Die gesellschaftliche Verantwortung der Unternehmen
So sieht die Praxis der Antisemitismusprävention aus
Braucht es eine neue Bereitschaft seitens Unternehmen sich über die reine Wirtschaftstätigkeit hinaus zu engagieren? Heutzutage muss man sagen: ja. Denn die krisenbehaftete Welt, in der wir leben, erfordert eine resiliente, dynamische und reaktionsfähige Wirtschaft. Die Tagung "Von Demokratieförderung bis zu sozialem Ausgleich? Die gesellschaftliche Verantwortung der Wirtschaft" der Akademie für Politische Bildung und der Stiftung Wertebündnis Bayern diskutierte mit Fachleuten aus Wissenschaft und Wirtschaft über die gesellschaftlichen Verpflichtungen der Wirtschaft.
Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 09.12.2024
Von: Mirela Zagrean / Foto: Mirela Zagrean
Programm: Von Demokratieförderung bis zu sozialem Ausgleich?
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"Wollen wir, dass unsere Demokratie unter Beschuss steht?", fragt Markus Scholz von der TU Dresden. Natürlich nicht. Um die Demokratie zu schützen, bedarf es jedoch einer gesamtgesellschaftlichen Anstrengung - und auch Unternehmen spielen dabei eine zentrale Rolle. Sie tragen eine gewisse gesellschaftliche Verantwortung, die unter anderem durch klare Positionierung, Entscheidungen und Maßnahmen ausgedrückt wird. Beispiele sind eine sozial orientierte Führung, Klimaschutz, Demokratieförderung und Antisemitismusprävention. Aber inwieweit sind Unternehmen zum Beispiel für die Antisemitismusprävention verantwortlich und wie sieht die Praxis aus? Die Tagung "Von Demokratieförderung bis zu sozialem Ausgleich? Die gesellschaftliche Verantwortung der Wirtschaft" der Akademie für Politische Bildung und der Stiftung Wertebündnis Bayern hinterfragte die gesellschaftlichen Pflichten der Wirtschaft.
Die neue Dimension der Wirtschaft: ihre gesellschaftliche Verantwortung für die Demokratie
Früher waren Unternehmen rein wirtschaftlich ausgerichtet. Neuerdings zeigen sie allerdings eine große Offenheit gegenüber gesellschaftlichen Themen. Sie mischen sich gar in politische Debatten ein. Die lange dagewesene Entkoppelung der Bereiche Wirtschaft, Gesellschaft und Soziales beruhte auf der Annahme, dass Unternehmen nur Profit generieren müssen, während NGOs und öffentliche Institutionen, die sich mit sozialen Themen beschäftigen, not-for-profit arbeiten. Gewinn und gesellschaftliche Verantwortung wurden hart getrennt voneinander gesehen. Die Zuständigkeiten waren klar definiert: Unternehmen müssen erwirtschaften, andere Organisationen sich gesellschaftlich engagieren. Heutzutage jonglieren Unternehmen jedoch mit ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Aspekten. Es geht inzwischen also nicht nur um Profitmaximierung, sondern vielmehr darum, einen Beitrag zu gesellschaftlichen Spannungsfeldern zu leisten. Die gesellschaftliche Verantwortung und das Unternehmertum wachsen immer mehr zusammen.
Markus Scholz von der TU Dresden führt diese Entwicklung auf zwei Phänomene zurück. Eine erste Welle gehe von der 2008 ausgebrochenen Finanzkrise aus, die zweite Welle von der intensiveren Auseinandersetzung mit Umweltthemen. Die politische Neutralität der Wirtschaft wurde infrage gestellt. Schrittweise bekämen sie immer mehr gesellschaftliche Verantwortung übertragen. Aktuelle Trends wie der Personalmangel und die zunehmende Polarisierung der Gesellschaft forderten die Wirtschaft zusätzliche heraus. Kriege, Umweltkatastrophen, Inflation und Migration schürten Angst und Unsicherheit in der Bevölkerung und beeinflussten maßgeblich die Regulierung und Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen. Auch das Erstarken populistischer Kräfte und der weltweite Verfall von Demokratien gefährdeten die wirtschaftlichen Standorte. Das Fundament für eine erfolgreiche Wirtschaft, nämlich eine freie und offene Gesellschaft, scheine zu bröckeln.
Was jetzt? Wie sollten Unternehmen darauf reagieren? Scholz sieht zwei mögliche Optionen: weiter machen wie bisher oder sich positionieren. Unter dem Motto "continuing business as usual" wäre eine weiterhin harte Trennung zwischen Wirtschaft und Politik zu verstehen. Mit klarer Positionierung hingegen meint Scholz, dass sich Unternehmen aktiv für die Demokratie einsetzen müssten. "Wirtschaftsführer sind auch Bürger. Bürger müssen den Mund aufmachen und sich äußern im Bewusstsein des großen Privilegs, in einer Demokratie zu leben. Es braucht wachsame Bürger, die auf der Hut sind und sich Gehör verschaffen, wenn sich eine Krise der liberalen Demokratie abzeichnet. Ohne wehrhafte Demokratie ist eine Demokratie nicht zu machen" lautet die Position des BWL-Professors. Unternehmer seien davon nicht ausgenommen. Neben der Demokratieförderung könnten Unternehmen ihre gesellschaftliche Verantwortung zum Beispiel durch sozial orientierte Führung, Klimaschutz oder Antisemitismusprävention ausdrücken.
Antisemitismusprävention im Unternehmen
"Seit dem 7. Oktober 2023 hat sich alles geändert. Antisemitismus ist zwar zum Alltag geworden, trotzdem ist es nicht hinnehmbar!", sagt Ludwig Spaenle, Beauftragter für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus, für Erinnerungsarbeit und geschichtliches Erbe. Seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel sei die Hemmschwelle zum Judenhass drastisch gesunken. Erstaunlicherweise hätten sich aber viele Unternehmen vor diesem Hintergrund eindeutig positioniert. "Die Tatsache, dass sich CEOs politisch positionieren und Unternehmen Geld dafür ausgeben, ist neu. Das gab es in diesem Ausmaß bisher noch nicht. Das sind ganz neue Schritte!", berichtet Spaenle.
Wie können und sollen Unternehmen bei Antisemitismus agieren? Arbeitnehmer verbrächten im Schnitt ein Drittel ihrer Zeit am Arbeitsplatz. Spaenle betont, es sei wichtig Antisemitismus dort zu bekämpfen, wo Menschen arbeiten und regelmäßig miteinander interagieren. Die Antisemitismusprävention solle dabei auf Augenhöhe stattfinden – "nicht mit dem moralischen Finger", erklärt Spaenle. Darüber hinaus sollten Netzwerke erschaffen und vorangetrieben werden. Noch fehle es zwar an konkreten praxisorientierten Instrumenten und einer umfassenden wissenschaftlichen Forschung, dennoch gäbe die bewusstere Auseinandersetzung seitens der Unternehmen Hoffnung. Die Initiative "Nie wieder ist jetzt" sei ein Paradebeispiel für ein solches Engagement der Wirtschaft in Deutschland. Über 100 Unternehmen, sowohl DAX-Konzerne, also auch mittelständische Unternehmen, riefen in der Kampagne auf, am Arbeitsplatz und im Alltag, Solidarität gegenüber Jüdinnen und Juden zu zeigen und gegen Gewalt und Hass Stellung zu beziehen. Auch viele Wirtschaftskammern und -verbände hätten sich aktiv gegen Antisemitismus ausgesprochen.
Das Unternehmen der Achtung
Aber wie sieht Antisemitismusprävention konkret aus? Mit dem Ziel den interkulturellen und interreligiösen Dialog zu fördern bietet die Europäische Janusz Korczak Akademie ein umfassendes Bildungsangebot für unterschiedliche Zielgruppen an. Unternehmen können zum Beispiel das Bildungspaket "Unternehmen der Achtung" absolvieren. "Antisemitismus ist keine neue Erscheinung. Es ist wichtig proaktiv zu werden. Die Mauern müssen aufgeweicht werden", sagt Eva Haller, Präsidentin der Europäische Janusz Korczak Akademie. Das Projekt helfe deshalb mit Übungen zur Selbstakzeptanz und -verantwortung. Ausgehend von den drei Säulen 1) Konfliktmanagement, 2) Kennenlernen des jüdischen Lebens als Prävention des Antisemitismus und 3) Medienkompetenz gehe es darum, Wertschätzung, Partizipation und vorurteilsfreies Miteinander in den Arbeitsalltag zu integrieren und zu erproben.
In diesem Rahmen sollen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer lernen, eine offene und respektvolle Kommunikationskultur im Team und nach außen zu pflegen, mit Ich-Botschaften, Selbstoffenbarung und Selbstreflexion. Diese sollen durch Verschriftlichung routiniert werden. Außerdem kämen multisensuelle und interaktive Lernmethoden zum Einsatz, wie z.B. die Schatztruhe Judaika, immersive VR-Erfahrungen in einem jüdischen Dorf oder ein Kartenspiel gegen Verschwörungsmythen. Die Quintessenz des "Unternehmens der Achtung" bestehe darin, gemeinsam die jüdische Kultur kennenzulernen, die interkulturelle Kompetenz auszubauen und die Teamdynamik zu verbessern. Allerdings sei Fingerspitzengefühl nötig: "Man muss langsam anfangen und nicht mit der Tür ins Haus fallen", präzisiert Haller.
Es brauche trotz allem Engagement noch viel Sensibilisierungsarbeit, reflektieren Haller und Spaenle. Unternehmen seien zwar offen sich beispielsweise für Demokratieförderung, Diskriminierung, bessere Arbeitsbedingungen oder Klimaschutz einzusetzen. Wenn aber Antisemitismus angesprochen wird, glaubten die meisten fälschlicherweise im eigenen Unternehmen keine Probleme damit zu haben. Antisemitismusprävention bedeute in erster Linie die Wahrnehmung für Judenhass zu schärfen und die Bereitschaft sich damit auseinanderzusetzen zu aktivieren. Durch klare Positionierungen gegenüber antisemitischen Haltungen würden Unternehmen zeigen, dass sie ihre gesellschaftliche Verantwortung ernst nehmen.