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Russische Propaganda und Desinformation

Zwischen Staatsfunk und Internet-Trollen

Mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine eskalieren Propaganda und Desinformation. Während der Westen bemüht ist, Fernsehsender wie Russia Today und russische Internet-Trolle auszusperren, ist es vielen Bürgerinnen und Bürgern in Russland kaum noch möglich, sich der staatlichen Propaganda zu entziehen. Wie Russland Propaganda und Desinformation verbreitet und wie wir uns dagegen wehren, haben Expertinnen und Experten in der Tagung "Zwischen freier Presse und Staatsfunk: Medien im postsozialistischen Raum" der Akademie für Politische Bildung und Amurost, dem Alumni-Verein des Elitestudiengangs Osteuropastudien, erklärt.

Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 01.08.2022

Von: Beate Winterer / Foto: Sarah Bures

Programm: Zwischen freier Presse und Staatsfunk

Zwischen freier Presse und Staatsfunk

Flickr-Galerie © Akademie für Politische Bildung Tutzing. Bitte klicken Sie auf das Foto, falls die Galerie nicht lädt. Sie werden zu Flickr weitergeleitet.

"Wenn der Westen keine Pressefreiheit hätte, müssten wir sie erfinden", soll Iwan Agajanz, Leiter der Abteilung Desinformation beim KGB, im Kalten Krieg gesagt haben. Denn Desinformation ist auf massenhafte Verbreitung angewiesen und braucht seriöse Medien zur Multiplikation. Trotz Quellenprüfung und Faktenchecks landen immer wieder russische Narrative in der westlichen Presse. Das war im Kalten Krieg so und passiert heute im Ukraine-Krieg. Wie russische Desinformation funktioniert und was wir dagegen tun können, war Thema in der Tagung "Zwischen freier Presse und Staatsfunk: Medien im postsozialistischen Raum" der Akademie für Politische Bildung und Amurost, dem Alumni-Verein des Elitestudiengangs Osteuropastudien.

Unterschiede zwischen Propaganda und Desinformation

Aktuell verbreitet Russland seine Narrative im Westen über Fernsehsender wie Sputnik und Russia Today, aber auch über PR-Unternehmen und Social-Media-Agenturen wie der Internet Research Agency und Maffick Media. Christopher Nehring, Geheimdienstexperte, Journalist und Referent in der Tagung, unterscheidet zwischen Propaganda und Desinformation.

Der Begriff der Desinformation wurde ursprünglich für geheime Täuschungsoperationen durch das Militär verwendet. Inzwischen steht er auch für politische Einflussnahme und falsche, ungenaue oder irreführende Informationen, die erfunden und verbreitet werden, um bewusst öffentlichen Schaden anzurichten. Von einer Falschinformation, im Englischen "misinformation", unterscheidet Desinformation, dass sie absichtlich verbreitet wird und manipulativ ist. Außerdem kennzeichnet Desinformation, dass der Absender verschleiert wird. Hier liegt der Unterschied zur Propaganda, bei der der Absender bekannt ist. Als Beispiele nennt Christopher Nehring Sputnik und Russia Today: "Da ist der Bezug zum russischen Staat offensichtlich" - anders als bei der Internet Research Acency, die als PR-Firma getarnt ist und durch sogenannte "Trolle" weltweit Debatten auf Online-Plattformen beeinflusst. Doch die Grenzen zwischen Propaganda und Desinformation sind fließend.

Formen der Propaganda

Christopher Nehring spricht in diesem Zusammenhang von weißer, grauer und schwarzer Propaganda - je nachdem, wie offen der Absender der Botschaft erkennbar ist. Bei weißer Propaganda ist klar, von wem die Nachricht stammt. Darunter fallen zum Beispiel offizielle Bekanntmachungen der Kommunistischen Partei der Sowjetunion. Graue Propaganda versteckt die Quelle beispielsweise hinter einer Organisation wie den Arbeiterfrauen. Schwarze Propaganda geht noch einen Schritt weiter und gibt vor, dass die Information von einem anderen - dem Empfänger wohlgesonnenen - Absender stammt.

"Das ist keine russische Erfindung und auch keine geheimdienstliche", sagt Christopher Nehring. Als Beispiel nennt er den Soldatensender Calais, den die Briten zur psychologischen Kriegsführung im Zweiten Weltkrieg nutzten. Der Radiosender gab vor, ein offizieller deutscher Wehrmachtssender zu sein und verbreitete zum Großteil Original-Nachrichten der Wehrmacht. Dazwischen streuten die Redakteure - unter ihnen deutsche Emigranten und Kriegsgefangene - Informationen, die die Kriegsmoral der Truppe zersetzen sollten. Sendeleiter Selfton Delmer berichtete darüber später in mehreren Büchern. "Diese Bücher waren Trainingsmaterial für KGB und Stasi", erklärt Christopher Nehring.

Russlands Verschwörungsmythos vom "Informationskrieg"

Heute spricht Russland nicht mehr von Propaganda, sondern von einem "Informationskrieg". Schon seit 2010 betont eine Militärdoktrin die Notwendigkeit, Streifkräfte und Mittel dafür aufzubauen. "Aber der Glaube an einen Informationskrieg ist eine verschwörungstheoretische Weltanschauung", sagt Lisa Gaufman von der University of Groningen. Der Kreml denke, er würde wiederum auf einen westlichen Informationskrieg reagieren. "Dadurch ist es für die Bevölkerung unmöglich, sich aus unabhängigen Medien zu informieren. Die sind alle verboten", erklärt die Politikwissenschaftlerin.

Internetzensur und staatliche Desinformation in Russland

Mit dem Angriff auf die Ukraine eskalierte in Russland die Internetzensur. Inzwischen sind Instagram und Facebook blockiert, da der US-amerikanische Mutterkonzern Meta von russischen Behörden als extremistisch eingestuft wird. Die russische WhatsApp-Alternative Vkontakte kooperiert seit Jahren mit den Sicherheitsbehörden, bei Telegram vermuten Kritikerinnen und Kritiker dasselbe. Die chinesische Plattform TikTok hat ihre Dienste in Russland selbst eingestellt, nachdem seit dem Frühling ein neues Fake-News-Gesetz die Weitergabe von Falschinformationen als Straftat einstuft. Wer keinen VPN-Client nutzt, hat seitdem nur noch Zugang zu YouTube und zu russischen Medien.

Dort regiert die Desinformation. In den staatlichen Nachrichtenagenturen steht kein Wort über den Krieg in der Ukraine. Dort ist auch Monate nach dem Angriff nur von einer "militärischen Spezialoperation" zu lesen. Die Mehrheit der Nutzerinnen und Nutzer bekommt nur diese Nachrichten. "Im Fernsehen gibt es keine normalen Programme, nur Propaganda den ganzen Tag", sagt Lisa Gaufman.

Beliebt ist das Narrativ vom bösen Westen, der Hitler und die Homosexualität hervorgebracht hat. Vertreterinnen und Vertreter der ukrainische Regierung werden als Nazi-Kollaborateure diskreditiert, oft ist vom "Kiewer Reich" die Rede. Lisa Gaufman vermutet dahinter die Angst Wladimir Putins vor Ereignissen wie dem Maidan und dem Arabischen Frühling. "Er will nicht enden wie Gaddafi." Deshalb setzt er auf Desinformation der Bevölkerung - und die scheint zu wirken. Immer öfter sind die anti-westlichen Narrative auch auf privaten Social-Media-Kanälen russischer Bürgerinnen und Bürger zu lesen. Die Auseinandersetzung mit dem Westen fördert die Zustimmung zum Krieg. Lisa Gaufmans Theorie: Die Narrative des Kreml werden erfolgreicher, weil es keine anderen Narrative mehr gibt.

Wie umgehen mit Desinformation?

Inzwischen hat die Ukraine den bisher blockierten russischen Dienst Vkontakte wieder freigegeben, damit die Bürgerinnen und Bürger Verwandte und Freunde in Russland über den Krieg informieren können. Eine gute Strategie, findet Lisa Gaufman: "Es ist schwer, Desinformation mit Fakten zu bekämpfen. Die Menschen glauben die Fakten nicht, persönliche Beziehungen können sie eher beeinflussen."

Ihr stimmt Christopher Nehring zu: "Faktenchecks kommen immer zu spät. Bei Desinformation geht um Emotionen." Wichtig sei deshalb die Vermittlung von Medienkompetenz. Die meisten russischen Bürgerinnen und Bürger erreichen solche Informationen freilich nicht mehr. In anderen Teilen der Welt kann Aufklärung aber noch etwas bewirken - und ist dringend notwendig. Seit der Westen russische Trolle verstärkt blockiert, konzentrieren sich diese unter anderem auf Indien und Afrika. Das Narrativ ist bekannt: Russland als anti-koloniale Macht und einziges Gegengewicht zu den USA.

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