Desinformation im Wahlkampf
So beeinflussen Fake News die Meinungsbildung
Desinformationen sind eine Gefahr für die Demokratie. Sie zielen bewusst darauf ab, Menschen zu täuschen und in ihrer Meinungsbildung zu beeinflussen. Besonders im Vorfeld von Wahlen treten Fake News vermehrt auf und verbreiten sich rasend schnell über Social Media. Künstliche Intelligenz verschärft diese Dynamik weiter. Wie sehr lenkt Desinformation die politische Meinungsbildung und Wahlentscheidung der Bürgerinnen und Bürger? Welche Gegenmaßnahmen müssen Staat und Gesellschaft ergreifen? Darüber haben beim Akademiegespräch am See die Autorin, Publizistin und Netzaktivistin Katharina Nocun und Simon Bölts von Cosmonauts & Kings diskutiert. Das Gespräch fand statt im Rahmen der Tagung "Demokratie im digitalen Zeitalter: Das Superwahljahr 2024" in der Akademie für Politischen Bildung.
Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 19.07.2024
Von: Rebecca Meyer / Foto: Rebecca Meyer
Programm: Akademiegespräch am See: Meinungsbildung und Wahlkampf im digitalen Zeitalter
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Im Dezember 2023 wird ein gefälschter Spiegel-Artikel veröffentlicht. Der Beitrag warnt davor, dass eine Konfrontation der USA mit Russland und China zum Dritten Weltkrieg führen könne. Schnell wird klar, dass es sich um eine Fälschung handelt. Mit professioneller Berichterstattung hat dieser Bericht nichts zu tun. Einige Sätze enthalten Sprachfehler, wirken übertrieben und transportieren Meinungen und Wertungen. Die URL der Website lautet spiegel.ldt statt spiegel.de. Faktencheckerinnen und Faktenchecker von Correctiv bringen die Website in Verbindung mit russischen Propaganda-Unternehmen, die seit 2022 verstärkt gefälschte Websites deutscher und internationaler Medien auf Social Media verbreiten. Dennoch glauben viele Menschen der Fälschung und fürchten, bald in einen Krieg zu geraten. Manche fordern die Bundesregierung auf, keine Waffen mehr an die Ukraine zu liefern. Die russische Desinformationskampagne feiert Erfolge - wenn auch nur kleine. Obwohl die EU russische Unternehmen bereits mit Sanktionen belegt hat, setzt das Propaganda-Netzwerk seine Tätigkeiten auf Facebook, Instagram, Telegram und X fort. Wie groß ist der Einfluss von Desinformationskampagnen? Und was können Politik und Gesellschaft dagegen unternehmen? Beim Akademiegespräch am See haben die Autorin, Publizistin und Netzaktivistin Katharina Nocun und Simon Bölts von Cosmonauts & Kings, einem Anbieter für digitale politische Kommunikation, über Meinungsbildung und Wahlkampf im digitalen Zeitalter diskutiert. Das Gespräch war Teil der Tagung "Demokratie im digitalen Zeitalter: Das Superwahljahr 2024" der Akademie für Politischen Bildung, der Gesellschaft für Informatik e.V., der Initiative D21 e.V. und des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Europarecht und Informationstechnologierecht der Universität Passau.
Desinformationen um Wahlbetrug
"Wir beobachten seit Jahren, dass Desinformationskampagnen aus dem Ausland dazu beitragen, Misstrauen gegenüber demokratischen Strukturen zu streuen", sagt Katharina Nocun. Doch die Bedrohung komme nicht ausschließlich von außen. Vor der Bundestagswahl 2021 verbreitete die AfD das Gerücht, dass insbesondere bei der Briefwahl Wahlbetrug drohe. Sie rief die Bevölkerung dazu auf, sich als Wahlhelferinnen und Wahlhelfer zu melden, um die Auszählung der Stimmen zu kontrollieren. Mit dieser Strategie schürte die Partei Zweifel an den Ergebnissen der Wahl und der Legitimität der gewählten Vertreterinnen und Vertreter. Sind derartige Kampagnen erfolgreich, schwächen sie in Teilen der Gesellschaft das Vertrauen in staatliche Institutionen. Im schlimmsten Fall könne das zu einer geringeren Wahlbeteiligung führen, da Bürgerinnen und Bürger hinterfragen, ob ihre Stimme zählt und die Wahlen rechtmäßig sind, sagt Nocun.
Es ist einfacher, das Misstrauen der Bevölkerung gegenüber knappen Wahlergebnissen zu schüren, weil nur wenige Stimmen den Unterschied zwischen Sieg und Niederlage ausmachen. Eine Wahlfälschung erscheint plausibel, da selbst kleine Manipulationen das Ergebnis entscheidend beeinflussen können. Wählerinnen und Wähler könnten dann eher bereit sein, die Ergebnisse anzufechten. 2020 beispielsweise lieferten sich der amtierende US-Präsident Donald Trump und sein Herausforderer Joe Biden ein Kopf-an-Kopf-Rennen um das Weiße Haus, das Biden schließlich für sich entschied. Obwohl es dafür keine konkreten Hinweise gab, sprach Trump von Wahlbetrug und forderte seine Anhängerinnen und Anhänger zum Boykott des Wahlergebnisses auf. Mehrere Tausend Menschen versammelten sich am 6. Januar 2021 vor dem Kapitol in Washington D.C., um zu verhindern, dass Biden vereidigt wird. Der Protest eskalierte. Hunderte Protestierenden stürmten das Kapitol, verwüsteten die Räume und griffen Polizistinnen und Polizisten an. Am Ende waren mehrere Menschen tot. Die Medien sprechen von einem schwarzen Tag für die Demokratie.
Desinformation und Verlust des Vertrauens in die Demokratie
Stellen Menschen die Integrität von Wahlen und demokratischen Prozessen infrage, kann das den Nährboden für weitere Verschwörungserzählungen und Desinformationen bilden, ergänzt Simon Bölts. Der Einfluss unabhängiger Medien, denen Populisten wie Trump und die AfD vorwerfen, einseitig und verzerrt zu berichten, sinkt - und damit das Vertrauen in eine Kontrollinstanz. Manche Bürgerinnen und Bürger verlassen sich vermehrt auf parteiische oder sogenannte "alternative" Medien, die ihre bestehenden Überzeugungen bestätigen, anstatt sich umfassend zu informieren. Das fördere ein Umfeld, in dem Emotionen und Vorurteile wichtiger sind als Fakten, erklärt Nocun.
Obwohl Fake News Menschen aus verschiedenen Mileus erreichen, sind manche anfälliger für sie als andere. Nocun erklärt in diesem Zusammenhang den Effekt der "Blue Lies". Menschen verbreiten manchmal Dinge, von denen sie wissen, dass sie nicht wahr sind. Das kann aus Solidarität zur eigenen Gruppe geschehen oder daraus resultieren, dass sie dem politischen Gegner grundsätzlich misstrauen. Der Effekt funktioniere besonders gut bei Gruppierungen, die bereits stark an eine schweigende Mehrheit innerhalb ihrer Reihen glauben. Diese Gruppierungen präsentieren sich dann als die legitimen Vertreterinnen und Vertreter dieser vermeintlich schweigenden Mehrheit, die gegen die Eliten kämpfen will. Das trägt dazu bei, das Vertrauen in demokratische Prozesse zu untergraben und die gesellschaftlichen Spaltungen zu vertiefen.
Verbreitung von Desinformation durch Künstliche Intelligenz
"Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz erleichtert die Verbreitung von Fake News erheblich", warnt Nocun. Künstliche Sprachsysteme und automatisierte Tools können eine viel größere Menge an Desinformation in verschiedenen Formen erzeugen. Mittlerweile habe sich die Qualität der Fake News rasant weiterentwickelt und es wird immer schwieriger für Laien, unnatürlich aussehende Bilder oder manipulierte Texte zu erkennen. Inzwischen sei es sogar möglich, gefälschte Fotos von Leserinnen und Lesern für Zeitungen zu erstellen, erzählt Nocun.
Die Gesellschaft sei nicht ausreichend auf die fortschrittlichen KI-Fakes vorbereitet, stimmt Simon Bölts zu. In der Praxis zeige sich aber, dass es nicht notwendig sei, auf Künstliche Intelligenz zurückzugreifen, um Menschen zu täuschen. Personen, die Desinformationen verbreiten, nutzen vorrangig traditionelle Methoden. Sie verwenden Bilder aus vergangenen Konflikten wieder oder manipulieren Fotos mit Photoshop. Auch deswegen dürfe keine übermäßige Unsicherheit gegenüber Künstlicher Intelligenz verbreitet werden. KI sei nicht per se gut oder böse, erklärt Bölts. Die Entwicklung von KI-Fakes schreite jedoch so rasant voran, dass es wichtig sei, jetzt darüber zu reden und nicht erst, wenn die Fälschungen sich kaum mehr von echten Inhalten unterscheiden, entgegnet Nocun. Beide sind sich einig, dass es im Kontext von Künstlicher Intelligenz und Desinformation auf den verantwortungsvollen Umgang mit der neuen Technologie ankomme.
Desinformation stoppen und kritisches Denken fördern
Es benötige nur eine gut informierte Person auf 25.000 Menschen, um eine Desinformationswelle zu brechen und die Vebreitung von Fake News zu reduzieren, sagt Bölts. Diese Person kann Fakten verbreiten, kritisches Denken fördern und dazu beitragen, die Öffentlichkeit vor falschen Informationen zu schützen. Auch deshalb müsse der Staat in Bildung und Medienkompetenz investieren und den Bürgerinnen und Bürgern helfen, Desinformation zu erkennen.
Außerdem sei es unerlässlich, das Vertrauen in Institutionen und Mechanismen aufrechtzuerhalten. Das erfordere eine klare Kommunikation und Transparenz seitens des Staates und der Zivilgesellschaft, um zu zeigen, dass die Kontrollinstanzen effektiv arbeiten und die Öffentlichkeit schützen. Qualitätsjournalismus sollte unterstützt werden, um die Verbreitung verlässlicher und gut recherchierter Nachrichten sicherzustellen. Neben klassischen Medien sind auch Faktenprüfungsdienste von Bedeutung, da sie Desinformationen identifizieren und widerlegen. Ohne die Social-Media-Plattformen, die eigene Maßnahmen gegen die Verbreitung von Desinformation ergreifen müssen, gehe es jedoch nicht, sagt Nocun.