Populismus als Prüfstein der Demokratie
Wie populistische Bewegungen die Grundlagen liberaler Demokratien infrage stellen
Der Populismus ist in den vergangenen Jahrzehnten ein fester Bestandteil der politischen Landschaft geworden - und erweist sich als anpassungsfähig und zäh. Doch kann die Demokratie dem modernen Populismus standhalten? Das haben Expertinnen und Experten in der Tagung "Populismus - Nationalismus - Euroskeptizismus: Politische Instrumentalisierung gesellschaftlicher Verunsicherung" der Akademie für Politische Bildung diskutiert.
Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 03.12.2024
Von: Rebecca Meyer / Foto: Rebecca Meyer
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"Auch Menschen, die populistische Parteien wählen, glauben, dass sie die Demokratie retten – sie haben nur eine andere Vorstellung davon, was Demokratie eigentlich bedeutet", sagt Marcel Lewandowsky von der Helmut-Schmidt-Universität. Er verdeutlicht damit das zentrale Paradox des modernen Populismus: Während populistische Bewegungen sich als Verteidiger demokratischer Werte inszenieren, stellen sie die eigentlichen Grundprinzipien der liberalen Demokratie infrage - darunter die Gewaltenteilung, eine unabhängige Justiz, den Schutz von Minderheiten, die freie Presse und die Anerkennung von Pluralismus als grundlegendes Element demokratischer Gesellschaften. Seit 1990 hat der Populismus in Europa an Boden gewonnen. Besonders rechtspopulistische Bewegungen haben ihre Wahlergebnisse stetig gesteigert. In manchen Ländern, wie Ungarn oder Polen, veränderten sie nachhaltig die politischen Systeme. Wo populistische Akteure an Einfluss gewinnen, da gerät die liberale Demokratie unter Druck - ein Trend, der sich nicht mehr ignorieren lässt. Doch was genau macht den Populismus so erfolgreich und inwiefern ist die Demokratie dagegen gewappnet? Darüber haben Fachleute in der Tagung "Populismus - Nationalismus - Euroskeptizismus: Politische Instrumentalisierung gesellschaftlicher Verunsicherung" der Akademie für Politische Bildung diskutiert.
Die Funktionsweise des Populismus
Populismus wird oft als bloße Strategie oder Demagogie beschrieben, doch diese Perspektive greife zu kurz, erklärt Lewandowsky: Populismus sei eine eigenständige Ideologie, die tiefgreifende Vorstellungen von Demokratie und Volkssouveränität beinhaltet. Der Kern des populistischen Denkens sei die Betonung eines "wahren Volkswillens", der direkt umgesetzt werden soll. Diese hyperdemokratische Vorstellung stellt die institutionellen Begrenzungen liberaler Demokratien – wie Verfassungsgerichte oder die Gewaltenteilung – infrage und sieht sie als Hindernisse für die "echte" Demokratie. Lewandowsky bezieht sich dabei auch auf den Populismusforscher Cas Mudde, der diese Dynamik als eine "illiberale, demokratische Antwort auf undemokratischen Liberalismus" beschreibt. Populistinnen und Populisten sehen sich als wahre Demokraten, die die Meinungsfreiheit und die Rechte des Volkes verteidigen. Der populistische Diskurs zeichne sich durch eine klare Dichotomie aus: "Wir hier unten" gegen "die da oben". Das Volk wird dabei als moralisch überlegen gesehen, während die Eliten als korrupt und abgehoben gelten. Dieser Anti-Elitismus untergräbt das Vertrauen in die etablierten Institutionen. Gleichzeitig wird das Volk oft exklusiv definiert – insbesondere im Rechtspopulismus, wo sich das Narrativ auf die Ausgrenzung von Gruppen stützt, die als "kulturfremd" oder "nicht zugehörig" wahrgenommen werden. Lewandowsky betont, dass viele Anhängerinnen und Anhänger populistischer Bewegungen diese nicht nur aus Protest, sondern aus einer gemeinsamen Überzeugung wählen würden. Die Anziehungskraft des Populismus läge in seiner Fähigkeit, sowohl sozioökonomische als auch kulturelle Unsicherheiten anzusprechen. Menschen, die sich wirtschaftlich abgehängt und in ihrer Existenz bedroht fühlen, fänden in populistischen Parteien eine Stimme für ihre Sorgen. Viele Bürgerinnen und Bürger würden nach einfachen Antworten und klaren Schuldzuweisungen suchen – und beides häufig bei populistischen Parteien entdecken.
Ann-Kathrin Reinl vom European University Institute betont, wie eng populistische Bewegungen mit anderen Phänomenen wie Euroskeptizismus und Nationalismus verknüpft sind. Besonders die Kritik an der Europäischen Union – oft als "entfremdete Elite" dargestellt – ist für viele populistische Parteien ein zentraler Bestandteil ihrer Rhetorik. Reinl unterscheidet dabei zwischen "hartem Euroskeptizismus", der die EU grundsätzlich ablehnt, und "weichem Euroskeptizismus", der sich auf Kritik an spezifischen Politiken beschränkt. Populistische Akteure würden sich beide Formen zunutze machen, um ihre Forderungen nach mehr nationaler Souveränität zu untermauern. Dieses Narrativ habe besonders seit den 1990er Jahren an Bedeutung gewonnen, etwa im Kontext des Vertrags von Maastricht und späterer Krisen wie der Euro- und der sogenannten Migrationskrise.
Die digitale Revolution als Katalysator des Populismus
Die Digitalisierung habe den populistischen Akteuren neue Werkzeuge an die Hand gegeben, um ihre anti-elitär geprägte Rhetorik zu verbreiten. Mithilfe von Social Media würden populistische Parteien ihre Reichweite gezielt maximieren. Dort können sie ihre Botschaften ohne den Filter der traditionellen Medien verbreiten und direkt mit ihren Anhängerinnen und Anhängern kommunizieren. Die Digitalisierung habe die Rhythmen der Kommunikation grundlegend verändert und den populistischen Akteurinnen und Akteuren neue Möglichkeiten eröffnet, erklärt Jasmin Siri von der Ludwigs-Maximilians-Universität München. Social Media reduziere komplexe Themen auf emotional aufgeladene Schlagworte und verschiebe den Fokus auf Provokation und Polarisierung. Anders als traditionelle Parteien, die oft an ideologische Konsistenz gebunden sind, können populistische Strömungen ihre Inhalte und Strategien anpassen, um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit aufrechtzuerhalten. Siri betont, dass die Fähigkeit der Populistinnen und Populisten, schnell und effektiv auf gesellschaftliche Stimmungen zu reagieren, sie zu besonders starken Akteuren in der digitalen Arena mache.
Die Unhaltbarkeit der Demokratie: Ein Warnsignal
Die Gründe für die Anfälligkeit liberaler Demokratien gegenüber populistischen Bewegungen lägen jedoch nicht allein in der neuen Medienlandschaft, sagt Ingolfur Blühdorn. Er analysiert in seinem Buch "Unhaltbarkeit: Auf dem Weg in eine andere Moderne", wie die inneren Widersprüche und strukturellen Schwächen demokratischer Systeme selbst dazu beitragen, dass die Demokratie schwächer werde. Diese von ihm als "doppelte Unhaltbarkeit" bezeichnete Diagnose beleuchtet, wie die Demokratie nicht nur mit äußeren Herausforderungen wie Globalisierung, Klimawandel und Digitalisierung, sondern auch mit ihren eigenen inneren Spannungen ringt. Ein Beispiel: der Konflikt zwischen der Forderung nach maximaler Volkssouveränität und den Schutzmechanismen liberaler Demokratien. Populistische Bewegungen würden diese Widersprüche gezielt ausnutzen, indem sie die Unzufriedenheit über die vermeintlich eingeschränkte Handlungsfähigkeit demokratischer Institutionen für sich mobilisieren. Dadurch, dass die Herausforderungen, vor denen die Demokratie stehe, nicht nur von außen komme, sei die Antwort nicht eine einfache Verteidigung bestehender Strukturen, sondern eine kritische Reflexion über die Funktionsweise und Werte demokratischer Systeme. Der Soziologe geht noch weiter und warnt vor einer möglichen "neuen Moderne", die jenseits zentraler Werte wie Mündigkeit und Partizipation liegt. Diese Zukunft könnte geprägt sein von Systemen, die Effizienz und Kontrolle über die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger stellen. Populistische Bewegungen scheinen genau zu dieser Entwicklung beizutragen, indem sie bestehende Strukturen schwächen, ohne langfristig tragfähige Alternativen zu bieten. Die Gefahr liege darin, dass Demokratien ihre emanzipatorische Kraft verlieren und sich in technokratische oder autoritäre Modelle verwandeln könnten, die die zentralen Elemente liberaler Demokratien – wie Freiheit, Pluralismus und Partizipation – aufgeben. Populismus sei aber nicht nur eine Bedrohung, sondern auch eine Chance, um die Schwächen der Demokratie zu erkennen und anzugehen. Die Herausforderung bestehe darin, eine Balance zwischen Veränderung und Kontinuität zu finden – und so eine Demokratie zu schaffen, die nicht nur überlebt, sondern gedeiht. Eine Neuausrichtung der politischen Bildung könnte dazu beitragen, das Verständnis für die Komplexität demokratischer Prozesse zu fördern und die Bürgerinnen und Bürger wieder stärker einzubinden, meint Blühdorn. Nur so lasse sich das Vertrauen in die Demokratie langfristig festigen und die Basis für populistische Bewegungen schwächen. Der Blick in die Zukunft zeigt: Es geht darum, eine Demokratie zu schaffen, die ihre eigenen Schwächen anerkennt und sich mutig den Herausforderungen der Gegenwart stellt.