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Alternde Gesellschaft

Wie der demografische Wandel Japans Demokratie verändert

Japan ist bekannt für seinen Respekt älteren Menschen gegenüber, für seine höfliche und pazifistische Gesellschaft. Doch was passiert eigentlich, wenn die Alterung der Bevölkerung zum Problem wird? Und kann die Zivilgesellschaft mit dem Generationenkonflikt und dem Dilemma der politischen Legitimität umgehen? Die Tagung "Das demokratische Asien: Japan und seine Nachbarn im Kontext internationaler Politik" setzte sich mit der japanischen Demokratie und Zivilgesellschaft auseinander.

Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 27.12.2024

Von: Mirela Zagrean / Foto: Mirela Zagrean

Programm: Das demokratische Asien

Das demokratische Asien: Japan und seine Nachbarn im Kontext internationaler Politik

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"Japan ist in verschiedener Hinsicht ein besonderer Fall, aus dem sich lernen lässt", sagt Werner Pascha von der Universität Duisburg-Essen. Bekannte Herausforderung, wie die Alterung der Gesellschaft und die damit verbundenen demografischen Herausforderungen, sind nämlich nicht nur für Europa problematisch. Auch Japan kämpft mit dem gesellschaftlichen Wandel, mit dem Fach- und Arbeitskräftemangel und schwierige Sicherheits- und Wirtschaftsentwicklungen einhergehen. In der Tagung "Das demokratische Asien: Japan und seine Nachbarn im Kontext internationaler Politik" diskutierten Fachleuten über den Inselstaat, seine Wirtschaft, Sicherheitslage und Politik.

Japans Demokratie und der demografische Wandel

Weltweit altern Demokratien und Japan ist die Demokratie mit der ältesten Wählerschaft: 29% der japanischen Bevölkerung ist älter als 64 und der Anteil der 75-Jährigen wird sich in den nächsten 50 Jahren sogar noch verdoppeln. Was bedeutet diese Bevölkerungsstruktur für die demokratischen Prozesse des Landes? Yosuke Buchmeier von der Ludwig-Maximilians-Universität München sieht drei zentrale Punkte beeinflusst: Partizipation, Repräsentation und negative Entwicklungen in der Politikgestaltung.

Die jüngeren Generationen seien schon jetzt unterrepräsentiert. Während im Jahr 2020 57% der Wählerschaft über 50 war, verschärfe sich das Szenario bis 2060 drastisch. Die Forschung prognostiziere, dass 68% der Wähler über 50 sein werde und damit nur 32% jünger als 50. Dementsprechend wäre auch eine niedrigere Wahlbeteiligung seitens der Wählergruppe zwischen 20 und 29 Jahren zu erwarten. Durch dieses sogenannte "Malapportionment" entstehe eine verzerrte Zuteilung von Bevölkerung, Bezirken und Stimmen.

Dieser Partizipationseffekt beeinflusse auch die Zahl der Repräsentanten unmittelbar. Jüngere Generationen hätten dann eine numerische Minderheit im Parlament, Regierungskabinett und als direkte Kandidaten. Die Hürden, um in der Politik als Repräsentant aufzutreten, seien in Japan struktureller und kultureller Art. Aufgrund des passiven Wahlrechts, der zu hohen Wahlkaution und der 3 Bans (Unterstützung von lokalen Gruppen, Publicity und finanzielle Ressourcen) hätten junge Menschen schon jetzt Schwierigkeiten sich aktiv in der Politik zu engagieren.

Besonders im Bereich der Sozial-, Umwelt- und Fiskalpolitik sieht Buchmeier keine ausreichende Berücksichtigung der Bedürfnisse junger Wähler. Die aktuelle Sozialpolitik Japans orientiere sich mehr an Rentnern, anstatt Familien und Kinder zu unterstützen. Trotz der internationalen Mobilisierung für Umweltpolitik, bekäme Klimaschutz in Japan wenig bis kaum Aufmerksamkeit in Wahlkampagnen und politische Debatten. Darüber hinaus habe Japan mit mehr als 250% des BIPs außergewöhnlich hohe Staatsschulden. Dennoch gäbe es keine Schuldenbremse und eine Umkehr sei auch nicht zu beobachten: die Schulden würden jedes Jahr mehr und damit zu einer finanziellen Last für kommende Generationen werden.

Politische Legitimität in einer alternden Gesellschaft

Diese Partizipations- und Repräsentationseffekte sowie die Entwicklungen in der Politikgestaltung verdeutlichen das Dilemma der politischen Legitimität in einer alternden Demokratie. Der Bedarf nach Generationenpluralismus sei groß – Japan und andere alternde Demokratien bräuchten eine ausgewogenere Vertretung aller Generationen und eine gerechte und faire Verteilung der politischen Macht. Vor allem das Verhältniswahlrecht scheine der proportionalen Repräsentation jedoch langfristig nicht mehr gerecht zu werden. "Genügt das Verhältniswahlrecht noch den heutigen demokratischen Ansprüchen an Pluralismus und Generationengerechtigkeit?", fragt der Japanologe Buchmeier. Nicht wirklich, wäre die Antwort.

Die bisherigen Lösungsansätze der Wissenschaft richteten sich nach den Wahlsystemen. Ein Vorschlag wäre ein Familienwahlrecht einzuführen. Den Eltern würde als Stellvertreter für ihre noch nicht wahlberechtigten Kinder eine zusätzliche Stimme zugewiesen und damit denjenigen eine Stimme verliehen, die am längsten mit den politischen Entscheidungen zu leben haben. Auch demografische Anpassungen der Wahlbezirke und Quotenregelungen werden diskutiert. Im Zentrum stünde aber die politische Bildung: "Junge Generationen bräuchten mehr politische Bildung für die Mündigkeit zum Wählen!", stellt Buchmeier fest. In Japans Schulen und Universitäten gäbe es keine politische Bildung, zumindest nicht wie wir sie in Deutschland kennen. Japanische Schüler und Studenten würden eher frontal unterrichtet und seien deswegen kaum in der Lage, sich eine eigene politische Meinung zu bilden und auszudrücken.

Aktivismus in der japanischen Zivilgesellschaft

Nicht nur die Alterung der Bevölkerung, sondern auch die Beweggründe der Zivilgesellschaft offenbaren gesellschaftliche Herausforderungen. Doch politischer Aktivismus wird in Japan nicht gerne gesehen. "In Japan überlegen es sich Leute doppelt und dreifach, ob sie zu einer Demo gehen", erklärt Anna Wiemann von der Ludwig-Maximilians-Universität München. Das hänge zum einen mit westlichen Klischees der Höflichkeit und dem Pazifismus der Japaner zusammen, zum anderen hätten ältere Generationen Angst sich explizit zu positionieren. Auch für jüngere Menschen sei es nicht einfach: Aktivismus sei kriminalisiert und negativ konnotiert.

Die Rolle und Wirksamkeit des Aktivismus der japanischen Zivilgesellschaft werde unterschiedlich bewertet: einerseits gäbe es die Auffassung, dass den aktivistischen Gruppierungen kaum Zugang zum politischen Prozess gewährt würde und sie damit wenig Bedeutung hätten. Andererseits spreche man ihnen herausragendes soziales Kapital im Zusammenhang mit ihren kooperativen Verbindungen zu Staat und Wirtschaft und damit die Möglichkeit zur Einflussnahme zu. Insgesamt beobachtet die Japan-Forscherin eine Reifung der Gesellschaft seit 1995. Die sichtbaren sozialen Bewegungen seit 1945 hätten die Wahrnehmung einer schwachen Zivilgesellschaft in Japan verschoben.

Protestzyklen in Japan

In der Nachkriegszeit beginnen zum Beispiel die Anti-Atom, Umwelt- und Friedensbewegungen, die in den 60er-Jahren ihren Höhepunkt erfahren. Zwischen 1970 und 2010 würden hingegen wenige aktivistische Aktivitäten erfasst werden. Allerdings setzten sich mit internationalem Druck Minderheiten- und Frauenbewegungen durch. Ab 2011 und 2012 mache sich eine erneute Steigerung von Aktivismus bemerkbar. Infolge der Dreifachkatastrophe 2011 habe es viele und langanhaltende Proteste gegeben. Darüber hinaus hätten sich sogenannte Spin-Off Bewegungen entwickelt, die sich gegen das Geheimschutzgesetz, der Neuinterpretation des Friedensartikels und Hate-Speech positionierten.

Aufgrund dieser Entwicklungen sei die Zivilgesellschaft laut Wiemann alles andere als schwach. Die Japanologin sieht großes Potenzial: die erfolgreiche Mobilisierung und Vernetzung zusammen mit der Professionalität der Proteste sei ein wichtiges Signal für Japans Gesellschaft. Problematischer sei hingegen die politische Situation vor Ort: Konservative Regierungen dominierten und stünden der Zivilgesellschaft ablehnend gegenüber. Aber: "Ich sehe einen Hoffnungsschimmer. Ich sehe einen Wandel im politischen Bewusstsein!", betont Wolfgang Bockhold von der Deutsch-Japanischen Gesellschaft.

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