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So erhöhen wir die Frauenerwerbstätigkeit in Deutschland

Neue Wege für mehr Gleichberechtigung auf dem Arbeitsmarkt

Der Wirtschaftsstandort Deutschland leidet unter dem Arbeitskräftemangel und dem Fachkräftemangel. Dabei gibt es viele hochqualifizierte Frauen, die bereit und fähig wären, diese Positionen zu besetzen. Oft fehlt es jedoch an flexiblen Arbeitszeitmodellen und ausreichender Kinderbetreuung, was Frauen dazu zwingt, in Teilzeit oder geringfügigen Beschäftigungen zu arbeiten. Um die Partizipation der Frauen am Arbeitsmarkt wirksam zu erhöhen, müssen Politik und Wirtschaft dringend bessere Rahmenbedingungen schaffen. Doch wie funktioniert das? Über die strukturellen Gründe für die niedrige Partizipation von Frauen am Arbeitsmarkt und mögliche Gegenmaßnahmen hat Ulrich Walwei, Vizedirektor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit, bei der Veranstaltung "Weg vom Herd: Wie erhöhen wir die Frauenerwerbstätigkeit?" der Akademie für Politische Bildung gesprochen.

Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 18.09.2024

Von: Rebecca Meyer / Foto: Rebecca Meyer

Programm: Akademie After Work: Weg vom Herd - Wie erhöhen wir die Frauenerwerbstätigkeit?

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"Der Arbeitsmarkt für Frauen in Deutschland hat sich in den vergangenen 20 Jahren positiv entwickelt. Von einer echten Gleichstellung mit Männern sind wir jedoch noch weit entfernt. Der Fortschritt bewegt sich eher im Schneckentempo", sagt Ulrich Walwei, Vizedirektor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit. Trotz steigender Erwerbsbeteiligung bleibt das tatsächliche Arbeitsvolumen der Frauen - also die geleisteten Stunden - deutlich hinter den Erwartungen von Politik und Wirtschaft zurück. Fast 75 Prozent der Frauen in Deutschland sind heute erwerbstätig, jedoch arbeitet der Großteil in Teilzeit oder in geringfügigen Beschäftigungen. Mehr als 40 Prozent der teilzeitbeschäftigten Frauen sind aus persönlichen oder familiären Gründen nicht in Vollzeit beschäftigt. Über die Hürden, die einer hohen Frauenerwerbstätigkeit im Weg stehen, und mögliche Ansätze zu mehr Gleichberechtigung auf dem Arbeitsmarkt hat Walwei unter dem Titel "Weg vom Herd: Wie erhöhen wir die Frauenerwerbstätigkeit?" in der Akademie für Politische Bildung gesprochen. Die Veranstaltung war Teil der Reihe "Akademie After Work".

Care-Arbeit mindert Frauenerwerbstätigkeit

Bis zum 25. Lebensjahr unterscheiden sich die Erwerbsverläufe von Frauen und Männern kaum, sagt Ulrich Walwei. Mit der Geburt des ersten Kindes erleiden Frauen jedoch einen signifikanten Einbruch in ihrer Erwerbstätigkeit, während Männer ihre berufliche Laufbahn nahezu unverändert fortsetzen. Die meisten Frauen erholen sich im weiteren Verlauf ihres Berufslebens nicht vollständig von diesem Einbruch. Ursache dafür ist, dass Frauen die Hauptverantwortung für unbezahlte Kinderbetreuung tragen. Das führt dazu, dass viele nur in Teilzeit arbeiten oder gänzlich aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden. Der sogenannte "Gender Care Gap" bleibt über den gesamten Lebensverlauf bestehen und beeinflusst die Erwerbsbiografien von Frauen negativ. Sie sind nicht nur kaum in Vollzeit tätig, sondern verdienen auch weniger und haben geringere Chancen auf einen Karriereaufstieg.

Gleichzeitig zeigt sich, dass viele Frauen deutlich mehr Stunden arbeiten möchten, als es ihnen der Arbeitsmarkt aktuell erlaubt. Walwei erklärt, dass Frauen mit Kindern unter zwölf Jahren eine durchschnittliche Arbeitszeit von 20 bis 30 Stunden pro Woche anstreben, während sich Frauen mit älteren Kindern sogar eine nahezu vollzeitnahe Beschäftigung von rund 36 Stunden pro Woche wünschen. Diese Wünsche stehen jedoch im Kontrast zu den bestehenden Arbeitszeitregelungen und den begrenzten Möglichkeiten, die der Arbeitsmarkt für Frauen bietet. Zugleich gebe es eine Überbelastung bei Männern, die in Vollzeit arbeiten. Viele von ihnen möchten weniger Stunden pro Woche arbeiten.

Strategien für eine höhere Frauenerwerbstätigkeit

Reformen des Elterngelds, des Ehegattensplittings und der Minijobs könnten dazu beitragen, diese unterschiedlichen Bedürfnisse besser in Einklang zu bringen. Das sei nicht nur aus individueller, sondern auch aus volkswirtschaftlicher Sicht von Vorteil, betont Walwei und verweist auf das enorme ungenutzte wirtschaftliche Potenzial, das in einer stärkeren Erwerbsbeteiligung von Frauen steckt. Da in Deutschland immer mehr Menschen das Rentenalter erreichen und damit den Fachkräftemangel verschärfen, seien Frauen eine wertvolle Personalreserve, die bislang nicht ausreichend genutzt werde. Reformen und staatliche Anreize könnten das ändern. Walwei hebt besonders die Reform des Elterngeldes hervor. Derzeit nehmen Väter oft nur zwei Monate Elternzeit in Anspruch, während Mütter zwölf Monate aus dem Berufsleben ausscheiden. In Island haben beide Elternteile den gleichen Anspruch von jeweils sechs Monaten Elternzeit, mit einer begrenzten Möglichkeit bis zu sechs Wochen zwischen den Partnern zu übertragen. Diese Parität helfe, neutraler zu entscheiden, wer nach der Elternzeit wieder in den Arbeitsmarkt eintritt. Eine gesetzlich festgelegte, gleichmäßigere Verteilung der Elternzeit zwischen Vater und Mutter wäre auch in Deutschland ein entscheidender Schritt, um Frauen den Wiedereinstieg in den Beruf zu erleichtern.

Ein weiteres Hindernis für die Frauenerwerbstätigkeit sieht Walwei im Ehegattensplitting. Das Steuermodell begünstigt Paare mit stark unterschiedlichen Einkommen und setzt damit finanzielle Anreize für Frauen, ihre Arbeitszeit zu reduzieren oder ganz auf Erwerbstätigkeit zu verzichten. Eine Reform hin zu einer individuellen Besteuerung würde diese Fehlanreize beseitigen und Frauen ermutigen, stärker am Arbeitsmarkt teilzuhaben. Auch die Regelungen zu Minijobs bedürfen einer dringenden Überarbeitung. Minijobs bieten häufig keine ausreichende soziale Absicherung und führen dazu, dass die beruflichen Fähigkeiten und Qualifikationen der Betroffenen ungenutzt bleiben. Walwei schlägt deshalb vor, Minijobs stärker auf Studierende, Rentnerinnen und Rentner zu begrenzen, um reguläre Beschäftigungsverhältnisse zu fördern.

Familienpolitik als Schlüssel zur Frauenerwerbstätigkeit

Neben steuerlichen und arbeitsmarktpolitischen Reformen müssen Politik und Gesellschaft familienfreundliche Arbeitsstrukturen und eine flexible Personalpolitik schaffen. "Deutschland hinkt im europäischen Vergleich hinterher, besonders was die Vereinbarkeit von Beruf und Familie angeht", sagt Walwei. Besonders wichtig sei der Ausbau von Betreuungsplätzen in Kitas und Ganztagsschulen. So können Frauen ihre Arbeitszeit leichter erhöhen oder nach einer Erwerbspause schneller wieder in den Beruf einsteigen. Dabei dürfe nicht nur die Quantität der Angebote im Vordergrund stehen, sondern auch die Qualität. Eltern müssen darauf vertrauen, dass ihre Kinder in guten Händen sind, um sich auf ihre berufliche Tätigkeit zu konzentrieren. In Schweden hat eine familienfreundliche Politik die Erwerbsbeteiligung von Frauen bereits nachhaltig gesteigert. Dort darf das Elterngeld unter anderem auch für Fremdbetreuung verwendet werden, was zu einem früheren Wiedereinstieg der Frauen in den Arbeitsmarkt führt. In vielen Teilen der deutschen Gesellschaft wird jedoch erwartet, dass Frauen die Hauptfürsorge für die Kinder übernehmen. Diese Normen üben erheblichen Druck auf Frauen aus, die trotz Familie beruflich erfolgreich sein wollen. Dass sie immer noch als Rabenmütter stigmatisiert werden, erschwert die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zusätzlich.

In einer alternden Gesellschaft wie der deutschen spielt aber nicht nur die Betreuung von Kindern eine Rolle. Hier nehmen Pflegeverpflichtungen innerhalb von Familien zu, was vor allem Frauen häufig aus dem Arbeitsmarkt drängt. Solange keine angemessene Infrastruktur existiert, die diese Betreuung auffängt, bleibt die Berufstätigkeit vieler Frauen eingeschränkt.

Unternehmenskultur gegen Fachkräftemangel

Neben den politischen Rahmenbedingungen sieht Walwei auch die Unternehmenskultur in der Verantwortung. Unternehmen müssen sich flexibler zeigen und die Bedürfnisse ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stärker berücksichtigen. Walwei zählt sowohl flexiblere Arbeitszeiten auf als auch die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten. Vielen Frauen ermögliche die Mobilarbeit einen leichteren Einstieg ins Arbeitsleben. Sie sparen Zeit für Pendelwege und können ihre Arbeitszeiten an die Betreuung von Kindern und andere familiäre Verpflichtungen anpassen. Um Frauen den Weg in Führungspositionen zu erleichtern, können Unternehmen mehr Teilzeitmodelle für Führungskräfte anbieten. Die Frage, wer befördert wird, hänge nicht selten von der Bereitschaft ab, überdurchschnittlich viele Stunden zu arbeiten - ein Muster, das vor allem Männer bevorteilt, die nachweislich mehr in Vollzeit arbeiten. Walwei schlägt vor, bestehende Beschäftigungsverhältnisse schrittweise zu ändern. Ein Patentrezept gebe es aber nicht. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft müssen gemeinsam daran arbeiten, Frauen nicht länger vor die Wahl zwischen Familie und Beruf zu stellen.

Akademie After Work: Weg vom Herd – Wie erhöhen wir die Frauenerwerbstätigkeit?

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