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Seelische Selbstvergiftung

Das Ressentiment und seine Entmachtung

Ressentiments sind allgegenwärtig - und Populisten und Demagaogen befeuern sie weiter. Doch was hat es mit diesem Phänomen genauer auf sich? Wie entsteht das Ressentiment, was richtet es an, und wie können wir ihm begegnen? Bei der Tagung "Vorurteil - Projektion - Ressentiment" der Akademie für Politische Bildung, der Universität Heidelberg, des Berufsverbands für Philosophische Praxis und der Internationalen Gesellschaft für Philosophische Praxis beleuchtete der Philosoph und Theologe Thomas Gutknecht Wesen und Wirkung des Ressentiments und zeigte Wege auf, wie man sich von ihm befreien kann.

Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 10.10.2024

Von: Laura Martena / Foto: Mirela Zagrean

Programm: Vorurteil - Projektion - Ressentiment

Vorurteil - Projektion - Ressentiment: Eine Einladung ins Philosophieren

Flickr-Galerie © Akademie für Politische Bildung Tutzing. Bitte klicken Sie auf das Foto, falls die Galerie nicht lädt. Sie werden zu Flickr weitergeleitet.

Was ist das Ressentiment?

Immer öfter sind sie bei politischen Veranstaltungen zu sehen: Menschen, die sich mit verschränkten Armen, angespannten Gesichtern und herunterhängenden Mundwinkeln auf ihren Sitzen fläzen, als sei ihnen das Schauspiel schon zuwider, bevor es auch nur begonnen hat. Immer häufiger sind sie auf Social Media zu lesen oder bei Demonstrationen zu hören: gehässige Kommentare über "die Politiker", "die Journalisten" oder "die Migranten". Und immer seltener trifft man die anderen: jene, die einsam ihren Groll nähren. Was steckt dahinter? Thomas Gutknechts Diagnose: Was wir erleben, ist das Wuchern des Ressentiments. Diesem Phänomen hat er daher ein Buch gewidmet. Es ist 2021 unter dem Titel "Mut und Maß statt Wut und Hass. Ressentiments angemessen begegnen und Verantwortung übernehmen" erschienen. An der Akademie für Politische Bildung hat er einige zentrale Thesen daraus mit den Tagungsteilnehmenden diskutiert. Was aber soll das eigentlich sein, das Ressentiment?

"Ressentiment" war und ist kein Wort der Alltagssprache. In politischen Reden und journalistischen Texten taucht es aber derzeit immer öfter auf, meist im Plural. Es geht dann um "die Ressentiments" im Sinne negativer Vorurteile, Stereotype oder Feindbilder. Gutknecht interessiert sich aber nicht vorrangig für „die Ressentiments" in der Mehrzahl. Er fragt grundlegender: Was muss passiert sein, damit sich solche Ressentiments im Denken, Fühlen und Handeln eines Menschen einnisten können? Wie funktioniert das, was Max Scheler zu Beginn des 20. Jahrhunderts als "seelische Selbstvergiftung" beschrieb?

Hier kommt der Begriff des "Ressentiments" im Singular ins Spiel. Damit bezeichnete Michel de Montaigne im 16. Jahrhundert eine Empfindung, die sich durch zwei Merkmale auszeichnet: große Intensität und dauerhafte Nachwirkung. Ausgehend von späteren Denkern wie Sören Kierkegaard und Friedrich Nietzsche vertritt Gutknecht die These, dass wir es beim Ressentiment eben nicht nur mit bloßen Vorurteilen zu tun hätten. Auch Typisierungen, Kategorisierungen oder Projektionen könnten dem Ressentiment dienen, seien aber davon verschieden. Vielmehr handele es sich um eine ganz eigene "Denk- und Fühlstruktur". Anders gesagt: "Ressentiments hegt man, im Ressentiment lebt man."

Dabei lasse sich das Ressentiment nicht mit einem einzigen Gefühl gleichsetzen. Eher hätten wir es mit einer vielschichtigen Affektlage zu tun. Zu seinen Säulen zählten unter anderem Abwertung, Geringschätzung, Missgunst und Häme. Verbunden sei das Ressentiment aber auch mit der Unfähigkeit des Loslassens und Verfeindungsstrategien.

Wie entsteht das Ressentiment?

Das Ressentiment habe keine Gründe, sondern sei im wahrsten Sinne des Wortes abgründig. Dennoch entstehe es nicht aus dem Nichts. "Am Anfang steht das Erlebnis erlittenen Unrechts; geschehen Verletzungen, die die Würde tangieren und kränken; finden Angriffe auf die Person statt. Wer könnte von sich sagen, dies nie erfahren zu haben?" Doch: "Über die Folgen entscheidet nicht die Beschaffenheit des Angriffs, vielmehr die Beschaffenheit dessen, dem Leid widerfährt." Die meisten Menschen haben mehr oder weniger gut ausgeprägte Fähigkeiten mit Verletzungen umzugehen. Manche Einstellungen und Persönlichkeitsmerkmale können uns aber, so Gutknecht, daran hindern, insbesondere überzogene Anspruchshaltungen, übermäßiges Verlangen nach Bewunderung und übertriebene Ängstlichkeit.

Dann könne die erlittene Kränkung eben nicht überwunden werden. Im Gegenteil greifen "immer giftigere Gedanken und hässlichere Empfindungen im Innersten Raum". Gleichzeitig wüssten die Betroffenen, dass sie sich ihnen nicht hingeben sollten, schon weil solche Gedanken und Gefühle sozial tabuisiert sind. Daher müssten sie immer mehr Energie investieren, um "die verqueren Gedanken und das unangemessene Gebaren unkenntlich zu machen, vor anderen, nicht zuletzt vor sich selbst." Um die eigene problematische Gedanken- und Gefühlsstruktur vor sich zu verbergen, erklärten sie sich zu Opfern. Und weil jedes Opfer einen Täter braucht, machten sie eben andere dazu. Hier kommen nach Gutknecht die verschiedenen Ressentiments im Plural, die Stereotype und Feindbilder gelegen. Durch sie soll der eigene Opferstatus in moralische Überlegenheit verwandelt werden und aus der erlebten Schwäche angebliche Stärke werden. Am Ende kann das Ressentiment so "zu fatalen Ideologien, zu wahnhaften -ismen und Phobien wie Rassismus, Antisemitismus, Islamophobie und Xenophobie" führen.

Zugleich werde das Ressentiment so zum Einfallstor für Populisten und Demagogen. Diese seien geschickt darin, die Wut und Empörung zu verstärken, den Opferstatus zu bestätigen und schließlich zum Kampf gegen die vermeintlichen Feinde zu mobilisieren. Dass die angeblichen Heilsbringer die erlittene Kränkung ihrer Adressaten nur für die eigenen Zwecke ausbeuten, könne und wolle man als ressentimentgetriebener Mensch lieber übersehen.

Das Ressentiment entmachten

Wie können wir dem Ressentiment seine Macht nehmen? Vor allem in seinem Buch widmet Gutknecht sich dieser Frage. Sein Vorschlag: nicht zuerst bei der Vernunft ansetzen. Das sei umso wichtiger, als sich der ressentimentgeleitete Mensch gegen Argumente ebenso abschotte wie gegen abweichende Erfahrungen.

Stattdessen setzt Gutknecht bei den Emotionen an. In seiner Auseinandersetzung mit Angst und Mut entwickelt er Überlegungen, wie ein angemessener Umgang mit diesen Gefühlen aussehen könnte. Denn auch wenn Emotionen heute oft als unbefragbar gelten und ein machtvoller Diskursstopper sein können, seien sie durchaus auf Angemessenheit überprüfbar. Und er schlägt Kriterien einer solchen Prüfung vor.

Wer mehr darüber wissen will, dem sei Gutknechts Buch empfohlen. Denn philosophische Bücher, jedenfalls die interessanten, haben es nun einmal an sich, dass sie sich nicht einfach in Thesenform zusammenfassen lassen, sondern selbst gelesen werden wollen.

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