Zukunft der politischen Bildung
So lassen sich Zielgruppen besser erreichen
Angebote der politischen Bildung sind wichtig, um ein demokratisches Verständnis und politische Teilhabe zu fördern. Allerdings erreichen sie häufig nur jene, die bereits an Politik interessiert sind. Wie aber können auch schwer zugängliche Zielgruppen angesprochen werden? Welche neuen Methoden und Formate die politische Bildungsarbeit braucht, um diesen Herausforderungen zu begegnen, war Thema der Tagung "Andere Pfade für die politische Bildung: Wie lassen sich Zielgruppen besser erreichen?" der Akademie für Politische Bildung, der Deutschen Vereinigung für Politische Bildung, Landesverband Bayern e.V. und der Europäischen Akademie Bayern e.V.
Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 07.10.2024
Von: Rebecca Meyer / Foto: Rebecca Meyer
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"Niedrigschwelligkeit ist das A und O, um breitere Zielgruppen ansprechen", sagt Thomas Franke von der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg und bringt damit auf den Punkt, was politische Bildung heute mehr denn je leisten muss: Zugangsbarrieren abbauen und Menschen dort erreichen, wo sie stehen. Doch wie spricht man jene an, die der Politik distanziert oder gleichgültig gegenüberstehen? Für Franke liegt der Schlüssel in der Niedrigschwelligkeit: Bildungsformate müssen leicht zugänglich, flexibel und motivierend sein, damit sie auch an die Menschen appellieren, die nicht von sich aus nach politischer Bildung suchen. Politische Bildungsangebote müssen nicht nur thematisch ansprechend, sondern auch an den richtigen Orten präsent sein. Das erfordert Kreativität. In der Tagung "Andere Pfade für die politische Bildung: Wie lassen sich Zielgruppen besser erreichen?" der Akademie für Politische Bildung, der Deutschen Vereinigung für Politische Bildung, Landesverband Bayern e.V. und der Europäischen Akademie Bayern e.V. haben Expertinnen und Experten über den Einsatz von spielerischen und interaktiven Methoden für die attraktive Gestaltung von politischen Lerninhalten diskutiert.
Gamification in der politischen Bildung
Gamification gilt als einer der vielversprechendsten Ansätze, um Menschen für politische Bildung zu gewinnen. Spielerische Elemente wie Wettbewerbe, Rankings und Belohnungssysteme sollen Lerninhalte attraktiver machen. Gamification vermittelt politische Inhalte auf eine niederschwellige Weise, sodass das Lernen als Teil eines Spiels wahrgenommen wird. Franke erklärt, dass diese Methode besonders bei jungen Menschen, die sich nur schwer für traditionelle politische Bildung begeistern lassen, Anklang findet. Planspiele sind ein zentraler Bestandteil der Gamification. Sie simulieren politische Entscheidungsprozesse und ermöglichen es den Teilnehmenden, in die Rolle von Politikerinnen und Politikern zu schlüpfen. Im Planspiel "Fokus Bundestag" beispielsweise führen die Teilnehmenden Koalitionsverhandlungen und lernen, wie politische Entscheidungen zustande kommen. Ralf Knobloch von der Europäischen Akademie Bayern e.V. betont, dass Planspiele nicht nur Wissen über politische Abläufe vermitteln, sondern auch Schlüsselkompetenzen wie Verhandlungs- und Kommunikationsfähigkeit sowie Kompromissbereitschaft fördern. Ein Planspiel schafft dabei auch Raum für reale Emotionen, stellt Knobloch fest: "Selbst diejenigen, die sonst still im Unterricht sitzen, übernehmen plötzlich Verantwortung und sind hoch motiviert, politische Lösungen zu finden."
Gamification hat aber auch den Einzug in den Wahlentscheidungsprozess der Bürgerinnen und Bürger erhalten: der sogenannte Wahl-O-Mat erlaubt es Nutzerinnen und Nutzern, ihre politischen Überzeugungen spielerisch mit den Programmen der Parteien zu vergleichen. Franke betont, dass der Wahl-O-Mat nicht nur Wissen über politische Positionen vermittelt, sondern auch die aktive Teilnahme an Wahlen fördert. Besonders im Vorfeld von Wahlen trägt der Wahl-O-Mat dazu bei, politische Informationen für alle Bildungsschichten leicht zugänglich zu machen und komplexe Themen zu entschlüsseln. Mittlerweile gibt es den Wahl-O-Mat nicht nur für die Bundestagswahl, sondern zum Beispiel auch für die Kommunalwahl in Baden-Württemberg und zur Europawahl.
Digitale Bildung als Zugang zu jungen Zielgruppen
"Gamification und digitale Bildung gehen oft Hand in Hand, weil digitale Tools spielerische Elemente nutzen", ergänzt Katja Friedrich von der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit. Das spräche vor allem digital-affine Jugendliche an, die die Lernformate orts- und zeitunabhängig nutzen und die Inhalte im eigenen Tempo erkunden. Gleichzeitig können die politischen Bildnerinnen und Bildner ihre Lernangebote jederzeit aktualisieren und an aktuelle politische Entwicklungen anpassen.
Friedrich betont auch, dass Social Media, Online-Plattformen und Webinare neue Räume für Austausch und Interaktion schaffen. Ein gelungenes Beispiel für digitale politische Bildung seien e-Learning-Plattformen, die Videos, Quizze und interaktive Module anbieten, um politische Themen auf ansprechende Weise zu vermitteln. Dadurch können Userinnen und User leichter ihren individuellen Lernfortschritt festhalten und mit anderen Teilnehmenden vergleichen, was motivierend wirken kann. Friedrich stellt klar, dass dafür jedoch der digitale Zugang für alle gewährleistet sein müsse. Der sogenannte "Digital Divide" bleibe eine große Herausforderung, da nicht jeder über die notwendige technische Ausstattung oder eine zuverlässige Internetverbindung verfüge. Besonders in ländlichen Regionen und sozial schwächeren Gebieten sollten die digitalen Bildungsangebote auch zugänglich sein. Dort sind oft weniger physische Bildungseinrichtungen wie Schulen, Universitäten oder Weiterbildungszentren vorhanden, was den Zugang zu hochwertiger Bildung erschwert. Digitale Bildungsangebote könnten diese Lücke schließen, indem sie Menschen unabhängig von ihrem Wohnort oder ihrer finanziellen Situation den Zugang zu Wissen ermöglichen. Hier spielen auch öffentliche Bibliotheken oder Gemeinschaftszentren eine wichtige Rolle, da sie Infrastruktur für diejenigen bereitstellen, die keinen eigenen Zugang zu digitalen Ressourcen haben. Ihr Ausbau sei entscheidend, um drohende Bildungsungleichheit zu verhindern.
Aufsuchende politische Bildung - Menschen dort abholen, wo sie sind
Neben den digitalen und traditionellen Bildungsformaten setzen einige Akteurinnen und Akteure der politischen Bildung auf öffentliche Orte wie Marktplätze, Einkaufszentren oder kulturelle Treffpunkte. Sie wollen, Menschen in ihrem Alltag anzusprechen und sie niedrigschwellig in politische Themen einbinden. Anstatt darauf zu warten, dass Interessierte zu Seminaren oder Konferenzen kommen, geht die sogenannte "aufsuchende politische Bildung" proaktiv auf die Menschen zu. Besonders für jene, die ansonsten schwer für politische Bildungsangebote zu gewinnen sind, bietet dieser Ansatz eine Möglichkeit, ohne großen Aufwand oder Hürden Zugang zu politischer Bildung zu erhalten. Dafür nutze die aufsuchende politische Bildung beispielsweise Stadtfeste und Musikfestivals. Anstatt reine Informationsstände zu betreiben, werden interaktive Elemente wie Demokratieparcours und Quizfragen eingesetzt, um das Interesse der Besucher zu wecken und sie aktiv in den Lernprozess einzubeziehen. Mittlerweile gebe es auch öffentliche Planspiele. Diese niedrigschwelligen Angebote helfen dabei, neue Räume für Diskussionen und Dialoge zu öffnen. Der Erfolg dieser Formate hänge jedoch stark von der informellen Atmosphäre ab, erklärt Siegfried Grillmeyer vom Kompetenzzentrum Demokratie und Menschenwürde. Dabei helfe es jedoch bereits, die Namen der Angebote zu ändern. "Statt einen Stand zu Extremismusprävention aufzubauen, probieren wir jetzt ein ganz anderes Format: Pizza und Politik", sagt Grillmeyer und verdeutlicht, dass es wichtig ist, Hemmschwellen abzubauen und entspannte Begegnungen zu schaffen. Wichtig sei, die Angebote nicht als klassische Bildungsformate zu vermarkten, sondern sie in lockere, alltagsnahe Events einzubetten. Auf diese Weise können Diskussionen auf Augenhöhe stattfinden, die den Teilnehmenden das Gefühl geben gehört und verstanden zu werden, ohne dass sie sich in einem formalen Bildungsrahmen befinden müssen.
Bildungsurlaub als Chance für berufstätige Menschen
Besonders schwierig ist es, Bürgerinnen und Bürger zu erreichen, die sich in der "Rush-Hour" ihres Lebens befinden. Während Schülerinnen und Schüler im Rahmen des regulären Schulalltags an Planspielen oder anderen Bildungsformaten teilnehmen können, haben Berufstätige oft keine Zeit und Kapazitäten, um diese Angebote außerhalb der Arbeit wahrzunehmen. Bildungsurlaub könnte dabei Abhilfe schaffen, sagt Boris Brokmeier von der ländlichen Heimvolkshochschule e.V. Mariaspring. Er ermöglicht die Teilnahme an politischer Bildung während der Arbeitszeit und schlägt somit eine Brücke zwischen beruflichen Verpflichtungen und gesellschaftlichem Engagement. In 14 Bundesländer, mit der Ausnahme von Sachsen und Bayern, ist der Bildungsurlaub bereits gesetzlich verankert. "Der Begriff Bildungsurlaub wird trotzdem oft missverstanden. Bildungsfreistellung träfe es besser", sagt Brokmeier und erklärt, dass es nicht um Freizeit gehe, sondern um gezielte Weiterbildung, die sowohl beruflich als auch persönlich nützlich sei. Bildungsurlaub schaffe Raum für politische Bildung in einem strukturierten Rahmen und ermöglicht den Teilnehmenden, sich ohne den Druck des beruflichen Alltags auf komplexe politische Themen einzulassen. Brokmeier betont außerdem, dass dabei viele Menschen aus unterschiedlichen beruflichen und sozialen Kontexten zusammenkommen, was auch das gegenseitige Verständnis und die Zusammenarbeit in der Gesellschaft stärke.
Um Menschen für politische Bildungsangebote zu gewinnen, müssen die politischen Bildnerinnen und Bildner die Formate an die neuen Bedürfnisse und Interessen der Zielgruppe anpassen. Ein dynamisches und flexibles Bildungskonzept, das auf den Alltag der Menschen abgestimmt ist, wird entscheidend sein um langfristig die Demokratie zu stärken und eine breitere Teilhabe zu ermöglichen.