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Polarisierung und Triggerpunkte

Wie gespalten ist unsere Gesellschaft wirklich?

Warum scheinen bestimmte Themen wie Gendersprache oder Klimakrise die Gesellschaft immer mehr zu spalten? Sind wir wirklich in zwei unversöhnliche Lager geteilt - angeheizt und polarisiert durch sogenannte Triggerpunkte? Steffen Mau, Professor für Makrosoziologie, stellt fest: Die Gesellschaft ist viel differenzierter als es scheint - noch. In der Tagung "Kommunikation in der Krise" der Akademie für Politische Bildung und der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg haben sich Fachleute darüber ausgetauscht, welche Auswirkungen diese komplexe Ausgangslage auf die Kommunikation von Politik, Medien und Wissenschaft hat.

Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 07.11.2024

Von: Anna Berchtenbreiter / Foto: Anna Berchtenbreiter

Programm: Kommunikation in der Krise

Kommunikation in der Krise

Flickr-Galerie © Akademie für Politische Bildung Tutzing. Bitte klicken Sie auf das Foto, falls die Galerie nicht lädt. Sie werden zu Flickr weitergeleitet.

"Eigentlich sollte ich doch am Steak auf dem Grill das Wahlverhalten der Person absehen können", scherzt Steffen Mau, Professor für Makrosoziologie an der Humboldt-Universität zu Berlin, und nickt dem schmunzelnden Publikum zu. Eigentlich. Denn im so oft genannten "Kulturkampf" ist alles gar nicht so schwarz-weiß, wie man denkt. Die meisten von uns seien "Mischwesen" und leben in den Grautönen zwischen den traditionellen Kommunitaristen und den weltoffenen, toleranteren Kosmopoliten. Und das, obwohl man doch so oft von der Spaltung der Gesellschaft hört. Steffen Mau stellt fest, dass die Einstellungen der Menschen gar nicht so weit auseinanderdriften, sondern die veränderte und verstärkte Politisierung an den Rändern - angefeuert durch politische Konfliktakteure – sich auf die Debatte und Gesellschaft auswirken. Kommunikation spielt dabei eine große Rolle: sie kann sowohl Treiber als auch Gegenmittel von Polarisierung und Desinformation sein. Wollen Wissenschaft, Journalismus und Politik auch heute die öffentliche Kommunikation maßgeblich gestalten, werden sie nach neuen Lösungen suchen müssen. Mögliche Wege, Herausforderungen und Ansätze haben Expertinnen und Experten während der Tagung "Kommunikation in der Krise" der Akademie für Politische Bildung und der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg diskutiert.

Polarisierung in Deutschland

Doch wie polarisiert ist die deutsche Gesellschaft nun wirklich? Polarisierung bedeutet laut Mau, dass sich durch eine klare Meinungszugehörigkeit eine Lagergesellschaft bilde: die Bevölkerung teile sich in zwei feste Gruppen auf, einen Wechsel zwischen verschiedenen Meinungen sei eigentlich nicht möglich. Für solch eine extreme Trennung gibt es jedoch wenig Hinweise in der deutschen Gesellschaft. Die Themen sind nicht so stark polarisiert – eigentlich. Denn seit der AfD kommt es immer mehr zu einer affektiven Polarisierung. Zwar gab es in den 1950er und 1960er Jahren schon einige Differenzen zwischen der SPD und der CDU und die Grünen wurden in ihrer Anfangszeit im Bundestag nicht gerne gesehen, aber die Intensität der Polarisierung bei der AfD sei ein anderes Level, meint Mau. Er glaubt nicht, dass sich das in der nächsten Zeit, so wie in den anderen Fällen, normalisieren würde. Trotzdem: es gäbe zwar viele harte gesellschaftliche Konflikte in Deutschland, jedoch nicht in extremen Lagern, wie es die Polarisierungsthese darstellt. Laut Mau herrscht hier eher eine "zerklüftete, verkraterte Konfliktlandschaft" und nicht eine Teilung in zwei Lager wie bei einer sogenannten Kamelgesellschaft.

Triggerpunkte als Sollbruchstellen der Gesellschaft

Doch warum gibt es dann immer wieder Themen, bei denen die Gesellschaft gespaltener denn je wirkt? Klimakrise, Gendersprache, Geflüchtete - egal welches Thema, die Diskussionen werden schnell hitzig. Diese "Sollbruchstellen der gesellschaftlichen Debatte" bezeichnet Mau als Triggerpunkte. Oft sind es Themen oder Begriffe, die die Leute emotional beschäftigen und zu einer aufgeladenen Positionierung führen. Diese Triggerpunkte seien an verschiedenen Orten zu finden, erklärt Steffen Mau zusammen mit Thomas Lux und Linus Westheuser in ihrem Buch "Triggerpunkte: Konsens und Konflikt in der Gegenwartsgesellschaft": dort wo es zur Verletzung von Gerechtigkeitspunkten kommt, wo Erwartungen von Normalität herausgefordert werden, wo politische Maßnahmen als Zumutung gesehen werden oder wenn bei rasanten gesellschaftlichen Veränderungen ein Gefühl des Kontrollverlusts besteht. Durch die Anheizung dieser Themen entstehe schnell ein Gefühl der Unvereinbarkeit - und das auch bei Menschen, die eigentlich keine starke Meinung haben. Grautöne, wie ein "Das weiß ich nicht genau", seien im öffentlichen Diskurs sehr eingeschränkt, es wirke fast so, als gäbe es sie nicht.

Politisches Wegelagerertum

Doch wer heizt diese Triggerthemen so an, dass sie zu einer verstärkten Polarisierung führen? Gesellschaftliche Spaltung sei immer die Folge von politischen und diskursiven Akteuren, die diese Trennung in verschiedene Lager durch die Bewirtschaftung von Themen mit emotionalisierten Botschaften und Triggerpunkten herstellen meint Mau: "Ein Thema, das Affektivität hat und interessant sein könnte, auf das wird aufgesprungen." "Politisches Wegelagerertum", nennt er das. Solche Akteure machen oft Affektpolitik und nutzen dafür Triggerpunkte: "Stellen Sie sich vor die Diskursteilnehmenden sitzen um einen Tisch herum und trinken Kaffee. Dann wird an dem Zipfel der Tischdecke gezogen um die Kaffeetafel in Unruhe zu bringen. Die Leute springen auf und kommen auf anderen Stühlen wieder zu sitzen. Und sowas kann auch mal zu grünen oder braunen Flecken auf der Hose führen", erklärt der Makrosoziologe.

Die Einstellungen der Menschen driften zwar eigentlich nicht auseinander, es käme jedoch vielmehr zu einer veränderten Politisierung an den Rändern, die sich dann auf die gesellschaftliche Debatte auswirke. Radikalisierte Konfliktakteure gewinnen dabei immer mehr an Bedeutung, auch wenn sie nicht in der Mehrheit sind: "Die Kleinen und Lauten werden gehört und bestimmen damit, wie und welche Themen behandelt werden." Von den Rändern schallt es also am lautesten und das, obwohl im Gros der Gesellschaft ein gewisser gesellschaftlicher Konsens der Mitte zu finden ist. Und doch schaffe es der radikalisierte Diskurs, Themen in die Debatte einzubringen, die dann auch die Mitte der Gesellschaft treffe. Dabei normalisieren Polarisierungsunternehmer extremes Vokabular und kreieren das Bild eines Gegners.

Die Medien - Verstärker oder Gegengift der Polarisierung?

Dieses extreme Vokabular schafft es inzwischen auch vermehrt in die Medien. Über Social Media werden Inhalte ohne sogenannte Gatekeeper ungefiltert unter die Leute gebracht und selbst in den "klassischen" Medien findet man immer wieder Reproduktionen von polarisierten Standpunkten. Journalisten müssen vermehrt ihre Überschriften und Inhalte zuspitzen um gehört zu werden. Konsens hat keinen Nachrichtenwert mehr, ist weniger interessant für die Rezipienten. Affekte und Emotionen schaffen Aufmerksamkeit. Die Medien sind keine reinen Konfliktbeobachter mehr: Auseinandersetzungen werden dort gestreut oder gar direkt angezettelt. Das Verhalten der Berichterstattenden verändert sich: hin zu Clickbait, weg von Berufsethos, hin zu aufmerksamkeitsökonomischen Medien. Und das in einer Zeit, in der Desinformation und Fake News eine der größten Gefahren für die Demokratie sind. Wenn die Medien extremistische Redepunkte noch verstärken, bedrohen sie ihre eigene Existenz. Ein "Gegengift gegen die Polarisierung"?: Ein starker öffentlicher Rundfunk und eine starke Präsenz von Qualitätsmedien erklären Mau, Lux und Westheuser in ihrem Buch.

Und jetzt?

Noch sind wir nicht an einem Punkt angekommen, an dem die Gesellschaft stärker gespalten ist. Doch wie es weiter geht, das hängt auch von den politischen Akteuren ab, denn: ",dass wir keine polarisierende Gesellschaft sind, heißt nicht, dass wir keine werden." Demokratie brauche vielfältige Medien und Diskurse. Eins ihrer Kernmerkmale ist die Arbeit an der Herstellung einer kollektiv verbindlichen Entscheidung – politisch wie gesellschaftlich. Dafür braucht es starke, funktionierende Räume und Möglichkeiten, in denen politische Meinungsbildung stattfinden kann. Denn eigentlich stehen Konsens und Konflikt in einem engen Verhältnis zueinander. Streit sei in einer Demokratie der Normalfall und auch erwünscht - aber am besten eben ohne die affektive Polarisierung von Themen.

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