Die neuen Dimensionen von Sicherheit
Forum Verfassungspolitik zu Gesundheit, Klimaschutz, Energiesicherheit und Cybersicherheit
Hohe Energiepreise, spürbare Auswirkungen des Klimawandels, die Folgen der Corona-Pandemie und Cyberangriffe bereiten Bürgerinnen und Bürgern, aber auch Unternehmen Sorgen. Staatliche Sicherheit umfasst deshalb längst nicht mehr nur den Schutz vor Gewalt. Inzwischen zählen dazu auch die Bereiche Energiesicherheit, Klimaschutz, Gesundheit und Cybersicherheit. Das Forum Verfassungspolitik der Akademie für Politische Bildung und des ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, hat sich unter dem Titel "Staatsaufgabe Sicherheit" mit den neuen sicherheitsorientierten staatlichen Aufgaben befasst.
Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 11.01.2023
Von: Sara Ritterbach Ciuró / Foto: Sara Ritterbach Ciuró
Programm: Forum Verfassungspolitik: Staatsaufgabe Sicherheit
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"Nach der Wandlung des absolutistischen Staates zum Rechts- und Verfassungsstaat sieht sich der moderne Staat westlicher Prägung immer wieder mit weiteren neuartigen Aufgaben konfrontiert", sagt der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier. Demnach bedeutet Sicherheit nicht mehr nur der Schutz vor Gewalt. Auch Energiesicherheit, Cybersicherheit, Klimaschutz und Gesundheit sind für das Funktionieren eines Staates zunehmend von Bedeutung. Im Rahmen des Forums Verfassungspolitik, das die Akademie für Politische Bildung jährlich gemeinsam mit Hans-Jürgen Papier veranstaltet, haben Fachleute über die neuen Dimensionen, aber auch über die Grenzen der "Staatsaufgabe Sicherheit" diskutiert.
Stärkung der Energiesicherheit
Spätestens seit dem Angriffskrieg auf die Ukraine und den unsicheren Erdgaslieferungen aus Russland ist die Energiesicherheit in Deutschland Dauerthema. Denn sowohl für die elementare Grundversorgung der Bevölkerung als auch für die Funktionsfähigkeit der Wirtschaft ist eine verlässliche Energieversorgung unerlässlich, sagt Charlotte Kreuter-Kirchhof, Direktorin des Düsseldorfer Instituts für Energierecht an der Heinrich-Heine-Universität. Die europäischen Staaten haben sich jedoch lange abhängig von russischen Energieimporten gemacht. Mit Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine wurde Energie zur Kriegswaffe. Wie viel Gas wann durch die Pipeline strömt, kann niemand vorhersagen.
Damit sich die aktuelle Energiekrise nicht wiederholt, muss die Energiesicherheit gestärkt werden. Miranda Schreurs von der Hochschule für Politik in München betont, dass neben dem Ausbau von erneuerbaren Energien auch das Energiesystem überarbeitet werden müsse. Eine diversifizierte und dezentralisierte Energiestruktur sei notwendig, da nur so eine langfristige und bei Attacken auch resiliente Energiesicherheit besteht. Bayern ist deswegen schon lange im Wasserstoffbereich tätig und möchte Wasserstoff auch in der Industrie als Ersatz für Erdgas voranbringen. Laut Klaus-Peter Potthast vom Bayerischen Wirtschaftsministerium ist aber auch der Umbau der Wirtschaft für die Energiesicherheit von Relevanz. Ihm zufolge muss dafür gesorgt werden, "dass vieles, was heute aus fossilen Rohstoffen gewonnen wird, zum Beispiel Kunststoffpolymere, in Zukunft über nachwachsende Rohstoffe bewältigt wird."
Wie wahrscheinlich ist ein Blackout in Deutschland?
Momentan stehen im Fokus der politischen Maßnahmen allerdings die Vermeidung von Blackouts sowie finanzielle Entlastungen. Beschlüsse wie die Gaspreisbremse oder auch Härtefallfonds sollen ausreichende und bezahlbare Energie sicherstellen. Aber wie wahrscheinlich ist ein Blackout in Deutschland überhaupt? Laut Matthias Cord vom Stromwerksverbund Thüga zeigen Stresstests nur geringe Risiken im Stromnetz. Ungünstige Voraussetzungen können diese Risiken aber vergrößern und in einzelnen Bereichen des Landes stundenweise zu Stromausfällen führen. Beispielsweise wenn Frankreich seine Kernkraftwerke nicht mehr hochfährt, die gerade wegen Wartungen oder Reparaturen außer Betrieb sind. Eine kritische Situation entsteht laut Cord außerdem, wenn Niedrigwasser herrscht. Denn das führt dazu, dass Schiffe nur mit halber Ladung fahren können oder Steinkohlelieferungen ganz ausfallen. Außerdem wäre es problematisch, wenn nicht alle Kraftwerke in Deutschland nach dem Ersatzkraftwerkbereithaltungsgesetz an den Markt zurückkehren. Das Gesetz sieht vor, dass aufgrund der aktuellen Gasknappheit die Stromerzeugung soweit wie möglich durch andere Energieträger ersetzt wird, beispielsweise durch Kohlekraftwerke - auch wenn diese sich aktuell in Reserve befinden oder nur bedingt betriebsbereit sind.
Klimaschutz trotz Energiekrise
Die Frage nach der Energiesicherheit kann aber nicht mehr losgelöst vom Klimaschutz betrachtet werden. Der von Menschen verursachte Klimawandel findet bereits statt. Das zeigen extreme Wetterereignisse wie die Flutkatastrophe im Ahrtal. Deswegen ist es wichtig, die globale Erderwärmung auf maximal zwei Grad zu beschränken. Jenseits dieses Ziels kann der Mensch die nachteiligen Auswirkungen nicht mehr kontrollieren. Um das zu erreichen, muss die Welt spätestens 2050 klimaneutral sein. Das Energierecht und die Energiepolitik in Deutschland und Europa verfolgen deshalb drei Ziele: Eine verlässliche, bezahlbare, aber eben auch umwelt- und klimafreundliche Energieversorgung. Der deutsche Staat ist demnach dazu verpflichtet, Klimaschutzmaßnahmen umzusetzen und den CO2-Ausstoß zu reduzieren. Allerdings ist "'Klimaschutz first', wie manche meinen, ebenso wenig die Antwort wie 'Energiesicherheit immer an erster Stelle'", betont Kreuter-Kirchhof. Vielmehr muss eine Balance zwischen den Zielen erreicht werden.
Dennoch hat der Klimaschutz auch eine ethische Dimension. "Die, die hauptsächlich von den nachteiligen Auswirkungen des Klimawandels betroffen sind, sind nicht die, die bislang den Klimawandel hauptsächlich verursacht haben", sagt Kreuter-Kirchhof. So sind insbesondere die Staaten des globalen Nordens für den Klimawandel verantwortlich. Die nachteiligen Auswirkungen treffen aber primär die Menschen im globalen Süden, welche gleichzeitig auch über geringere finanzielle und technologische Mittel verfügen. Ob wir die Erdatmosphäre bewahren, ist laut Kreuter-Kirchhof demnach eine Frage der Gerechtigkeit sowohl gegenüber den Menschen im globalen Süden als auch gegenüber nachfolgenden Generationen. Es liegt in unserer Verantwortung, aus Solidarität den Klimawandel zu bekämpfen.
Gesundheit als Staatsziel?
Der Klimaschutz ist aber auch für die Gesundheit wichtig. Denn Extremwetterereignisse erhöhen das Risiko für Infektionskrankheiten. "Gesundheit ist nicht als Staatsziel im Grundgesetz verordnet, aber das bedeutet natürlich nicht, dass Gesundheit für das staatliche Handeln irrelevant ist", sagt Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek. Im Grundgesetz gibt es mehrere Hinweise, die das deutlich machen. Beispielsweise Artikel 2 Absatz 2, in dem der Schutz der körperlichen Unversehrtheit festgehalten ist. Den medizinischen Versorgungsauftrag hat der Staat allerdings weitergegeben und setzt stattdessen auf das Prinzip der Selbstverwaltung. Deswegen gibt es in Deutschland auch nur wenige staatliche Versorgungseinrichtungen wie die Unikliniken. Die Aufgabe des Staates besteht laut Holetschek darin, ein Rahmen zu schaffen, in dem "Gesundheit und gesundes Leben" möglich sind. Dieser muss auskömmlich für die Träger und Leistungsbringer sein und sich nach dem Wohl der Bürgerinnen und Bürger richten. Aktuell steht das System aber vor vielen Herausforderungen und Reformen wie die der Krankenhausfinanzierung und und der Pflegeversicherung.
Auch die Corona-Pandemie hat das Gesundheitssystem in den vergangenen Jahren Schwierigkeiten bereitet. Der Gesundheitsschutz als Gefahrenabwehr ist aber von der Gesundheit als Staatsziel zu unterscheiden. Das Infektionsschutzgesetzt ermächtigt die Bundesländer dazu, zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten entsprechende Verordnungen zu erlassen. Allerdings handelt es sich dabei um eine Frage der Verhältnismäßigkeit und um einen Abwägungsprozess. So erklärt Holetschek, dass es niemandem einfach gefallen sei, während der Corona-Pandemie Eingriffe in die Grundrechte und das Leben der Bürgerinnen und Bürger wie Lockdowns zu verordnen. Allerdings stand in der Politik immer der Schutz des Lebens an erster Stelle und insbesondere am Anfang der Pandemie wusste niemand, was noch auf Deutschland und die Welt zukommt.
Cybersicherheit als Herausforderung für Europa
Neben Pandemien ist auch Cyberkriminalität eine zunehmende Gefahr für die Sicherheit von Staaten. Es gibt immer mehr Cybervorfälle, die in den Bereich der Cyberdiplomatie und der Cyberaußenpolitik fallen. Ein Beispiel dafür sind die vor kurzem durchgeführten DDoS-Angriffe auf die Website des Europäischen Parlaments nach der Verabschiedung einer Resolution, die die russische Regierung als terroristische Organisation einstuft. Die Angriffe werden mit der Hackergruppe Killnet in Verbindung gebracht, die der russischen Regierung nahesteht. Aus öffentlich zugänglichen Berichten lässt sich schlussfolgern, dass sie bereits viele Router in Europa übernommen haben und "im Prinzip wie Schläfer in unserem Informations- und Kommunikationssystem anwesend sind und auf Gelegenheiten warten, wo sie ihre Cyberangriffe mit einer niederschwelligen Wirkung ausüben können", erklärt Annegret Bendiek von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.
Die politische Verantwortlichkeit und die Handlungsfähigkeit im Bereich der digitalen Sicherheit werden zunehmend der Europäischen Union zugeschrieben. Das Recht ist jedoch hauptsächlich auf der nationalen Ebene verankert. Bendiek sieht dadurch die Sicherheit in Deutschland und auch Europa in Gefahr. Denn die Cybervorfälle nehmen in ganz Europa zu und werden immer komplexer. Der Nationalstaat könne die Rechtssicherheit alleine nicht mehr gewährleisten. Daher seien europäische Kompetenzen notwendig. Auf der rechtlichen Ebene müssen Vorkehrungen getroffen werden, die auf der EU-Ebene Handlungsfähigkeiten erzeugen.