Feministische Außenpolitik
Warum eine Außenministerin nicht reicht und was die Neuausrichtung für Deutschland bedeutet
Die Ampel-Regierung hat sich in ihrem Koalitionsvertrag der feministischen Außenpolitik verschrieben. Und mit Annalena Baerbock hat die Bundesrepublik Deutschland zum ersten Mal eine Frau in der Position der Außenministerin. "Das hat aber nicht unbedingt etwas mit feministischer Ausrichtung von Außenpolitik zu tun", sagt Marieke Fröhlich, Soziologin an der Hochschule Rhein-Waale und Referentin in der Tagung "Neue deutsche Außenpolitik?" der Akademie für Politische Bildung und der International Association for the Study of German Politics (IASGP). Im Interview erklärt sie, was mit dem Modebegriff "feministische Außenpolitik" gemeint ist, welche Hürden die Umsetzung erschweren und was feministische Außenpolitik im Kontext des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine bedeutet.
Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 20.07.2022
Von:
Theresa Schell / Foto: Bündnis 90/Die Grünen Nordrhein-Westfalen, CC BY-SA 2.0
Programm: Internationale Akademie: Neue deutsche Außenpolitik?
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Frau Fröhlich, in den Medien hören wir gerade viel über feministische Außenpolitik. Was ist damit gemeint?
Marieke Fröhlich: Die feministische Außenpolitik ist ein Politikansatz, der einen positiven Frieden zum Ziel hat. Das heißt nicht nur Frieden im Sinne von Abwesenheit physischer Gewalt, sondern auch Abwesenheit von struktureller Gewalt, zum Beispiel Geschlechterungerechtigkeit und Rassismus. Dafür werden die Perspektiven und Lebensrealitäten der Menschen zentriert, die gesellschaftlich am meisten marginalisiert sind, also besonders von struktureller Gewalt betroffen sind. Und ganz klar muss auch die Zivilgesellschaft hierfür in die Politik einbezogen werden, denn es sind die selbstorganisierten und/oder kritisch und solidarisch arbeitenden Organisationen, die über sehr viel Wissen und Erfahrung verfügen, um feministische Politik konzipieren und umsetzen zu können. Außerdem bedeutet feministische Außenpolitik, dass Sicherheit als Aspekt von Frieden niemals nur im Sinne staatlicher Sicherheit betrachtet wird, sondern dass intersektionale menschliche Sicherheit im Zentrum von staatlicher Politik steht. Intersektionalität bedeutet, dass unterschiedliche Diskriminierungs- und Unterdrückungsformen ineinandergreifen und diese auch immer gemeinsam beachtet werden müssen. Zum Beispiel interagieren Sexismus und Rassismus und lösen somit bestimmte Diskriminierungs- und Unterdrückungsformen aus. Feministische Außenpolitik sieht also nicht nur Geschlechtergerechtigkeit als eine Voraussetzung für Frieden, sondern auch ein Überwinden des großen Machtgefälles im internationalen Kontext, also der postkolonialen Gewaltverhältnisse im internationalen System. Multilateralismus und Klimagerechtigkeit nehmen hier natürlich auch zentrale Stellenwerte ein.
Warum steht die feministische Außenpolitik gerade so im Fokus in Deutschland?
Im Koalitionsvertrag der neuen Regierung wird erwähnt, dass eine "Feminist Foreign Policy" angestrebt werden soll. Eine solche Formulierung sorgt natürlich für viel Aufsehen, insbesondere mit Annalena Baerbock als Außenministerin. Gleichzeitig denke ich, dass auch der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine eine große Rolle spielt. Da feministische Außenpolitik im Kern eine Friedenspolitik bedeutet, ist interessant, inwiefern friedenspolitische Ansätze von unserer Bundesregierung mitbeachtet und praktiziert werden. Im internationalen Kontext gibt es feministische Außenpolitik schon viel länger. Schweden und Kanada haben schon seit einigen Jahren eine feminstische Außenpolitik beziehungsweise Entwicklungspolitik ausgerufen, diverse andere Staaten auch. Im akademischen Diskurs gibt es schon länger Diskussionen zum Thema, wenn auch feministische Forschung weiterhin marginalisiert wird. Dass feministische Außenpolitik international Konjunktur hat, haben wir kürzlich wieder gesehen: Die Regierung der Niederlande haben bekanntgegeben, dass auch sie eine feministische Außenpolitik anstrebt.
Wie ist das Konzept der feministischen Außenpolitik entstanden?
Die ersten feministischen außenpolitischen Forderungen wurden schon 1915 auf dem internationalen Frauenfriedenskongress in Den Haag formuliert. Im Ersten Weltkrieg haben sich Frauenaktivistinnen - spezifisch pazifistische und friedensaktivistische Frauen - dort getroffen und die internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit gegründet. Damals gab es schon ganz ähnliche Forderungen wie heute unter dem Label der feministischen Außenpolitik: Abrüstung, Selbstbestimmungsrecht der Völker, demokratische Kontrolle von Außenpolitik, Friedens- statt Kriegspolitik, Multilateralismus und die gleichberechtigte Beteiligung von Frauen in allen Bereichen der Gesellschaft, also auch in internationaler Politik.
Hat man damals schon den Begriff der feministischen Außenpolitik verwendet?
Damals wurde das natürlich nicht feministische Außenpolitik genannt. Den Terminus "Feminismus" kann man im staatlichen politischen Kontext noch nicht lange verwenden. Aber die Kerninhalte der feministischen Außenpolitik wurden schon damals formuliert. Es ist ganz wichtig, sich diese Geschichte im Kopf zu behalten, denn die friedenspolitischen Forderungen gelten weiterhin als Kern feministischer Außenpolitik. Sie standen damals im Zentrum und müssen auch heute im Zentrum stehen, erweitert um Antirassismus und dekolonialer Politik.
Sie haben bereits den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine erwähnt. Wie passen Waffenlieferungen in die Ukraine mit der feministischen Außenpolitik zusammen?
Abrüstung ist eine ganz zentrale Forderung in der feministischen Außenpolitik. Denn die feministische Analyse zeigt klar, wie Waffen und der Einsatz und die Androhung von Waffengewalt mit strukturellen Machtverhältnissen begründet sind und diese beeinflussen. Das heißt, Rüstung, Militarismus, Krieg, Unsicherheit und Geschlechterungerechtigkeit bedingen sich gegenseitig. Die Lieferung von Waffen an die Ukraine ist eine komplexe Fragestellung und feministische Außenpolitik muss immer kontextspezifisch eingesetzt werden. In der veränderten politischen Situation, in der wir uns gerade in Europa befinden, müssen Anpassungen stattfinden. Feministische Außenpolitik steht nämlich neben Abrüstung, auch für Solidarität, Emanzipation und dafür, marginalisierte Menschen ins Zentrum zu rücken. Das sind in dem Kontext eben Menschen, die von der aktiven Kriegsgewalt innerhalb der Ukraine betroffen sind, insbesondere Frauen und andere strukturell diskriminierte Menschen. Grundsätzlich fordern viele in der Ukraine Waffenlieferungen - auch friedensaktivistische Menschen. Das darf man nicht ignorieren, sondern man muss den Menschen zuhören. Gleichzeitig gibt es auch pazifistisch Engagierte in der Ukraine, die sich gegen Waffengewalt aussprechen. Das sind schwierige Aushandlungen.
Oft ist unsere Außenministerin Annalena Baerbock in den Medien. Welche Rolle spielt sie für die feministische Außenpolitik?
Natürlich ist es einerseits ein wirkmächtiges Zeichen, dass Deutschland nun eine Frau als Außenministerin hat. Das hat aber nicht unbedingt etwas mit feministischer Ausrichtung von Außenpolitik zu tun, weil diese nicht automatisch aus Frau Baerbocks Positionierung als Frau resultiert. Andererseits sehen wir in anderen Ländern, dass die feministische Ausrichtung der Außenpolitik leider an einzelne Persönlichkeiten geknüpft ist. Das heißt, dass die feministische Ausrichtung bei einem Regierungswechsel auch schnell wieder über den Haufen geworfen wird. Von daher spielt Annalena Baerbock mit ihrer politischen Positionierung auf jeden Fall eine wichtige Rolle. Gleichzeitig sehen wir auch, dass das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung eine feministische Entwicklungspolitik verfolgen möchte. Dies sind positive Signale, dass die feministische Ausrichtung im deutschen Kontext nicht so personenbezogen sein muss und sie mehrere Sektoren einbezieht. Das ist ganz wichtig für die Umsetzung der feministischen Außenpolitik, denn sie beinhaltet immer auch die Kohärenz zwischen den verschiedenen Politikbereichen: feministische Außenpolitik ohne eine Innen-, Entwicklungs- oder bspw. Handelspolitik, die die gleichen Ziele verfolgt ist erstens nicht besonders glaubwürdig und zweitens auch eher wenig effektiv. Wichtig ist nun, dass die politischen Prozesse in den Ressorts nicht parallel laufen, sondern gemeinsam feministische Politiken entwickeln und umsetzen.
Wo sehen Sie die größten Hürden für die feministische Außenpolitik?
Gerade ist im deutschen Kontext die derzeitige Militarisierung der Politik ein ganz großes Problem. Besonders, wenn wir uns medial nur noch über Waffenlieferungen austauschen, statt uns für andere Ansätze von Konfliktlösung einzusetzen. Signale der EU wie ein teilweises Ölembargo auszusprechen, sind wichtig. Wenn wir den Fokus ein bisschen erweitern, ist eine Herausforderung für feministische Außenpolitik auch, dass der Begriff instrumentalisiert wird. Also, dass die politischen Inhalte entleert und die emanzipatorischen friedenspolitischen Inhalte kleingeredet werden. Von daher ist es immens wichtig, dass auch die Zivilgesellschaft weiter politisch bleibt und unsere Politikerinnen und Politiker in die Pflicht nimmt, ihre politischen Ansätze auch mit Inhalt zu füllen. Hierfür braucht es natürlich eine starke und arbeitsfähige Zivilgesellschaft - das heißt, feministische Außenpolitik muss Zivilgesellschaft fördern, stärken und einbinden. Eine weitere Herausforderung ist, die teilweise theoretisch wirkenden Ansätze feministischer Außenpolitik praktisch umzusetzen - jedoch gibt es hierfür viele feministisch arbeitende Expertinnen und Experten, die diese politischen Prozesse unterstützen können.
Gibt es denn auch Konfliktlinien innerhalb der feministischen Außenpolitik?
Natürlich! Dadurch, dass feministische Außenpolitik kontextspezifisch ist und in den jeweiligen Kontexten ausgehandelt werden muss, gibt es keine klare Definition des Begriffs, sondern einige Diskussionslinien. Es ist wichtig, diesen Diskussionen und Auseinandersetzungen Raum zu geben. Darum geht es in feministischen Ansätzen und in der feministischen Außenpolitik spezifisch: Mut zur Komplexität haben, Mut diese schwierigen Diskussionen zu führen, diese schwierigen Fragen zu fragen, ohne sich einfache Antworten zu suchen.
Was sagen Sie zu der Kritik, die Außenpolitik hätte auch schon früher andere Gruppen mitgedacht?
Das ist einfach nicht wahr. Wenn wir uns beispielsweise überlegen, wie lange es in Deutschland gedauert hat, die Verbrechen der Kolonialgeschichte auch nur teilweise anzuerkennen - und dass auch bis heute nicht alle Verbrechen als solche anerkannt sind. Feministische Außenpolitik muss auch multisektoral sein, das heißt sie kann nicht nur im außenpolitischen Sektor umgesetzt werden, sondern muss gleichzeitig auch innenpolitisch, wirtschaftspolitisch, klimapolitisch usw. angewandt werden. Wenn wir uns die innenpolitischen Dimensionen anschauen, sehen wir ganz klar, wie Rassismus, Ausgrenzung, Sexismus, Homophobie und Transfeindlichkeit immer noch viel Einfluss haben in unserem Land, Gewalt legitimieren und ausüben. Gegen die verschiedenen Diskriminierungs- und Unterdrückungsformen geht feministische Außenpolitik vor, analysiert sie, stellt sie ins Zentrum politischen Handelns, damit sie problematisiert und überwunden werden können. Personen, die das Konzept kritisieren, würde ich erst einmal die Fakten zeigen. Das ist auch der Unterschied zu einer Außenpolitik, die sich nicht spezifisch feministisch positioniert. Die feministische Außenpolitik benennt diese diversen strukturellen Gewaltanwendungen ganz klar und versucht, sie zu überwinden. Natürlich wird sich nicht von heute auf morgen alles ändern, auch nicht mit feministischer Politik. Aber wir haben auch schon einen langen Weg hinter uns: Dass wir überhaupt den Begriff "feministisch" in der Politik auf diese Art und Weise verwenden und dass sich die Regierung dazu bekennen kann, zeigt, dass wir uns gesellschaftlich und politisch in eine gute Richtung entwickeln. Ganz zentral ist aber nun, sich nicht darauf auszuruhen, sondern besonders im Kontext der derzeitigen multiplen Krisen die angekündigte feministische Außenpolitik mit friedenspolitischen und feminstischen Ansätzen zu füllen.