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Die TV-Trielle vor der Bundestagswahl - eine Bilanz

Themen, Wirkung, Verbesserungsvorschläge

Trotzdem des anfänglichen "Schlafwagen-Wahlkampfs" war die Bundestagswahl 2021 eine der spannendsten Wahlen seit Jahren. Über viele Wochen war offen, wer in die Fußstapfen von Angela Merkel tritt. Und zum ersten Mal standen sich im Fernsehen nicht zwei, sondern gleich drei Anwärter auf das Kanzleramt gegenüber. Die drei TV-Trielle von Olaf Scholz, Armin Laschet und Annalena Baerbock waren ein Medienereignis mit insgesamt mehr als 20 Millionen Zuschauern. Barbara Pfetsch, Professorin für Kommunikationswissenschaft an der Freien Universität Berlin, hat im Rahmen der Tagung "Im Land der (Schein-)Riesen: Die Bundestagswahl 2021 in der Analyse" an der Akademie für Politische Bildung über die TV-Trielle gesprochen. Im Interview erklärt sie, welchen Effekt die Trielle auf die Wahlentscheidung hatten, wie sich die Kandidatin und die Kandidaten geschlagen haben und was in künftigen Triellen verbessert werden kann.

Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 25.02.2022

Von: Sarah Bures / Foto: Beate Winterer

Programm: Im Land der (Schein-)Riesen?

Im Land der (Schein-)Riesen? Die Bundestagswahl 2021 in der Analyse

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Ganz grundsätzlich: Wie fanden Sie die Trielle vor der Bundestagswahl 2021?

Barbara Pfetsch: Wenn man die Trielle im letzten Jahr mit der Debatte von 2017 vergleicht, dann waren sie deutlich besser. 2017 gab es ja nur ein Duell, weil Angela Merkel sich geweigert hatte, überhaupt mehr als eines zu machen. Deswegen mussten sich die privaten und öffentlich-rechtlichen Sender über die Moderatoren einigen. Das hat dazu geführt, dass vier sehr prominente Moderatorinnen und Moderatoren sich sehr gern selbst reden gehört haben. Ich fand, dass dieses Phänomen 2021 nicht mehr zu beobachten war. Die Trielle waren überraschend sachlich und resonant.

Gibt es weitere Unterschiede zwischen den Triellen 2021 und den Duellen, die in der Vergangenheit stattgefunden haben?

Es macht natürlich einen Unterschied in der Redesituation, ob man zwei Kandidaten hat oder drei. In Zweierdebatten sind die klassischen Konstellationen Angriff und Verteidigung, Frage und Nachfrage oder zwei Sprecher, die sich gegenseitig kommentieren. Bei drei Kandidaten hat man immer die Zwei-zu-eins-Konstellation: Zwei argumentieren und pflichten sich bei oder widersprechen sich. In dieser Situation kann sich die oder der Dritte zurücklehnen, die anderen beiden beobachten und sich dann überlegen, wem zugestimmt wird. Das konnte man in den ersten beiden Triellen sehr gut beobachten. Im letzten Triell war das zwar auch erkennbar, aber da war die Frage der Koalitionen bereits beantwortet. Es wurde deutlich, dass sich Annalena Baerbock und Olaf Scholz die Argumente zuspielen. Am Ende hat Scholz auch ganz klar gesagt, wenn er sich einen Koalitionspartner aussuchen könnte, dann wären das die Grünen. Frau Baerbock hat daraufhin freundlich genickt.

Ist eine Kandidatin oder ein Kandidat während der Trielle besonders positiv herausgestochen?

Bei den Blitzumfragen hatte Olaf Scholz in allen Triellen die größte Zustimmung und das interessanterweise mit einer ganz passiven Strategie. Annalena Baerbock konnte im ersten Triell vor allem bei der jüngeren Generation punkten. Sie begann sehr lebhaft und angriffslustig, verschlechterte sich aber bis zum dritten Triell. Armin Laschet war sehr authentisch und hat sich in allen drei Sendungen gut geschlagen, allerdings hat ihm das keine Punkte bei den Zuschauern eingebracht.

Welche Themen wurden vorrangig behandelt und welche kamen eher zu kurz?

Sehr auffällig war, dass die Außen- und Europapolitik überhaupt nicht angesprochen wurde und das in einer Situation, in der der Afghanistan-Rückzug noch aktuell war und sich bereits angedeutet hat, dass Russland den Konflikt mit der Ukraine eskalieren könnte. Auch die Migrationspolitik, ein extrem wichtiges Thema, kam viel zu kurz. Ebenso wurden die Frage, wie man sich als Deutschland innerhalb von Europa und in den Bündnissen gegenüber China aufstellt und die Sicherheitspolitik vernachlässigt. Allenfalls standen die Innenpolitik, die Sozial- und Rentenpolitik, Gesundheit und Klimaschutz deutlich im Mittelpunkt und das in allen drei Triellen.

Weil wir gerade über die Themen sprechen: Wurde deutlich, wer für welche Themen steht?

Ja, das finde ich schon. Meiner Meinung nach konnten die Kandidatin und die Kandidaten ihr Wahlprogramm gut rüberbringen. Der Fokus bei Olaf Scholz lag bei Mindestlohn, Rente und Wohnen. Annalena Barbocks Themen waren vor allem der Klimaschutz, Frauen und Familie, während Armin Laschet auf Wirtschaft und innere Sicherheit setzte. Es fiel auch auf, dass sich niemand zu schade war, dem politischen Gegner zuzustimmen, wenn das sachlich gerechtfertigt war.

Wie war die Medienberichterstattung über die Trielle?

Die Medien haben interessanterweise vor allem über zwei Dinge berichtet: Zum einen haben sie relativ sachlich über den Verlauf der Trielle und die Positionen der Kandidaten informiert. Das kann man zum Beispiel in der Süddeutschen Zeitung oder dem Tagesspiegel sehen. Dort wurden die verschiedenen Themenbereiche und die jeweiligen Antworten der Kandidatin und der Kandidaten aufgezeigt. Zum anderen gab es natürlich auch die klassische Horse-Race-Berichterstattung. Wer hat sich besser geschlagen? Wer hat die besten Chancen?

Würden Sie sagen, die Trielle waren ausschlaggebend für die Wahlentscheidungen der Bürgerinnen und Bürger?

Wenn man sich die Befragungsdaten ansieht, dann hat sich bereits ab Ende Juli 2021 abgezeichnet, dass sich Olaf Scholz in der Kanzlerpräferenzfrage absetzt. Davor gab es viele Schwankungen. Eine Zeit lang war Annalena Baerbock vorne, dann wieder Armin Laschet. Im Mai dachte die CDU noch, die Kanzlerschaft könne ihr keiner mehr nehmen. Im Juli setzte dann aber ein Trend zugunsten von Olaf Scholz ein, der schwer umzukehren war. Insofern war die strategische Frage für Armin Laschet, ob er das Blatt durch die Trielle noch wenden kann. Armin Laschet war gut, aber er hat es nicht geschafft, durch seine Auftritte in den Debatten die Entwicklung zu seinen Gunsten zu drehen. Im Nachhinein kann man also sagen, dass die Trielle keinen großen Effekt auf die Kanzlerpräferenzen der Wähler hatten.

Wäre es besser gewesen, mehr Abwechslung reinzubringen und vielleicht auch mal Duelle anzubieten?

Nein, das glaube ich nicht. Man weiß aus der Forschung, dass TV-Debatten keinen starken und nachhaltigen Einfluss auf die Wahlentscheidung haben. Sie haben kurzfristig den Effekt, dass Wählerinnen und Wähler, die in ihrer Parteipräferenz unsicher geworden sind und schwanken, sich wieder hinter ihrer Kandidatin oder ihrem Kandidaten positionieren. Die Duelle haben damit eher eine Bestätigungsfunktion. Insofern denke ich, dass die Formatierung der Duelle und Trielle in der Situation keinen Unterschied macht.

Sind Trielle und Duelle Formate, die auch die jüngere Generation ansprechen?

Duelle und Trielle sind ein relativ traditionelles Format. Ich denke, jüngere Generationen müsste man auf den Medien ansprechen, die sie auch nutzen. Dieses Mal haben sich die Anstalten ganz bewusst dagegen entschieden, die Trielle auf Twitter oder Facebook zu begleiten. Wenn man zusätzlich zu den Debatten im Fernsehen noch Social Media und andere digitale Plattformen einbeziehen würde, würde man die jüngeren Wählerinnen und Wähler auf jeden Fall besser ansprechen.

Was könnte man bei kommenden Triellen besser machen?

Die Verantwortlichen in den Rundfunkanstalten müssten sich auf jeden Fall besser abstimmen. Man müsste sich darauf einigen, wer welche Themen in den Fokus rückt, damit alle Themen - auch kontroverse - zur Sprache kommen. Ich denke auch, dass insgesamt zwei Trielle ausreichen, um die wesentlichen Themen des Wahlkampfes zu besprechen. In den Triellen wurden auch solche Fragen immer wieder gestellt, die niemand beantworten wollte. Zum Beispiel die ständig gleiche Frage nach den Koalitionsabsichten der Parteien. Journalistinnen und Journalisten können da ziemlich penetrant werden und die Kandidaten stehen dann im Wettbewerb, wer am freundlichsten nichts dazu sagt. Was die Inhalte angeht, so könnte man auch überlegen, dass die Kandidaten miteinander ins Gespräch kommen, anstatt nur auf die Fragen der Moderatoren zu antworten. In den diesjährigen Triellen wurde ihnen sehr schnell das Wort abgeschnitten. Außerdem finde ich, dass die Journalistinnen und Journalisten auch insofern ein bisschen zurückhaltender sein könnten, als dass sie nicht immer schon den Interpretationsrahmen der Antwort vorbestimmen. Das Thema Klimaschutz wurde zum Beispiel immer auf die Frage reduziert, wie teuer die Maßnahmen sein werden und wer das bezahlen soll. Klimaschutz kann man aber auch aus ganz anderen Perspektiven betrachten und dafür wurde keine Möglichkeit gegeben.

Wie stellen Sie sich zukünftig die Ausgestaltung der Trielle vor?

Eine Idee wäre, dass man die Kandidaten neben den Sachfragen auch über ihre langfristige Vision für das Land befragt. Als Kanzlerin oder als Kanzler hat man eigentlich keine Ressortpolitik zu verantworten, sondern eine Führungsrolle innerhalb der Regierung wahrzunehmen und die Richtlinienkompetenz auszuüben. Man könnte also ein Triell so organisieren, dass es stärker um die eigentliche Rolle der Kanzlerin oder des Kanzlers geht und darum, wie die Kandidaten diese Rolle ausfüllen würden.

Sollten die Bürgerinnen und Bürger stärker eingebunden werden?

In der Literatur werden häufig sogenannte Town-Hall-Meetings diskutiert. Dort versammeln sich Bürgerinnen und Bürger und befragen die Kandidatinnen und Kandidaten. Angela Merkel hat das einige Male gemacht. Solchen Formaten stehe ich skeptisch gegenüber, weil sie nicht garantieren, dass wirklich politische Fragen erörtert werden. Das Gespräch kann sich sehr schnell auf individuelle Probleme von einzelnen Bürgern fokussieren und die "großen" inhaltlichen Fragen bleiben außen vor. Duelle oder Trielle müssen professionell vorbereitet werden.

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