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Neue Formate für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk

Akademie-Tagung entwickelt Sendungen und Tools für die Zukunft

Netflix, YouTube und Co. überbieten das Angebot des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in vielen Bereichen. Trotzdem können sie seinen Platz nicht ersetzen und gerade in Krisenzeiten wird deutlich, dass seine Existenz notwendig ist. Die öffentlich-rechtlichen Sender brauchen Innovationen. Im Rahmen der Tagung "Zeitgemäßer öffentlich-rechtlicher Rundfunk (?)" der Akademie für Politische Bildung haben Teilnehmerinnen und Teilnehmer nach neuen Formaten gesucht, die das Interesse des Publikums wecken.

Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 06.04.2022

Von: Sarah Bures / Foto: Sarah Bures

Programm: Tutzinger Journalistenakademie: Zeitgemäßer öffentlich-rechtlicher Rundfunk (?)

Zeitgemäßer öffentlich- rechtlicher Rundfunk (?)

Flickr-Galerie © Akademie für Politische Bildung Tutzing. Bitte klicken Sie auf das Foto, falls die Galerie nicht lädt. Sie werden zu Flickr weitergeleitet.

"In Krisenzeiten vertrauen Nutzerinnen und Nutzer dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk am meisten", sagt Christina Holtz-Bacha von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Egal ob Corona-Pandemie oder Ukraine-Krieg, es sind nicht die neuen Medien, sondern die altbekannten öffentlich-rechtlichen Sender, über die sich Menschen in Krisenzeiten informieren. Trotzdem ernten sie Kritik: Zu teuer die Beiträge, zu ähnlich die Programme und zu staatsnah die Gremien. In der digitalen Gesellschaft hat der öffentlich-rechtliche Rundfunk seinen Platz noch nicht gefunden, meint 1Live-Gründer Jochen Rausch. Netflix und YouTube überbieten ihn mit Inhalten, die zu jeder Zeit an jedem Ort mit dem Smartphone abgerufen werden können. Was muss sich also ändern, um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk attraktiver und zeitgemäßer zu gestalten? Im Rahmen der Tagung "Zeitgemäßer öffentlich-rechtlicher Rundfunk (?)" der Akademie für Politische Bildung haben erfahrene Medienschaffende und interessierte Nutzerinnen und Nutzer neue Konzepte und Formate erarbeitet. Gemeinsam mit Expertinnen und Experten suchten sie in Workshops nach Ideen, entwickelten diese weiter und präsentierten sie einer Jury um BR-Intendantin Katja Wildermuth.

Ehrenmensch: Politische Bildung als Daily Soap

Die siegreiche Gruppe sieht vor allem die zunehmende Politikverdrossenheit von Jugendlichen als Problem und 14- bis 18-Jährige als rundfunkfern. Um dem entgegenzuwirken, hat sie eine "Ehrenmensch", eine Unterhaltungsserie mit politischem Bildungsaspekt, für diese Altersgruppe entwickelt. Die Zuschauerinnen und Zuschauer verfolgen den Alltag einer Schulklasse, die sich während des Jahres mit verschiedenen sozialen und politischen Themen auseinandersetzt. Beispielsweise erkrankt die Oma eines Protagonisten an Corona und muss stationär behandelt werden. Die Jugendlichen lernen, wie sie mit dieser Situation umgehen und weshalb die Einhaltung von grundlegenden Vorsichtsmaßnahmen wichtig ist. Außerdem macht die Serie auf Programme wie die Tagesschau oder die Mediatheken der öffentlich-rechtlichen Sender aufmerksam, indem die Charaktere diese Medien konsumieren und die zuschauenden Jugendlichen neugierig machen.

Um die Serie bekannt zu machen, ist eine Kooperation mit Influencerinnen und Influencern aus beliebten Portalen wie YouTube oder TikTok geplant - zum Beispiel in Form von Gastauftritten in der Serie oder über Werbung auf deren Kanälen. Die Serie soll zum einen den Bezug junger Menschen zu den öffentlich-rechtlichen Medien stärken und zum anderen ihr Interesse für politische und gesellschaftliche Themen wecken.

Die Ideen zur Sendung "Ehrenmensch" wurde von der Jury, bestehend aus Katja Wildermuth, Intendantin des Bayerischen Rundfunks, Bijan Kaffenberger, Digitalpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Hessischen Landtag, Mechthild Marie Kaub, Stellvertretende Vorsitzende des WDR-Rundfunkrates, Frank Rosengart, ehemaliger Sprecher des Chaos Computer Clubs und Tobias Geißner-Donth von der ARD.ZDF medienakademie, zur Gewinneridee gekürt. Das Team bekommt im kommenden Jahr die Möglichkeit, sein Projekt in einer weiteren Veranstaltung zu vertiefen und die Umsetzung zu planen.

Joker-Budget: Formatentwicklung als Casting-Show

Doch auch andere Ideen aus der Veranstaltung haben das Potenzial zur Erneuerung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Bei Joker-Budget wird ein gewisser Prozentsatz der Rundfunkbeiträge - vorgeschlagen wurden etwa zwei Prozent - einer Jury aus der Zivilgesellschaft zur Verfügung gestellt, die entscheidet, wie und wofür dieses Geld im öffentlich-rechtlichen Rundfunk eingesetzt wird. Der Entwicklungsprozess selbst findet bereits im Rahmen einer Sendung statt. Vergleichbar mit einer Casting-Show bekommen verschieden Projekte die Möglichkeit, sich vorzustellen und ihre Ideen im Verlauf der Sendung weiterzuentwickeln. Dabei fallen nacheinander schlecht umsetzbare und unbeliebte Projekte aus dem Rennen. Zum Schluss entscheiden die Zuschauerinnen und Zuschauer mit, wer das Joker-Budget gewinnt. Die Sendung macht das Publikum bereits neugierig auf das Endprodukt und dient als Werbung für das Format, das daraus entsteht.

Fake-Check: Faktencheck im Abendprogramm

Beim Fake-Check handelt es sich um ein abendliches Fernsehprogramm, welches in regelmäßigen Abständen ausgestrahlt wird und Falschinformationen thematisiert, die im Internet kursieren. Journalistinnen und Journalisten entlarven mit kritischem Blick Desinformation und erklären, wie diese entstanden sind. Besonders wichtig ist der Teil, in dem sie begründen, warum die Informationen falsch sind und das auch mit nachvollziehbaren Fakten und Expertise belegen.

Der ARD-Publikums-Pool: Per App zum Wunschprogramm

Eine andere Gruppe schlägt die Entwicklung einer App vor, des ARD-Publikum-Pools - kurz Die APP. Sie soll die Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks verbessern. Nutzende geben freiwillig Daten wie Alter, Geschlecht und Beruf an und nehmen an Umfragen teil. Die Sender erhalten regelmäßig Zustimmungswerte zu ihren Angeboten und können Meinungen über geplante Projekte erfragen. Wichtig ist, dass die Rückmeldungen in der weiteren Umsetzung der Formate beachtet werden, um die Nutzerinnen und Nutzer der App weiterhin zur Beteiligung zu animieren. Letztere profitieren davon, dass sie ihre Vorlieben zum Ausdruck bringen und Einfluss auf die Gestaltung des Programms nehmen können. Auch die App wird es jedoch schwer haben, diejenigen zu erreichen, die ohnehin keine Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nutzen. Um sie zur Teilhabe zu bewegen, müssten weitere Anreize geschaffen und durch verdeutlicht werden, dass mit Hilfe der App in Zukunft das im öffentlich-rechtlichen Rundfunk läuft, was die Nutzenden sehen wollen. Eine andere Gruppe empfiehlt den Produzentinnen und Produzenten ebenfalls, in einen Diskurs mit den Konsumenten zu treten, um das Programm des öffentlich-rechtlichen Rundfunks innovativer zu gestalten. Zur Umsetzung braucht es idealerweise eine neutrale Moderation und den Willen, zuzuhören und Kompromisse einzugehen.

Publikum und Redaktion im Austausch

Ähnlich ist die Idee, Menschen mehrere Tage - am besten eine Woche - in Redaktionen einzuladen und über die verschiedenen Schritte zur Umsetzung eines Programmes aufzuklären. Nutzende bekommen so die Möglichkeit, journalistische Abläufe zu begleiten und sich an Entscheidungsprozessen zu beteiligen, indem sie ein Stimmrecht in Konferenzen bekommen. Damit soll mehr Transparenz geschaffen werden. Medienschaffende und Nutzende können gemeinsam nach Wegen suchen, um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk interessanter und innovativer zu gestalten. Gleichzeitig wird für mehr Akzeptanz und Nachvollziehbarkeit unter den Bürgerinnen und Bürgern gesorgt. Um auch Jugendliche zu erreichen, spielt Social Media bei der Umsetzung und Werbung eine große Rolle.

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