungen könnten die globale Sicherheitsarchitektur unter Druck setzen. Wie also kann Europa widerstandsfähiger werden und welche sicherheitspolitischen Szenarien könnten uns im kommenden Jahr erwarten? Diese Fragen haben Fachleute in der Tagung "360 Grad - Der sicherheitspolitische Jahresrückblick auf 2024" der Akademie für Politische Bildung beleuchtet.

Geopolitische Spannungen im Jahr 2024

Der Kernkonflikt, der die internationale Sicherheitsarchitektur prägt, sei der Systemkonflikt zwischen den Befürwortern einer regelbasierten internationalen Ordnung und jenen, die diese gezielt zu erodieren versuchen, erklärt Franke. Europa habe in diesem Konflikt noch keine klare Rolle gefunden. Statt bewusst und gezielt zu handeln, strebe der Kontinent danach, sich als Brücke zwischen den Großmächten zu positionieren – eine Strategie, die langfristig nicht tragfähig sei. Bedenklich sei vor allem Europas wirtschaftliche Abhängigkeit von China, insbesondere in Schlüsselbereichen wie der grünen Transformation: "92 Prozent aller seltenen Erden, die wir für Photovoltaik und andere Schlüsseltechnologien benötigen, kommen aus China", sagt Franke. Zudem fehle es Europa an Resilienz. Während die USA systematisch Verwundbarkeiten analysieren und Strategien entwickeln würden, um ihre Gesellschaft und Wirtschaft widerstandsfähiger zu machen, mangele es Europa an einer vergleichbaren Herangehensweise. "Wir denken nicht nach vorne", kritisiert Franke.

Diese Untätigkeit gefährde nicht nur die europäische Sicherheit, sondern auch das Vertrauen in die internationale Ordnung, die zunehmend als ungerecht wahrgenommen werde. "Immer mehr Länder glauben, dass die regelbasierte Ordnung nicht für sie funktioniert", betont der CEO der Münchner Sicherheitskonferenz. Autoritäre Mächte wie Russland und China würden diese Unzufriedenheit gezielt nutzen, um den globalen Süden gegen den Westen zu mobilisieren. Besonders die Doppelmoral des Westens im Umgang mit Menschenrechten und Sanktionen biete diesen Kräften eine effektive Waffe, um die westliche Ordnung weiter zu destabilisieren. Beispielsweise werde oft betont, dass die demokratischen Werte wie Menschenrechte universell gelten müssten, während westliche Staaten sich in der Realität nicht immer an ihre eigenen Prinzipien halten würden. Menschenrechtsverletzungen in autoritären Staaten wie China und Russland würden sanktioniert werden, während ähnliche Fälle in strategischen Partnerländern ignoriert würden. Diese Inkonsistenz untergrabe die Glaubwürdigkeit des Westens und könnte die internationale Ordnung unfair und heuchlerisch wirken lassen. Franke bezeichnet dies als die "Achillesferse" Europas und warnt eindringlich vor den langfristigen Folgen.

Der CEO fordert außerdem eine umfassende Zeitenwende, die weit über militärische Reformen hinausgehen müsse. Europa müsse strategisch und wirtschaftlich unabhängiger werden, was insbesondere eine Reduzierung der Abhängigkeit von China erfordere. „Wir brauchen eine Suche nach neuer Stärke, statt an alter Stärke festzuhalten", betont er. Dies bedeute nicht nur eine Diversifizierung der Lieferketten, sondern auch gezielte Investitionen in alternative Produktionsstandorte – insbesondere im globalen Süden. Darüber hinaus müsse Europa verstärkt Zukunftsfelder wie die Quantenforschung, künstliche Intelligenz und Biotechnologie erschließen, um global wettbewerbsfähig zu bleiben.

Worst-Case-Szenarien für 2025

Die strategischen Defizite Europas würden oft zu einer Handlungsunfähigkeit des Kontinents führen, sagt Konstantin Tsetsos vom Institut für Strategie und Vorausschau. Ein nicht resilientes Europa sei besonders anfällig für ungünstige sicherheitspolitische Entwicklungen. Er stellt fünf Worst- Case- Szenarien für das Jahr 2025 auf:

  1. Ein russischer Sieg in der Ukraine: Russland könnte die Ukraine östlich des Dnipro besetzen, die West-Ukraine infolgedessen demilitarisieren und als Pufferzone nutzen. Das würde die europäische Sicherheitsarchitektur erschüttern und die NATO schwächen. Zudem bestünde dann die Gefahr, dass Moskau weitere aggressive Schritte gegen Nachbarstaaten unternimmt, während autoritäre Regime weltweit gestärkt werden würden.
  2. Instabilität in der Sahelzone und Nordafrika: Russland und China könnten ihren Einfluss in der Region ausbauen, während lokale Instabilität und Putsche zunähmen. Diese Entwicklungen würden nicht nur zu zunehmenden Migrationsbewegungen in Richtung Europa führen, sondern auch die gesamte Sicherheit und Stabilität der südlichen Nachbarschaft gefährden. Dazu gehören unter anderem die Länder Nordafrikas wie Algerien, Libyen, Tunesien und Ägypten sowie die Staaten der Sahelregion wie Mali und Niger. Die EU könnte ihren Einfluss in der Region verlieren.
  3. Ein Krieg zwischen dem Westen und Iran: Eine israelische Offensive gegen die Hisbollah könnte zu einem Krieg mit dem Iran eskalieren, was die Energieversorgung Europas gefährden und neue Fluchtbewegungen auslösen würde.
  4. Ein Konflikt um Taiwan: Ein militärischer Konflikt zwischen den USA und China könnte die globalen Lieferketten stören und Europas Wirtschaft erheblich treffen. Europa wäre gezwungen, sich geopolitisch klarer zu positionieren, was interne Spannungen innerhalb der EU verschärfen könnte.
  5. US-Isolationismus unter der neuen Trump-Administration: Eine verstärkte "America First"-Politik könnte die NATO schwächen und Europa zwingen, erheblich mehr Verantwortung für die eigene Verteidigung zu übernehmen. Dies könnte bestehende politische Spannungen innerhalb der EU vertiefen und die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten erschweren.

Für sich genommen, stelle bereits jedes einzelne Worst-Case-Szenario die europäische und deutsche Sicherheit und den gesellschaftlichen Zusammenhalt vor enorme Herausforderungen. Sollten mehrere Worst-Case-Szenarien zeitgleich eintreten, hätte dies weitreichende (sicherheits-)politische, ökonomische und soziale Implikationen zur Folge, die sich kaum bewältigen lassen dürften, warnt Tsetsos.

Sicherheit im Weltraum: eine neue Dimension der Bedrohung

Zusätzlich gebe es weitere Konflikte und Bedrohungen, die nicht im Fokus der medialen Öffentlichkeit stehen und damit leicht übersehen werden. Das sei unter anderem die Sicherheit im Weltraum, erklärt Antje Nötzold von der Technischen Universität Dresden. Sie verdeutlicht, wie essenziell satellitengestützte Technologien für die moderne Zivilgesellschaft, aber auch für militärische Operationen geworden seien. Die Zahl der aktiven Satelliten im Orbit habe in den vergangenen Jahren exponentiell zugenommen. Während es im Jahr 2010 etwa 1.000 aktive Satelliten im All gab, waren es im Mai vergangenen Jahres bereits über 10.000, erklärt Nötzold. Prognosen zufolge könnte diese Zahl bis Ende des Jahrzehnts auf bis zu 70.000 steigen. Diese Entwicklung werde vor allem durch die Kommerzialisierung des Weltraums und die massive Ausweitung von Megakonstellationen wie Starlink vorangetrieben. Das diene unter anderem der globalen Internetabdeckung, führe jedoch auch zu einer zunehmenden Überfüllung des niedrigen Erdorbits, führt Nötzold aus. Damit steige dann auch das Risiko für Kollisionen der Satelliten und führe zu mehr Weltraumschrott. Bereits heute müssen Satelliten wie die Starlink-Systeme täglich hunderte automatisierte Ausweichmanöver durchführen, um Zusammenstöße zu vermeiden.

Gleichzeitig seien Satelliten mittlerweile kritische Infrastruktur für Kommunikation, Navigation und Aufklärung – Bereiche, die auch für moderne Militärstrategien unverzichtbar geworden sind. Die zunehmende Militarisierung des Weltraums, etwa durch Anti-Satelliten-Waffen oder Cyberangriffe, stelle eine neue und ernsthafte Bedrohung dar, sagt Nötzold. Das mache den Weltraum zu einem strategischen Schlachtfeld, in dem nicht nur Staaten, sondern auch private Akteure um Kontrolle und Ressourcen konkurrieren würden. Gezielte Angriffe auf Satelliten könnten die wirtschaftliche und militärische Handlungsfähigkeit ganzer Nationen lahmlegen. Nötzold fordert eine stärkere internationale Zusammenarbeit, um klare Regeln für den Weltraum zu etablieren und den Zugang zu diesem kritischen Bereich nachhaltig zu sichern. Nur durch eine koordinierte Astropolitik könne verhindert werden, dass der Weltraum zu einem weiteren unregulierten und umkämpften Bereich werde, der globale Sicherheitsrisiken weiter verschärft.

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