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Nationalismus und Populismus in Mitteleuropa

Die Reihe "Fragen an Europa" war zu Gast in Bayerisch Eisenstein

Alleingänge statt Einheit: Europa ist mit Nationalismus und Populismus in den Mitgliedstaaten konfrontiert. Vor allem Mitteleuropa wendet sich von Brüssel ab. Wie es um die Demokratien in Polen, Ungarn und Tschechien steht und wie Europa mit Populismus umgehen kann, haben die Akademie für Politische Bildung und die Europäische Akademie Bayern bei "Fragen an Europa" in Bayerisch Eisenstein diskutiert.

Bayerisch Eisenstein / Tagungsbericht / Online seit: 10.11.2022

Von: Beate Winterer / Foto: Beate Winterer

Programm: Fragen an Europa: In Vielfalt geeint? Mitteleuropa und die EU

Fragen an Europa: In Vielfalt geeint? Mitteleuropa und die EU

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"Der Populismus ist der betrunkene Gast in der feinen Gesellschaft", zitiert Kai-Olaf Lang von der Stiftung Wissenschaft und Politik den Politikwissenschaftler Benjamin Arditi. Dieser betrunkene Gast respektiert keine Tischmanieren, spricht unangenehme Wahrheiten aus - und das auch noch viel zu laut - und doch sitzt er mit den anderen Gästen am Tisch. Wenn in Europa von Populismus die Rede ist, wandert der Blick schnell Richtung Osten, vor allem nach Polen und Ungarn, aber auch nach Tschechien. Womit gewinnen der ungarische Regierungschef Viktor Orbán und die polnische PiS-Partei Wahlen? Wie gehen wir mit nationalistischen Tendenzen in Europa um? Und was kann die deutsche Europapolitik anders machen? Die Akademie für Politische Bildung und die Europäische Akademie Bayern waren mit der Veranstaltungsreihe "Fragen an Europa" in der Arberlandhalle in Bayerisch Eisenstein zu Gast, um über Mitteleuropa und die EU zu diskutieren - mit Zuzana Lizcová von der Karlsuniversität in Prag, dem Landtagsabgeordneten Tobias Gotthardt und Kai-Olaf Lang, Senior Fellow der Stiftung Wissenschaft und Politik.

Populismus und nachholender Systemwechsel in Polen und Ungarn

Dass gerade die Regierungen im östlichen Europa zu Populismus und Nationalismus tendieren, ist für Kai-Olaf Lang kein Zufall. In seinem Festvortrag verortet er die Ursache im Systemwechsel nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und der anschließenden Annäherung an die Europäische Union. Dies sei eine einseitige Anpassung gewesen, bei der die Länder Mitteleuropas die Richtung nicht mitbestimmen konnten. Daraus schlägt beispielsweise PiS-Chef Jarosław Kaczynski Kapital, wenn er verspricht, den "rechtlichen Impossibilismus" zu überwinden und statt den Westen zu imitieren, einen eignen Weg zu gehen - auch wenn das bedeutet, den Rechtstaat faktisch auszuhebeln.

In Ungarn und in Polen werden Eingriffe in die staatlichen Institutionen häufig mit einem nachholenden Systemwechsel begründet. Was sozialistische Reformer und Liberale 1989 bei ihrem "faulen Kompromiss" am Runden Tisch verpasst haben, gehen die nationalkonservativen Regierungen nun an - so ihre eigene Argumentation. Unter Berufung auf die Mehrheitsdemokratie und den wahren Willen des Volkes werden Gerichte entmachtet, Wahlsysteme an die eigenen Stärken angepasst und der Opposition ihre Daseinsberechtigung abgesprochen. Das Ziel sind jeweils konservative nationale Wohlfahrtsstaaten mit christlichen Werten - oder wie es Lang zusammenfasst: Ordnung statt Freiheit.

Wie umgehen mit Populisten und Nationalisten in Europa?

Für die EU ist der Kurs der Populisten in den Visegrád-Staaten eine Herausforderung. Während die Behörden Gelder einfrieren, die für Polen und Ungarn bestimmt sind, stellen die dortigen Regierungen die Urteile des Europäischen Gerichtshof infrage. Die Europäische Union habe kein Recht, über die Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedsstaaten zu urteilen lautet ihre Begründung. Kai-Olaf Lang empfiehlt Deutschland, mit Bedacht zu agieren und den Zusammenhalt zu stärken. Gleichzeitig warnt er vor Scheinheiligkeit. "Deutschland hat nicht die Deutungshoheit, was proeuropäisch ist", betont der Wissenschaftler. Denn auch Deutschland betreibe interessengeleitete Europapolitik, wie Nord Stream, Doppelwumms und die Reform des Abstimmungssystems in der EU zeigten. Tobias Gotthardt, Abgeordneter der Freien Wähler und Vorsitzender des Europaausschusses im Bayerischen Landtag, wünscht sich deshalb, dass Deutschland wieder ein Partner der Visegrád-Staaten und ein vertrauensvoller Anwalt kleiner Länder wird. "Auch vorausschauend in Richtung Balkan", wie er mit Blick auf die nächste Erweiterungsrunde erklärt.

Tschechien: Kneipenpopulist Babiš als Staatspräsident?

Zuzana Lizcová von der Karlsuniversität in Prag nahm das Publikum in Bayerisch Eisenstein gedanklich mit ins benachbarte Tschechien. Mit dem früheren Ministerpräsidenten Andrej Babiš versucht dort gerade ein "Populist aus der Kneipe", wie ihn Lang nennt, Staatspräsident zu werden. "Er ist angetreten, um zu verlieren", ist sich Lizcová sicher. Sie sieht sein Wählerpotenzial lediglich bei 30 Prozent - zu wenig, um in einer Stichwahl die absolute Mehrheit auf sich zu vereinen. In einem Punkt sieht sie ihn aber jetzt schon als Gewinner: "Er nutzt das Medieninteresse und bringt sich für die Parlamentswahlen in Position." Europa könnte es wieder mit einem weiteren Populisten in den Visegrád-Staaten zu tun bekommen.

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