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Aktuelle Entwicklungen im Nahen Osten

Internationale Zusammenarbeit und Konflikte in Wirtschaft, Klima und Sicherheit

Die Staaten des Nahen Ostens entwickeln sich zu selbstbewussten Akteuren auf der internationalen Bühne. Länder wie Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate vertreten eine robuste Außenpolitik, die unter anderem in innenpolitischen Interessen begründet ist. Wirtschaftsmächte wie China und Indien sind auf die geographischen Vorzüge der Region aufmerksam geworden und präsentieren sich dort als Alternative zu den USA. Der Klimawandel hingegen bringt die Sicherheit des Nahen Ostens in Gefahr. In der Tagung "Die MENA-Region im Fokus: Aktuelle Entwicklungen, regionale Zusammenhänge und Perspektiven" der Akademie für Politische Bildung, der Jungen Gesellschaft für Sicherheitspolitik und Middle East Minds haben sich Expertinnen und Experten mit Fragen der Internationalen Beziehungen, der Wirtschaftszusammenarbeit und der Sicherheitspolitik im Nahen Osten beschäftigt.

Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 06.06.2024

Von: Charlotte Emmerich / Foto: Charlotte Emmerich

Programm: Die MENA-Region im Fokus

Die MENA-Region im Fokus

Flickr-Galerie © Akademie für Politische Bildung Tutzing. Bitte klicken Sie auf das Foto, falls die Galerie nicht lädt. Sie werden zu Flickr weitergeleitet.

"Autokratien stehen nicht mehr mit dem Rücken zur Wand", sagt Thomas Demmelhuber vom Lehrstuhl für Politik und Gesellschaft des Nahen Ostens an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Stattdessen präsentieren sich die Staaten am Persischen Golf selbstbewusst und unabhängig. Sie sind gefragt in regionalen und internationalen Kooperationen. In den vergangenen beiden Jahrzehnten hat sich die MENA-Region, wie der arabischsprachige Raum auch genannt wird, stark verändert. Viele Staaten im Nahen Osten haben ein neues Selbstbewusstsein entwickelt, wenn es um ihre Rolle in der Welt geht. Schließlich ist die Region aufgrund ihrer Energiequellen und ihrer Lage an wichtigen Handelspunkten global gefragt. In der Tagung "Die MENA-Region im Fokus: Aktuelle Entwicklungen, regionale Zusammenhänge und Perspektiven" der Akademie für Politische Bildung, der Jungen Gesellschaft für Sicherheitspolitik und der Middle East Minds haben sich Fachleute mit aktuellen Trends im Nahen und Mittleren Osten beschäftigt.

Das neue Selbstbewusstsein des Nahen Ostens

Für Thomas Demmelhuber sind die Umbrüche des Arabischen Frühlings von 2011 noch nicht vorbei. Regionale Neuordnungsprozesse dauern an und werden durch Veränderungen in den internationalen Strukturen verstärkt. Als Folge von Revolutionsversuchen und politischen Verschiebungen ist Demmelhuber zufolge unter den Staaten des Nahen Ostens ein Aufstreben sogenannter "wanna-be hegemons" zu beobachten. Zwar gebe es keinen wirklichen Hegemonen der Region, doch die Vormachtstellung sei das Ziel vieler regionaler Akteure, die im Nahen Osten in Konkurrenz zueinander stehen. Schließlich ist eine robuste Außenpolitik für Autokraten gleichzeitig eine Legitimationsstrategie nach innen. Seit sich die USA aus der Region zurückgezogen haben, arbeiten die Staaten des Nahen Ostens an einer eigenständigen proaktiven Außenpolitik.

Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate beispielsweise entdecken eine "neue Selbstwahrnehmung ihrer Akteursqualität", sagt Demmelhuber. Sie sind sich ihres Werts als eigenständige und international unabhängige Staaten bewusst. Zudem stehen ihnen in Verhandlungen aufgrund ihrer Unabhängigkeit Alternativen zur Verfügung. Die Staaten haben ein zunehmendes Interesse an internationalen Partnerschaften, achten dabei aber stets darauf, ihre Unabhängigkeit nicht aufs Spiel zu setzen. Denn es ist ein Vorteil gegenüber dem Westen, nicht an Bündnisse oder internationale Organisationen wie die Europäische Union oder die NATO gebunden zu sein. Zudem haben Autokratien keine Schwierigkeiten damit, mit anderen Autokratien zu verhandeln. Bei Verhandlungen von Konflikten spielen sie eine privilegierte Rolle, da sich europäische Staaten häufig zurückhaltend verhalten. Beispielsweise bietet sich Saudi-Arabien als Vermittler zwischen Russland und der Ukraine an. Länder wie Deutschland und Frankreich hätten aufgrund ihrer klaren Stellungnahme zu Russlands Angriffskrieg geringere Erfolgschancen.

Der Nahe Osten im Zentrum wirtschaftlicher und geopolitischer Interessen

Auch wirtschaftliche Unabhängigkeit ist Saudi-Arabien wichtig. Durch das Projekt "Saudi Vision 2030", das sowohl gesellschaftliche als auch wirtschaftliche Reformen beinhaltet, macht sich Saudi-Arabien beispielsweise schrittweise unabhängig vom Rohölsektor. Geplant ist, die Nicht-Öl-Exporte auf 50 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu steigern. Die Regierung nutzt Megatrends wie den Klimaschutz systematisch für übergeordnete Interessen. Dazu zählt, ihre Macht zu legitimieren und auszuweiten.

In einem Land, in dem fast zwei Drittel aller Einwohnerinnen und Einwohner unter 30 Jahre alt sind, sind Versprechen für die Zukunft besonders wichtig. Mit "Neom" plant Saudi-Arabien ein umfassendes Siedlungsprojekt und den Bau hochmoderner, klimafreundlicher Städte. Die Technologie dafür liefert China. Das Land hat das Potenzial des Nahen Ostens erkannt. Kritikerinnen und Kritiker sehen insbesondere in der Überwachungstechnologie ein sicherheitspolitisches Problem, denn was genau mit den aufgezeichneten Daten passiert, ist unklar. Für die Vertragspartner gilt die Partnerschaft jedoch als erfolgreiche Zusammenarbeit. China hat einen Käufer für seine Technologie und Saudi-Arabien hält seine Zukunftsversprechen günstig.

China und Indien als Rivalen im Nahen Osten

China investiert seit 2013 immens in die Belt and Road Initiative, ein neues Netzwerk globaler Handelswege. Der Nahe und Mittlere Osten mit seinen wichtigen Handelspunkten an Land und im Wasser ist dafür eine entscheidende Region. Mit den Investitionen verfolgt China nicht nur wirtschaftliche Interessen, sondern auch geopolitische Strategien. Zum einen versucht China, die Kontrolle über strategisch wichtige Punkte wie Meerengen, sogenannte Choke points, zu erlangen, zum anderen zeigt es Präsenz im Nahen Osten. Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate gelten in der Geopolitik als "wahnsinnig ambitioniert", sagt Wolfgang Mühlberger von Menalytics. Die Zusammenarbeit mit China beruht vermehrt auf alten Ressentiments, beispielsweise auf dem Anti-Amerikanismus, der in der Region stark verbreitet ist. Auch durch Rüstungsexporte und militärische Übungen in den Küstenregionen des Omans präsentiert sich China im Nahen Osten als Alternative zu den USA.

Als Alternative zu China hingegen positioniert sich Indien. Der International North-South Transport Corridor ist eine Gegeninitiative zu Chinas Belt and Road Initiative. Indien führt ebenfalls militärische Übungen durch. Diese finden gemeinsam mit den Vereinigten Arabischen Emiraten und Saudi-Arabien an Land statt. Darüber hinaus baut Indien mit den Golfstaaten die gemeinsame Forschung und Entwicklung von Satelliten- und Weltraumtechnologie auf. 2017 brachte Indien bereits Satelliten der Vereinigten Arabischen Emirate über den Weltraumbahnhof Satish Dhawan Space Center ins All. Mit der Gründung der Arab Space Innovation Group von elf arabischen Staaten wird die Zusammenarbeit in Zukunft verstärkt.

Der Klimawandel bedroht die Sicherheit im Nahen Osten

Nicht nur die wirtschaftliche Zusammenarbeit erfordert in Zukunft politisches Handeln. Schon jetzt sind die Auswirkungen des Klimawandels im Nahen Osten zu spüren. Der Irak gilt als eines der Länder weltweit, die am stärksten vom Klimawandel betroffen sein werden. Das Marschland Al-Ahwar im Süden des Landes zwischen den Flüssen Euphrat und Tigris droht zu vertrocknen. Sandstürme vermindern die Luftqualität und sind gefährlich für die Gesundheit. Sommer mit Temperaturen über 50 Grad sind keine Seltenheit. Migrationsbewegungen entstehen, weil Gebiete unbewohnbar oder unbewirtschaftbar werden. Wassermangel und versalzene Böden führen zu steigenden Lebensmittelpreisen und Hungersnöten. Der Klimawandel zerstört nicht nur Lebensräume für Mensch und Tier, nimmt Bäuerinnen und Bauern ihre Lebensgrundlage und richtet gesundheitliche Schäden an. Darüber hinaus kann die fortschreitende Klimakatastrophe auch Auswirkungen auf die innere und äußere Sicherheit eines Staates haben. Wenn sich starke Unzufriedenheit und Not in der Bevölkerung ausbreitet, kommt es schnell zu Unruhen. Besonders riskant ist dies in ohnehin schon instabilen Staaten, denn "schwache Staatlichkeit ist Nährboden für Radikalität", sagt Christoph Leonhardt von Middle East Minds. Die Unterstützung für paramilitärische und ähnliche Gruppierungen könnte im gesamten Nahen und Mittleren Osten steigen.

Eine weitere Herausforderung, vor der der Irak steht, ist der sogenannte "water stress". Nur zwei Prozent der Wasserversorgung kommen aus dem Grundwasser. Der Irak ist stark abhängig von seinen Nachbarländern und ihren Wasserzuflüssen - insbesondere, wenn es in Zukunft zu weniger Niederschlägen kommt. Euphrat und Tigris sind die wichtigsten Flüsse für seine Wasserversorgung. Sie entspringen in der Türkei und fließen über Syrien in den Irak. Seit Jahrzehnten ist die regionale Wasserversorgung Gegenstand zwischenstaatlicher Konflikte, die bisher zu keiner Lösung geführt haben. Mit dem Ilisu-Staudamm hat die türkische Regierung die Möglichkeit, die Wasserversorgung im Irak um bis zu 60 Prozent zu senken. "Der Irak kann es sich nicht leisten, Euphrat und Tigris aufzugeben", warnt Nick Almstädt von Middle East Minds. Wegen der angespannten Beziehungen verhandelt die Europäische Union seit Jahren mit den beiden Staaten über ein gemeinsames Wassermanagement. Bisher führte die "Water diplomacy" jedoch zu keiner Einigung. Es ist unklar, wie sich dieses Verhältnis weiterhin entwickelt, insbesondere in Anbetracht steigender Dringlichkeit. Klar ist aber, dass es möglichst bald zu einer Lösung kommen sollte. Nicht nur, um die Wasserversorgung im Irak zu gewährleisten, sondern auch, um die zwischenstaatlichen Beziehungen im Nahen Osten zu entspannen.

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