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Weltfrauentag am 8. März: Akademie hat Parität erreicht

Ursula Münch und fünf weitere Frauen leiten wissenschaftliche Bereiche

Der Weltfrauentag ist eine Erfindung unserer Urgroßmütter. Gleichstellung und Frauenförderung sind aber bis heute aktuell - auch an der Akademie für Politische Bildung in Tutzing. In diesem Jahr gibt es am 8. März einen besonderen Umstand zu feiern: Die wissenschaftlichen Stellen sind erstmals mit gleichvielen Frauen und Männern besetzt - in der deutschen Wissenschaftslandschaft noch immer eine Seltenheit.

Tutzing / Aus der Akademie / Online seit: 08.03.2022

Von: Adrian Müller / Foto: Sarah Bures

8. März, Weltfrauentag. Ein Feiertag des Sozialismus? Viele Betriebe Osteuropas und der DDR beschenkten ihre Mitarbeiterinnen an diesem Tag mit roten Nelken und feierten überschwänglich die Gleichberechtigung. Die Geschichte des Frauentags nimmt ihren Anfang jedoch nicht in Osteuropa, sondern in den USA. 75 Arbeitsstunden pro Woche und eine miserable Entlohnung treiben im Winter 1909 in New York 20.000 Textilarbeiterinnen auf die Straße. Als die Unternehmer am 20. Februar nach 13 Wochen Streik auf die Forderungen der Frauen eingehen, feiern die Arbeiterinnen den ersten nationalen Frauentag der Welt.

Kampf fürs Frauenwahlrecht

"Keine Sonderrechte, sondern Menschenrechte", forderte die deutsche Sozialistin Clara Zetkin. Inspiriert von den Protesten in den USA brachte sie die Idee eines Internationalen Frauentags bei der Zweiten Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz in Kopenhagen ein. Er sollte in erster Linie der Agitation für das Frauenwahlrecht gelten. Zum ersten Mal wurde er am 19. März 1911 begangen. Der Kampf für das Frauenwahlrecht war in Deutschland wenige Jahre später nach Ende des Ersten Weltkriegs erfolgreich.

In der Weimarer Republik blieb der Internationale Frauentag ein Aktionstag der Kommunistischen Partei, auf dem Frauen unter anderem für einen legalen Schwangerschaftsabbruch, Gleichberechtigung, bessere Bezahlung und Arbeitszeitkürzungen demonstrierten. 1921 wurde er auf der Zweiten Internationalen Konferenz der Kommunistinnen in Moskau, unter der Leitung von Clara Zetkin, auf den 8. März verlegt. Im Gregorianischen Kalender entspricht dieser Tag dem 23. Februar und erinnert an die Demonstrationen russischer Textilarbeiterinnen 1917 in St. Petersburg. Die Protestmärsche gegen die angekündigte Rationierung der Brotvorräte wuchsen sich innerhalb weniger Tage zur Februarrevolution aus und führten schließlich zur Abdankung des Zaren.

Zur Zeit des Nationalsozialismus wurde der Weltfrauentag in Deutschland aufgrund der sozialistischen Konnotation abgeschafft und durch den Muttertag ersetzt. Als Teil des kommunistischen Widerstands wurde der Frauentag nur noch heimlich begangen. In der Bundesrepublik geriert er zunächst ganz in Vergessenheit, während er in der DDR als sozialistischer Staatstag bereits 1946 wiedereingeführt wurde. Erst durch die neue Frauenbewegung und die Friedensbewegung Ende der 60er Jahre gewann der Weltfrauentag auch im Westen wieder an Bedeutung. 1975 erklärten die Vereinten Nationen den 8. März schließlich zum UN-Tag für die Rechte der Frau und den Weltfrieden.

Weltfrauentag: ein Feiertag in 25 Ländern

Heute ist der Weltfrauentag in 25 Ländern ein offizieller Feiertag, darunter viele ehemalige Sowjetrepubliken sowie Kuba und Vietnam. Als bisher einziges deutsches Bundesland hat ihn Berlin 2019 eingeführt. Inzwischen gehört auch die politische Repräsentation von Frauen in Parlamenten zu den Forderungen, die am 8. März gestellt werden. In einigen Ländern, darunter Frankreich, Portugal und Slowenien, ist sie bereits über paritätische Quotenregelungen umgesetzt. Die Geschlechterquoten liegen jeweils zwischen 40 und 50 Prozent. In Deutschland wurden derartige Regeln in Parlamenten für verfassungswidrig erklärt. Einige Parteien pflichten sich jedoch freiwillig dazu, ihre Listen paritätisch zu besetzen.

An der Akademie für Politische Bildung gibt es zwar keine gesetzliche Frauenquote, in den vergangenen Jahren ist der Anteil der Frauen, die wissenschaftliche Stellen und Akademie-Gremien besetzen, dennoch stetig gestiegen. Mit Direktorin Ursula Münch leitet seit 2011 zum ersten Mal in ihrer Geschichte eine Frau die Akademie. Ihr gingen die drei Direktoren Felix Messerschmid, Manfred Hättich und Heinrich Oberreuter voraus. Auch dem sogenannten "Grünwalder Arbeitskreis", der 1955 initiiert wurde, um ein Konzept zur Gründung der Akademie für Politisch Bildung zu erarbeiten, gehörten lediglich zwei Frauen an: Hildegard Hamm-Brücher von der FDP und Annemarie Schambeck, die Leiterin des Schulfunks. Das ist nicht weiter verwunderlich. Politik und Politikwissenschaft waren zu dieser Zeit stark männlich geprägt. Der Frauenanteil im Bundestag lag Ende der 50er bei nicht einmal neun Prozent. In der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft war nur jedes 20. Mitglied weiblich.

Auch der Beirat der Akademie, der sich aus Vertreterinnen und Vertretern der Politik und des öffentlichen Lebens zusammensetzt, bestand in der Anfangsphase fast ausschließlich aus Männern. Die Ausnahmen waren Paula Linhart, Vertreterin der Frauenverbände und die Sozialdemokratin Gerda Laufer, die im Beirat die Interessen von Frauen vertraten. Schon damals wurden an der Akademie Fragen wie "Die Stellung der amerikanischen Frau im öffentlichen Leben" und "Was hindert die Frau, sich politisch zu betätigen?" diskutiert. Inzwischen ist jedes dritte Beiratsmitglied weiblich. Das gleiche Geschlechterverhältnis herrscht auch im Kuratorium der Akademie.

An der Akademie herrscht Parität zwischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern

Die wissenschaftlichen Arbeitsbereiche sind bereits einen Schritt weiter. Mit Direktorin Ursula Münch, den Wissenschaftlerinnen Saskia Hieber, Kinza Khan, Giulia Mennillo und Anja Opitz sowie der Referentin für Öffentlichkeitsarbeit und Community Management, Beate Winterer, zählt das Team seit vergangenem Jahr sechs Frauen. Ihnen stehen ebenfalls sechs männliche Kollegen gegenüber. Zum Vergleich: In den gesamten 70er Jahren gehörten lediglich drei Frauen dem wissenschaftlichen Kollegium an. Und auch heute ist eine paritätische Besetzung von Leitungsstellen eine Seltenheit in der deutschen Wissenschaftslandschaft.

Die Gäste der Akademie für Politische Bildung sind der Direktorin und dem wissenschaftlichen Kollegium in puncto Frauenförderung sogar voraus. Bei den Teilnehmerzahlen haben die Frauen schon vor einigen Jahren eine Aufholjagd gestartet und sind inzwischen an den Männern vorbeigezogen. Lag der Frauenanteil unter den Gästen in den 80er und 90er Jahren noch zwischen 30 und 40 Prozent, stieg er bis 2020 auf 52 Prozent.

Das gestiegene weibliche Interesse an politischen Themen belegen auch Studierendenzahlen in der Politikwissenschaft. In den vergangenen fünf Jahren studierten das Fach bereits gleich viele Frauen und Männer. Insgesamt steigt die Zahl der Frauen an den Hochschulen im Zuge der Bildungsexpansion stetig. Im Wintersemester 2021/2022 studierten in Deutschland insgesamt erstmals etwas mehr Frauen als Männer, nämlich 50,2 Prozent. Der Anteil der Studentinnen unter den Erstsemestern lag bei 52 Prozent. Dazu wächst der Frauenanteil von Neuprofessuren und liegt mittlerweile bei 35 Prozent. Obwohl Frauen sich in der Wissenschaft immer stärker durchsetzen, existieren weiterhin starke genderspezifische Differenzen. Frauen sind mittlerweile überproportional in sozialen und pädagogischen Fachgebieten an den Hochschulen vertreten, Männer dagegen in technischen. Im Fachgebiet Pädagogik lag der Frauenanteil 2019 im EU-Durchschnitt bei 79 Prozent, im Bereich Gesundheit und Sozialwesen bei 71 Prozent und in den Geisteswissenschaften und Künsten bei 65 Prozent. In den MINT-Fächern dagegen ist nur etwa ein Viertel der Studierenden weiblich. Die Permanenz dieser Unterschiede in einer gleichberechtigten Gesellschaft wird als Paradox der Gleichberechtigung bezeichnet. Während in einigen Bereichen klassische genderspezifische Unterschiede bestehen bleiben, gleichen sie sich in anderen an oder verlagern sich sogar zugunsten der Frauen.

Quotenfrauen oder echte Gleichberechtigung?

Unterstützer von Paritätsquoten verweisen darauf, dass das Talent in der Bevölkerung annähernd gleich verteilt ist und durch paritätische Strukturen besser ausgeschöpft werde. Außerdem sei die männliche Dominanz in bestimmten Bereichen nur durch eine gesetzliche Frauenförderung mit dem Ziel der Parität zu überwinden. Intersektionale Aktivisten setzen sich sogar dafür ein, im Sinne der Diversität auch für andere Gruppen Quoten einzuführen. Dazu zählen beispielsweise Ostdeutsche, Menschen mit niedrigem sozioökonomischem Status, verschiedene religiöse Gruppen sowie nichtweiße und queere Menschen. Gegner von Paritätsquoten argumentieren, dass Frauen und Männer in einer Ära der Gleichberechtigung weiterhin unterschiedliche Präferenzen besitzen dürfen und dies als Teil der individuellen Freiheit zu respektieren sei. Wenn beispielsweise weniger Frauen als Männer Parteimitglieder sind, dann sei auch eine geringere Anzahl von Berufspolitikerinnen zu akzeptieren. Eine Quote würde die Wahlfreiheit und den Schutz vor Diskriminierung für beide Geschlechter einschränken und sei unvereinbar mit Artikel 3 des Grundgesetzes.

Die Frage, inwieweit und mit welchen Mitteln die Repräsentation unterschiedlicher Gruppen in verschiedenen Gesellschaftsbereichen geregelt werden soll, ist also auch mehr als 100 Jahre nach der Erfindung des Weltfrauentags hochaktuell.

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