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Migration: Schlüsselfaktoren und Wege zur Erwerbstätigkeit

Wie Deutschland seine ungenutzten Potenziale ausschöpfen kann

Der Faktor Migration ist für Yuliya Kosyakova vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung eine wichtige Stellschraube für einen Anstieg der Erwerbstätigkeit. Deutschland müsse sich jedoch effizienter und gezielter bemühen, um Geflüchteten nachhaltig auf den Arbeitsmarkt zu verhelfen. Die Tagung "Fehlanreize und Erwerbstätigkeit: Stellschrauben auf dem Prüfstand" der Akademie für Politische Bildung und des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB) beschäftigte sich auf der Suche nach Lösungen und Alternativen mit den Fehlanreizen der Erwerbstätigkeit in Deutschland.

Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 14.10.2024

Von: Mirela Zagrean / Foto: Mirela Zagrean

Programm: Fehlanreize und Erwerbstätigkeit

Fehlanreize und Erwerbstätigkeit: Stellschrauben auf dem Prüfstand

Flickr-Galerie © Akademie für Politische Bildung Tutzing. Bitte klicken Sie auf das Foto, falls die Galerie nicht lädt. Sie werden zu Flickr weitergeleitet.

Deutschland befindet sich in einem Teufelskreis aus ungenutzten Potenzialen. Die Babyboomer-Generation geht in Rente und die demografische Lücke, die dadurch entsteht, ist für Deutschland auf dem Arbeitsmarkt kaum zu schließen. Der Abgang der Babyboomer, die Abnahme des Erwerbspotenzials aufgrund der Alterung der Gesellschaft und anhaltende Zuwanderung prägen die deutsche Demografie. Migration sorgt zwar für einen gewissen Ausgleich gegen die sinkende Zahl der Erwerbsbevölkerung, allerdings haben die Umbrüche und Veränderungen der letzten Jahre Unsicherheiten auf dem Arbeitsmarkt erzeugt. Um den Fach- und Arbeitskräftemangel in Deutschland in den Griff zu bekommen, braucht es eine grundlegende Revision der Anreize zur Erwerbstätigkeit. Bedeutende Stellschrauben sind die Erwerbstätigkeit von Frauen und Müttern, Hinzuverdienstregelungen und Minijobs, das Steuer- und Transfersystem, die Frage nach der Lebensarbeitszeit und dem Renteneintrittsalter und natürlich der Faktor Migration. Die Tagung "Fehlanreize und Erwerbstätigkeit: Stellschrauben auf dem Prüfstand" der Akademie für Politische Bildung und des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit hat sich zum Ziel gesetzt, über Fehlanreize zu diskutieren und mögliche Justierungen und Alternativen sichtbar zu machen.

Schlüsselfaktoren für die Integration Geflüchteter auf dem Arbeitsmarkt

3,17 Millionen Schutzsuchenden leben in Deutschland, ca. 977.000 davon sind zum Beispiel Ukrainer, die aufgrund des Krieges nach Deutschland geflüchtet sind. 93% von ihnen wollen ganz sicher oder wahrscheinlich in Deutschland bleiben und arbeiten. Doch: "Ukrainer mussten von heute auf morgen gehen und hatten keine Zeit, sich vorzubereiten", sagt die Leiterin des IAB-Forschungsbereiches Migration, Integration und internationale Arbeitsmarktforschung, Yuliya Kosyakova. Aus diesem Grund mussten die Ukrainer bei ihrer Ankunft in Deutschland große Schwierigkeiten bewältigen. Nach einer schweren Anfangsphase sind jedoch drastische Verbesserungen zu beobachten: Die Beschäftigungsquote steigt und erreicht sogar die Quoten anderer Kohorten. Gleichzeitig steigt die Qualität der Beschäftigung sowie die Gehälter und die Wochenarbeitszeit. In ihrem Vortrag „Erfolgreiche Integration – Die Sicht der Wissenschaft" thematisiert die Migrationsforscherin wie es um die ukrainischen Geflüchteten steht, welche Schlüsselfaktoren eine Rolle spielen und wie Deutschland aktiv werden kann.

Die erfolgreiche Erwerbstätigkeit bei Geflüchteten hängt von vielen Faktoren ab, erklärt Kosyakova: Familienkonstellation, Willkommenskultur, Berufsberatung, Anerkennung von Abschlüssen, Wohnsitzauflagen und Beschäftigungsverbote bestimmen die Integration auf dem Arbeitsmarkt. Insbesondere die Familienkonstellation wirkt sich auf die Erwerbschancen aus: Je nachdem, ob Geflüchtete mit oder ohne Partner, Familie oder Kindern nach Deutschland kommen, ändern sich maßgeblich die Bedingungen für eine Erwerbstätigkeit. Frauen sind seltener erwerbstätig, denn ihr Zugang zum Arbeitsmarkt ist oft zusätzlich abhängig von einer funktionierenden Infrastruktur, wie zum Beispiel der Kitabetreuung.

Ein weiterer wichtiger Faktor ist das Willkommensgefühl. Die Hemmschwelle nach Deutschland zu kommen, im Land zu bleiben und zu arbeiten ist niedriger, wenn Freunde oder Familie schon in Deutschland wohnen. Wenn sich Neuankömmlinge willkommen, akzeptiert und aufgenommen fühlen, steigen die Chancen für eine Erwerbstätigkeit. Soziale Teilhabe und Netzwerke helfen zum einen bei der Integration und der Kontaktpflege mit Einheimischen, zum anderen werden 50% der Jobs über solche Netzwerke vermittelt. Mentorenprogramme zum Beispiel helfen beim Integrationsprozess und dem Spracherwerb. Ehrenamtliches Engagement seitens der Geflüchteten steigert ihre Zufriedenheit, sie kommen einfacher ins Gespräch mit Einheimischen und können ihre Deutschkenntnisse verbessern. Das Willkommensgefühl, die Integration vor Ort und die Teilhabe am Leben der Gemeinschaft sind entscheidend für das Wohlbefinden Geflüchteter, ihre Bleibeabsichten und für die erfolgreiche Teilnahme am Erwerbsmarkt.

Auch Berufsberatung und Hilfestellungen bei der Arbeitsvermittlung erleichtern den Zugang zum Arbeitsmarkt. Die Anerkennung von Abschlüssen spielt dabei eine zentrale Rolle. Die Mehrheit der Ukrainer ist hochqualifiziert, doch ohne Anerkennung von bestehenden Abschlüssen haben Geflüchtete nur beschränkte Möglichkeiten erwerbstätig zu werden. Oftmals besteht eine Informationsasymmetrie zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer: Arbeitgebern fällt es schwer, die Anforderungsprofile mit den Qualifikationen und Kompetenzen von Arbeitnehmern ohne anerkannten Abschluss abzugleichen und infolgedessen werden diese Arbeitnehmer nicht angemessen berücksichtigt.

Arbeit-zuerst vs. Sprache-zuerst

Die Debatte über Arbeit-zuerst vs. Sprache-zuerst thematisiert zwei unterschiedliche Ansätze für den Umgang mit Erwerbstätigkeit und Migration. Während bei der Arbeit-zuerst Strategie die Aufnahme eines Jobs im Vordergrund steht, werden bei der Sprache-zuerst Strategie die Förderung von Sprachkursen und die Aneignung von Sprachkenntnissen priorisiert. Die Diskussion ist nicht nur in Deutschland aktuell, sondern europaweit. Dänemark steht beispielsweise für die Work-first Strategie. Sie schien zwar anfänglich gut zu funktionieren, allerdings verschwindet dieser Effekt mit der Zeit: Geflüchtete haben prekäre Jobs und deutliche Schwierigkeiten beim Spracherwerb. Norwegen setzt demgegenüber auf die Sprache-zuerst Strategie: Geflüchtete werden dort nachhaltig beim Spracherwerb gefördert. Denn: nicht nur Sprachkurse mit Zertifikat, insbesondere höhere Sprachniveaus wie C1 oder C2, sondern auch Sprachkurse ohne Zertifikat, beeinflussen positiv die Integration und Erwerbstätigkeit. Bei dieser Debatte gehe es am Ende laut Kosyakova primär darum, welche Intentionen die Politik verfolgt: "Will die Politik schnell und prekär oder langsam und nachhaltig? Sie müssen entscheiden". Anfängliche Investitionen seien essenziell und würden sich nach einigen Jahren ausgleichen. Es sei jedoch wichtig, verschiedene Modelle zu entwickeln, um individuelle Wünsche der Beteiligten abdecken zu können, denn gängige Strategien funktionieren nicht gleichermaßen gut für alle.

Handlungsansätze für eine nachhaltige Integration in die Arbeitswelt

Yuliya Kosyakova verdeutlicht in ihrem Vortrag, dass der Faktor Migration eine Stellschraube ist, die in Deutschland mehr Berücksichtigung verdient. Geflüchtete müssten effizienter in die Arbeitswelt eingebunden werden. Es gelte, die Fehlanreize in diesem Bereich anzugehen und Potenziale auszuschöpfen. Hierzu formuliert die Migrationsforscherin drei konkrete Handlungsansätze.

  1. Der Abbau institutioneller und struktureller Hürden sei ein Schritt in die richtige Richtung. Dabei gehe es um eine schnelle Schaffung der Rechts- und Planungssicherheit sowie um die Beschleunigung des Asylverfahrens. Auch Beschäftigungsverbote, administrative Verteilungsmechanismen und die Wohnsitzauflagen bräuchten eine grundlegende Überdenkung.
  2. Hinzu käme es auf eine frühzeitige Aktivierung der Integrationsprozesse an: Sprachprogramme sollten so früh wie möglich stattfinden, um den Spracherwerb zu beschleunigen. Der Erwerb von Bildungs- und Ausbildungsabschlüssen müsse ebenfalls gefördert werden. Zudem empfiehlt sie, die Anerkennung bestehender Abschlüsse zu beschleunigen und die Unterstützung bei der Arbeitssuche und -vermittlung weitestgehend zu intensivieren.
  3. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sollte in den Vordergrund rücken: Zum einen müsse die Integration von Kindern und Jugendlichen in das Bildungssystem vorangetrieben und zum anderen infrastrukturelle Hürden wie die Betreuungsangebote für kleine Kinder ausgeweitet werden.

Eins sei jedoch klar: Integration ist ein wechselseitiger Prozess und der Erfolg ist nicht nur von den Integrationsbemühungen der Geflüchteten abhängig. Die Einstellung der deutschen Bevölkerung, die Unterstützung der Politik, der Verwaltung, des Bildungssystems und des ehrenamtlichen Engagements sind mitentscheidend über den Ausgang von Migration, Integration und erfolgreicher Erwerbstätigkeit.

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