Gefahren durch Weltraumschrott
So wirken sich Trümmer im Weltall auf die Zukunft der Raumfahrt aus
Der zunehmende Müll im All stellt die Raumfahrt vor Herausforderungen. Seit dem Beginn von Missionen im Weltraum hat die Menschheit Tausende von Satelliten und anderen Objekten in die Umlaufbahn der Erde gebracht. Viele davon sind heute schrottreif und können miteinander kollidieren. Ohne Gegenmaßnahmen sind zukünftige Missionen im Weltall gefährdet. Welche Gefahren gehen vom Weltraumschrott aus und wie können Raumfahrtorganisationen die Risiken im Weltraum minimieren? Über diese Fragen haben Alin Albu-Schäffer, Leiter des Instituts für Robotik und Mechatronik am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, und Aaron Pereira, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Robotik der Technischen Universität München und Mitgründer von Solid Sustainability Research, im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Science und Fiction" der Akademie für Politischen Bildung, des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt und der Hochschule Landshut, diskutiert. Aufhänger war der Science-Fiction Film "Gravity", in dem zwei Astronauten nach einem Unfall mit Weltraumschrott um ihr Leben kämpfen.
Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 29.07.2024
Von: Rebecca Meyer / Foto: Rebecca Meyer
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Seit dem Start des ersten Satelliten Sputnik im Jahr 1957 haben Menschen durch ihre Raumfahrtaktivitäten den Weltraum in eine Müllhalde verwandelt. Den größten Anteil machen Trümmerteile aus, die durch Explosionen, das Zerbrechen von Raumfahrzeugen oder Kollisionen in der Erdumlaufbahn entstanden sind. Hinzu kommen ausgediente Raketenteile, abgeschaltete Satelliten und verlorene Gegenstände von Astronautinnen und Astronauten. Aktuell umkreisen etwa 29.000 erfasste Schrottteile die Erde. Die meisten sind über zehn Zentimeter groß. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schätzen jedoch, dass sich noch etwa eine Million weiterer Teile, die größer als ein Zentimeter sind, und 330 Millionen Teilchen, die größer als ein Millimeter sind, in der Erdumlaufbahn befinden. Wie gefährlich Weltraumschrott ist, bringt der Film "Gravity" auf die Leinwand. Er zeigt zwei Astronauten im Kampf ums Überleben, nachdem ihr Raumschiff mit Trümmern kollidiert ist und zerstört wurde. Wer für Weltraumschrott verantwortlich ist und welche Gefahren er tatsächlich für die Raumfahrt birgt, stand im Mittelpunkt eines Gesprächs zwischen Alin Albu-Schäffer, Leiter des Instituts für Robotik und Mechatronik am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), und Aaron Pereira, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Robotik der Technischen Universität München und Mitgründer von Solid Sustainability Research. Die Veranstaltung war Teil der Reihe "Science und Fiction" der Akademie für Politischen Bildung, des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt und der Hochschule Landshut.
Aktive Satelliten im Weltraum
"Täglich umkreisen Tausende von Satelliten die Erde und obwohl der Weltraum sehr groß ist, steigt das Risiko von Kollisionen kontinuierlich", erklärt Alin Albu-Schäffer. Denn die Raumfahrtorganisationen schicken immer mehr Satelliten ins All. Mit diesen überwachen Forscherinnen und Forscher Umwelt- und Klimaveränderungen, treffen Wettervorhersagen und setzen sie für landwirtschaftliche Anwendungen und Katastrophenmanagement ein. Auch das Global Positioning System (GPS) und andere Navigationssysteme basieren auf einer Konstellation von Satelliten, die die Erde umkreisen. Diese Satelliten senden kontinuierlich Signale zur Erde, die Smartphones und Navigationsgeräte empfangen. Um präzise Standortdaten zu berechnen, benötigt das System Signale von mindestens vier Satelliten. Da die Erde ständig rotiert und die Satelliten mit ihr, ist eine große Anzahl von Satelliten in verschiedenen Umlaufbahnen nötig, um eine lückenlose Abdeckung und damit genaue Standortbestimmung zu gewährleisten.
Inzwischen nutzen Unternehmen den Weltraum zunehmend für wirtschaftlicher Interessen und bieten Dienstleistungen an, die auf Satellitentechnologie basieren, ergänzt Aaron Pereira. Die Kosten für den Bau und den Start von Satelliten sind in den vergangenen Jahren gesunken, was es mehr Unternehmen ermöglichte, in den neuen Markt einzutreten. Ein prominentes Beispiel ist das Unternehmen SpaceX von Elon Musk, das bei seinem Starlink-Projekt große Satellitenkonstellationen nutzt, um eine globale Internetabdeckung zu bieten.
Gefahren durch die Kollisionen von Satelliten
"Mit der Zunahme an Satelliten im Weltraum steigt auch das Risiko von Kollisionen, deren Ausmaß erheblich sind", sagt Albu-Schäffer. Er erinnert an das Jahr 2009, in dem ein russischer Satellit mit einem Kommunikationssatelliten der USA kollidierte, weil es keiner Seite gelang, ihren Satelliten rechtzeitig auf eine andere Flugbahn zu lenken. Die Folge waren rund 2000 bis 2500 neue Schrottteilchen. Erst zwei Jahre zuvor hatte die Menge des Weltraumschrotts sprunghaft zugenommen, als China einen eigenen Wettersatelliten mit einer Rakete abschoss. Übrig blieben 800 Fragmente mit einem Durchmesser von mindestens zehn Zentimetern, 40.000 Trümmerteile zwischen einem Zentimeter und zehn Zentimetern sowie rund zwei Millionen Partikel mit bis zu einem Millimeter. Auch Objekte dieser Größenordnung können im Orbit beträchtlichen Schaden verursachen, warnt Albu-Schäffer. Gefährlich sei die hohe Geschwindigkeit, mit der die Teile fliegen - bis zu 28.000 Kilometer pro Stunde.
Im schlimmsten Fall könnte es zu einer Art Massenkarambolage im All kommen, sagt der Weltraumforscher und erklärt in diesem Zusammenhang den Kessler-Effekt, den der NASA-Wissenschaftler Donald J. Kessler 1978 beschrieb. Eine zunehmende Menge an Weltraumschrott in der Erdumlaufbahn kann zu einer Kettenreaktion von Kollisionen führen. Treffen zwei Satelliten oder Weltraumschrottteile aufeinander, entstehen weitere Trümmerteile, die wiederum andere Satelliten oder Trümmer treffen können. Mit jedem Zusammenprall steigt die Anzahl der Trümmer im Orbit, was die Wahrscheinlichkeit weiterer Kollisionen erhöht. Das könnte letztlich bestimmte Umlaufbahnen unbenutzbar machen, da dort die Gefahr von Kollisionen zu hoch ist. Jahrzehntelang wäre die bemannte Raumfahrt dann nahezu unmöglich. Erst wenn die Trümmerdichte durch gezielte Entfernungsmaßnahmen oder natürliche Prozesse signifikant abnimmt, wären Reisen in den Weltraum wieder denkbar. Auch deshalb beobachten Raumfahrtbehörden wie die NASA und die europäische Raumfahrtagentur (ESA) kontinuierlich die Position von Trümmerteilchen im All. Die Internationale Raumstation (ISS) passt ihre Position mehrmals im Monat an, um Kollisionen zu vermeiden.
Maßnahmen gegen Weltraumschrott
Die beste Maßnahme gegen Weltraumschrott sei, ihn gar nicht erst entstehen zu lassen, sagt Pereira. Dafür müssen die Raumfahrtorganisationen vor allem nachhaltig bauen. Ein Beispiel dafür sind Schutzabdeckungen für empfindliche Satellitenkomponenten, die bisher abgetrennt werden. Ingenieurinnen und Ingenieure könnten stattdessen einen Klappmechanismus konstruieren, um Abfall im Weltraum zu vermeiden. Diese nachhaltige Vorgehensweise lässt sich auch auf Flugkörper anwenden. Bisher nutzen Astronautinnen und Astronauten mehrstufige Raketen, um die Erdumlaufbahn zu erreichen. Leere Treibstofftanks und nicht mehr benötigte Triebwerke trennen sie ab, um höhere Geschwindigkeiten und Umlaufbahnen zu erreichen. Problematisch sei, dass diese Teile weiterhin im All bleiben, erklärt Pereira.
Bisher zögern viele Organisationen, Teile aus dem Weltraum zu bergen, da dies sehr teuer ist. Auch deshalb muss der gesamte Betrieb im Vorhinein auf eine geringere Schrottproduktion ausgerichtet werden, sagt Pereira. Das bedeute aber mehr Reparaturen, Inspektionen und Wartungen. Derzeit arbeiten Ingenieurinnen und Ingenieure daran, Satelliten mithilfe von Robotern zu reparieren. Diese Vorgehensweise sei jedoch noch schwierig und mit hohen Forschungskosten verbunden, ergänzt Albu-Schäffer. Trotzdem sei es langfristig sinnvoller, bestehende Satelliten zu reparieren, als neue ins All zu schicken.
Internationale Zusammenarbeit bei der Beseitigung von Weltraumschrott
Schwierig sei, dass sich momentan niemand für den Müll im Orbit verantwortlich fühle, sagt Pereira. Der Weltraum gehöre zu keinem Staat und der Weltraumvertrag von 1967 regelt nur, dass jede Nation freien Zugang zum All hat und kein Land Gebietsansprüche auf andere Himmelskörper erheben darf. Inzwischen sei das Bewusstsein für das Müllproblem im All zwar gewachsen, eine rechtliche Regelung aber noch nicht vorhanden. Ähnlich wie bei der Klimakrise sei der Unterschied zwischen dem Wissen über die nötigen Maßnahmen und dem tatsächlichen Handeln oft sehr groß. Pereira wünscht sich klare Richtlinien und Abkommen auf internationaler Ebene, die die Anzahl der im Orbit befindlichen Satelliten regulieren und die Verantwortung für Weltraumschrott regeln. 2019 einigten sich die Raumfahrtinstitutionen bei einer Konferenz der ESA darauf, besonders wichtige Umlaufbahnen von Müll freizuhalten. Das sei zwar rechtlich unverbindlich, gebe aber Hoffnung, sagt Pereira. Die internationale Gemeinschaft müsse den Weltraum nicht nur als einen Ort des Wissens und der Entdeckung, sondern auch als zu schützenden Raum behandeln, um das All für zukünftige Generationen zu erhalten. Nur so kann verhindert werden, dass sich die fiktiven Ereignisse aus "Gravity" in der Realität wiederholen.