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Osteuropa und die NATO

So entwickelt sich das Bündnis seit dem russischen Angriffskrieg

Der Überfall auf die Ukraine hat gezeigt, dass Frieden nicht selbstverständlich ist. Besonders postsowjetische Staaten sehen sich spätestens seit Februar 2022 von Russland bedroht. Infolgedessen hat die NATO an Bedeutung und Aufmerksamkeit gewonnen. Staaten wie Polen rüsten auf und bilden über die NATO hinaus Partnerschaften, um ihre gemeinsamen Interessen zu organisieren. In der Tagung "Osteuropa, EU und NATO: Vom Mauerfall zum russischen Überfall" der Akademie für Politische Bildung und AMUROST e.V. haben Expertinnen und Experten über die sicherheitspolitische Lage osteuropäischer Staaten und die zukünftige Entwicklung der NATO gesprochen.

Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 18.06.2024

Von: Charlotte Emmerich / Foto: Charlotte Emmerich

Programm: Osteuropa, EU und NATO

Osteuropa, EU und NATO

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"Der Artikel 5 des NATO-Vertrags ist die erfolgreichste Sicherheitsgarantie aller Zeiten", sagt Arndt Freytag von Loringhoven, ehemaliger deutscher Botschafter in Polen und Tschechien. Er erklärt, dass kein Land nach seinem Beitritt angegriffen wurde. Der Artikel hält fest, dass ein Angriff auf einen Mitgliedsstaat als Angriff auf alle Mitgliedsstaaten gewertet wird. Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine und den Menschenrechtsverletzungen dort schauen sich vor allem osteuropäische Staaten nach Sicherheitsstrukturen um. Die NATO gilt dabei als attraktives Abschreckungsinstrument gegen militärische Angriffe. Viele osteuropäische Staaten wie die Republik Moldau fühlen sich seit Jahren von Russland bedroht. Moldau sieht sich in einer ähnlichen Lage wie die Ukraine vor Kriegsbeginn. Etwa 2000 russische Soldatinnen und Soldaten sind in Transnistrien stationiert. In der Region leben viele Russischstämmige, der Einfluss Russlands ist dort groß. Durch das Narrativ, die russische Bevölkerung in der Region stehe unter dem Druck der moldauischen Regierung, könnte Russland versuchen, einen Angriff auf die Republik Moldau zu rechtfertigen. Bisher hat Moldau zwar nicht um eine NATO-Mitgliedschaft gebeten, arbeitet aber beispielsweise durch den Individuellen Partnerschaftsaktionsplan eng mit der NATO zusammen. Die zunehmende Bedeutung Osteuropas in der aktuellen Sicherheitspolitik führt in der NATO zu einer Verschiebung gen Osten. In der Tagung "Osteuropa, EU und NATO: Vom Mauerfall zum russischen Überfall" der Akademie für Politische Bildung und AMUROST e.V. haben Fachleute über das Sicherheitsbedürfnis Osteuropas und die Entwicklungstendenzen der NATO diskutiert.

Osteuropa bündelt seine Interessen

Ob nun eine unmittelbare Gefahr von Russland ausgeht oder nicht - die osteuropäischen Staaten sehen es als notwendig an, sich von Russland unabhängig zu machen und auf einen möglichen Angriff vorbereitet zu sein. Beispielsweise stellte Polen 2023 fast vier Prozent seines Bruttoinlandproduktes für militärische Ausgaben bereit - mehr als jedes andere NATO-Mitglied. Für 2024 wird eine Steigerung auf über vier Prozent erwartet. Allerdings belastet dieses Ausmaß den polnischen Staatshaushalt und findet in der Gesellschaft wenig Akzeptanz. Polen bemüht sich, internationale Partner zu gewinnen - sowohl für Rüstungslieferungen, beispielsweise aus Südkorea, als auch um Interessen zu bündeln. Dabei sind die Nachbarn an der Ostsee besonders attraktiv. Gemeinsam mit Deutschland, Dänemark, Schweden, Finnland, Litauen, Estland und Lettland arbeitet Polen daran, die Sicherheit in der Region zu erhöhen.

In der Drei-Meere-Initiative arbeiten zwölf Staaten an der Ostsee, am Mittelmeer und am Schwarzen Meer wirtschaftlich zusammen. Beispielsweise soll der Bau eines Gasterminals auf der kroatischen Insel Krk die Energieabhängigkeit aller Mitglieder von Russland senken. 2015 gründeten der polnische und der rumänische Präsident außerdem die Bukarest Neun, ein Zusammenschluss von Estland, Lettland, Litauen, Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Rumänien und Bulgarien. Die Organisation ist eine Reaktion auf die Krim-Annexion und symbolisiert den Zusammenhalt Osteuropas. Zugleich bilden die Staaten - mit Ausnahme von Tschechien - die sogenannte Ostflanke der NATO, die eine Art Schutzwall gegenüber Russland bildet.

Bedeutungsgewinn der NATO-Ostflanke

In den vergangenen Jahren hat die Ostflanke an Bedeutung und damit auch an Investitionen gewonnen. Neben den Soldatinnen und Soldaten der jeweiligen Länder stellen auch andere NATO-Mitgliedsstaaten militärische Kräfte zur Verfügung. So sind in Polen beispielsweise 122.500 heimische Soldatinnen und Soldaten sowie 11.600 alliierte Kräfte unter US-amerikanischer Führung stationiert. Darüber hinaus verfügt die Ostflanke über eine umfangreiche NATO-Luftüberwachung. Aufgrund der erhöhten militärischen Einsatzbereitschaft osteuropäischer Staaten und der Stärkung der Ostflanke sprechen Expertinnen und Experten von einer "Ostverschiebung" innerhalb der NATO. Mit den NATO-Beitritten Schwedens und Finnlands, die eine unmittelbare Reaktion auf den Angriff auf die Ukraine sind, ist auch der Begriff einer "Nordostverschiebung" im Gespräch.

Die neuen Partnerschaften in Osteuropa zielen darauf ab, im Ernstfall auf eigenen Beinen zu stehen. Die Stärkung der östlichen NATO rührt auch aus der unsicheren Zukunft der transatlantischen Beziehungen. Mit nervösem Blick schaut Europa auf die Präsidentschaftswahlen 2024 in den USA. Sollte Donald Trump erneut gewählt werden, könnte das negative Auswirkungen auf den Zusammenhalt innerhalb der NATO haben. Denkbar ist, dass Trump selbst in einem Bündnisfall keine Hilfe leistet. "Die USA müssen zu jedem Mitglied stehen", fordert Freytag von Loringhoven deshalb und warnt vor einer Zerrüttung der NATO: "Wenn die Rückversicherung einmal infrage gestellt wird, schafft das Unsicherheit im gesamten NATO-Raum."

NATO-Erweiterung scheint unwahrscheinlich

Obwohl Bürokratie und lange Verhandlungen mit Beitrittskandidaten nach der raschen Aufnahme Schwedens und Finnlands für manche nicht mehr notwendig erscheinen, stellen die beiden Länder eine Ausnahme dar. Sogar Beitrittskandidaten mit einem Membership Action Plan, einer Art Beitrittsvorstufe, wie Bosnien und Herzegowina, haben in naher Zukunft keine Aussicht auf eine Mitgliedschaft.

Im Fall von Serbien hat die NATO zwar eine Beitrittskandidatur angeboten, doch das Land strebt zurzeit lediglich eine Partnerschaft mit der NATO an. Seit 2015 ist das Land Teil des Individuellen Partnerschaftsaktionsplans - die engste Zusammenarbeit mit der Nato, die ohne Mitgliedschaft möglich ist. Fraglich ist, wie viel Interesse Serbien tatsächlich an einem NATO-Beitritt hat. Erst vor 25 Jahren hat die NATO ohne vorliegenden Bündnisfall und ohne UN-Mandat das damalige Jugoslawien bombardiert. Grund dafür war die Nichtunterzeichnung eines Friedensvertrags zwischen Jugoslawien und dem Kosovo. Der Einsatz ist bis heute völkerrechtlich umstritten. Zudem besteht eine enge Verbindung zwischen Serbien und Russland. Neben einer starken Abhängigkeit von russischen Energielieferungen verweist Marie-Janine Calic von der Ludwig-Maximilians-Universität München auf die Rolle Russland in Serbiens Kosovopolitik. Solange Russland von seinem Vetorecht Gebrauch macht, kann das Kosovo nicht in die Vereinten Nationen aufgenommen werden und erhält keinen Staatsstatus. Das Gebiet des Kosovo hat sich 2008 von Serbien unabhängig erklärt und strebt die staatliche Souveränität an. Sollte Serbien Interesse an einer NATO-Mitgliedschaft zeigen, läuft es Gefahr, die Unterstützung Russlands und damit das Kosovo zu verlieren.

Im Falle der Ukraine spricht vor allem der aktuelle Kriegszustand gegen eine Aufnahme. Aus US-amerikanischen Reihen kommt laut Freytag von Loringhoven der Vorschlag des "Deutschlandmodells". Die Bundesrepublik trat der NATO bereits 1955 bei, das Gebiet der DDR folgte nach der Wiedervereinigung Deutschlands. Für eine schrittweise Aufnahme der Ukraine bräuchte es jedoch eine feste Grenze sowie einen Waffenstillstand. Wäre das gegeben, sei ein Beitritt eines "freien Teils" der Ukraine möglich - sofern die Mitgliedsstaaten zustimmen.

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