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Klimaschutz in Zeiten der Corona-Pandemie

Ist die Krise eine Chance für unsere Umwelt?

Alle Aufmerksamkeit ist auf die vierte Corona-Welle gerichtet. Die Klimakrise und die Umweltkrise geraten aus dem Blick. Dabei hat die Pandemie erheblichen Einfluss auf die Klimatransformation - positiv wie negativ. Während der Online-Tagung "Corona: Bremse oder Beschleuniger für Wirtschaft und Gesellschaft?" der Akademie für Politische Bildung haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer eine Zwischenbilanz gezogen: Wie beeinflusst die Pandemie die Verkehrswende? Und können wir aus der Corona-Krise für den Umgang mit der Klimakrise lernen?

Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 16.12.2021

Von: Theresa Pils / Foto: iStock/Mickis-Fotowelt

Programm: Corona: Bremse oder Beschleuniger für Wirtschaft und Gesellschaft?

Corona: Bremse oder Beschleuniger für Wirtschaft und Gesellschaft?

Flickr-Galerie © Akademie für Politische Bildung Tutzing. Bitte klicken Sie auf das Foto, falls die Galerie nicht lädt. Sie werden zu Flickr weitergeleitet.

Vor 50 Jahren publizierte der Club of Rome "Die Grenzen des Wachstums" und machte damit auf die verheerenden Folgen unserer Art des Wirtschaftens auf die Umwelt aufmerksam. Angesichts der vierten Corona-Welle ist die Aufmerksamkeit von Medien, Politik und Gesellschafft jedoch gebannt auf die Pandemie. Die Klimakrise und die Umweltkrise rücken in den Hintergrund. "Doch bleiben wir nicht wach, sind wir nicht handlungsfähig", sagt Christian Löwe, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Umweltbundesamt. Aber wie können wir unsere Handlungsfähigkeit bewahren? Ist die Corona-Pandemie in Bezug auf die Klimakrise eine verpasste Chance? Oder können wir sie zur Gestaltung einer nachhaltigen Wirtschaft und Gesellschaft nutzen? Über diese Fragen haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Online-Tagung "Corona: Bremse oder Beschleuniger für Wirtschaft und Gesellschaft?" der Akademie für Politische Bildung diskutiert.

Corona-Pandemie: Nur ein kurzfristiger Rückgang der Mobilität

Im Bereich der Mobilität und des Verkehrs wirkt es auf den ersten Blick, als hätte die Pandemie einen positiven Beitrag zum Klimaschutz geleistet. Aufgrund der Ausgangsbeschränkungen, Grenzschließungen und Sorgen vor Ansteckung sind die Menschen vorwiegend zu Hause geblieben. Die Mobilität hat 2020 stark abgenommen. In der ersten Hälfte des Jahres sind die CO2-Emissionen des Transportsektors - die Luftfahrt ausgenommen - weltweit um 50 Prozent im Vergleich zu 2019 gesunken. "Ist Covid damit schlecht für den Menschen, aber gut fürs Klima?", fragt Alexander Eichberger. Er ist Mitbegründer der Initiative unserklima.jetzt, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, über die Kimakrise zu informieren und zukunftsfähige Lebensstile zu fördern. Eichberger zeigt den Teilnehmerinnen und Teilnehmern, dass die Corona-Pandemie kaum Relevanz für CO2-Einsparungen hat: "2021 war das Verkehrsaufkommen wieder so hoch wie zuvor." Die Abnahme der Mobilität im Vorjahr hat nicht auf einem freiwilligen Verzicht oder einem nachhaltigen Sinneswandel beruht, sondern lediglich auf den  Corona-Beschränkungen. Sobald diese gelockert wurden, stieg auch die Mobilität wieder. Der Covid-Effekt hatte keine langfristige Wirkung, da er keine grundlegende Transformation des Verkehrssektors zur Folge hatte.

Die Verkehrswende braucht eine Verhaltenswende

Damit diese Transformation Fahrt aufnimmt, versucht die Bundesregierung mit einer Erhöhung der E-Auto-Prämie seit Juli 2020 die Antriebswende und gleichzeitig die Wirtschaft in der Corona-Pandemie zu unterstützen. "Aber eine Verkehrswende heißt nicht nur Technologiewende, sondern auch Verhaltenswende", betont Alexander Eichberger. Es brauche mehr öffentlichen Nahverkehr, eine gut ausgebaute Fahrradinfrastruktur und weniger Individualverkehr. Corona ist in Bezug auf die Verkehrstransformation Bremse und Beschleuniger zugleich. Bei einer DLR-Erhebung zu Corona und Mobilität gaben im November und Dezember 2020 zwölf Prozent der Befragten an, dass sie den ÖPNV in Zukunft wahrscheinlich häufiger nutzen werden als vor der Corona-Pandemie, 22 Prozent dagegen seltener als zuvor und drei Prozent gar nicht mehr. Im April und Mai 2021 verstärkte sich dieser Trend in einer weiteren Befragung: Rund 25 Prozent glaubten, dass sie seltener in Bus und Bahn steigen werden und der Anteil derer, die diese Verkehrsmittel überhaupt nicht mehr nutzt, erhöhte sich auf zwölf Prozent. "Der ÖPNV als Verlierer der Pandemie verstetigt sich mit jeder Welle", kommentiert Eichberger die Ergebnisse der Umfrage.

Als Gewinner der Pandemie kristallisiert sich demgegenüber das Auto heraus, ein bequemes Verkehrsmittel, das vor Ansteckungen schützt. Einen nachhaltigen Sieger gibt es aber auch: das Fahrrad. In der Pandemie treten wieder mehr Menschen in die Pedale. Um dem erhöhten Radverkehr gerecht zu werden, richtete 2020 zum Beispiel die Stadt Berlin entlang großer Straßen 15 Kilometer temporäre Radwege ein, indem sie Autospuren absperrte. Auch der öffentliche Raum profitierte von Corona, weil unter anderem auf Parkplätzen sogenannte Schanigärten entstanden, um der Außengastronomie in Zeiten von Abstandsregeln mehr Platz zu bieten. Wo früher Autos parkten, wird nun gegessen, getrunken und beisammengesessen.

Gesunde Umwelt, gesunde Wirtschaft

Christian Löwe vom Umweltbundesamt hat nicht nur den Verkehr im Blick, sondern schaut vor dem Hintergrund der Klimatransformation auf das gesamte Krisenmanagement. "Politik darf nicht in der Vergangenheit arbeiten", kritisiert er. Die Corona-Krise begreift er als Lehrstück und will Perspektiven zeigen, wie wir zur Bewältigung ökologischer Zivilisationsherausforderungen besser aus Krisen lernen können. Aktuell sieht die Bundesregierung für das Konjunkturpaket rund 130 Milliarden Euro vor und die Hilfspakete umfassen bisher unter anderem eine Mehrwertsteuersenkung, Überbrückungshilfen für Unternehmen und Familienzuschüsse. Die Maßnahmen orientieren sich vorwiegend am Erhalt des Status quo. Was aus Sicht des Umweltbundesamtes fehlt, sind grundlegende Strukturreformen.

Eine verspielte Chance für nachhaltige Investitionen war schon die Finanzkrise 2008/2009. In diesem Zeitraum sanken die weltweiten Emissionen um 1,4 Prozent. Im darauffolgenden Jahr stiegen sie jedoch um 5,9 Prozent. Die Regierung folgte dem Ansatz: Konsum erhöhen und Konjunktur ankurbeln - fatal für die Bekämpfung der Klimakrise. Der Umgang mit der Corona-Krise muss anders laufen. Umwelt auf der einen und Wirtschaft und Gesellschaft auf der anderen Seite dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Die Priorisierung einer der beiden Seiten ist ein Fehlschluss, da diese wechselseitig zusammenhängen. In Krisensituationen dürfe nicht nur der Schaden auf Status-quo-Niveau behoben werden. Vielmehr sollte nachhaltig in die Zukunft investiert werden, um weiteren Krisen vorzubeugen, sagt Christian Löwe.

Das Umweltbundesamt vertritt den "One-Health-Ansatz" als politische Handlungsmaxime. Dieser berücksichtigt, dass die menschliche Gesundheit eng verknüpft ist mit einer gesunden Umwelt, tierischer Gesundheit, Lebensmittelsicherheit und landwirtschaftlichen Praktiken. Dass Krankheitserreger wie das Corona-Virus überhaupt von Tieren auf den Menschen übergreifen, wird unter anderem auf die intensive Abholzung und Landnutzung und damit auf unzureichenden Umweltschutz und Klimaschutz zurückgeführt. Um die Entstehung weiterer Zoonosen zu verhindern, sind diese unabdingbar. Umwelt, Gesundheit und Wohlstand müssen integrativ zusammengedacht werden und dies bedarf einer interdisziplinären Zusammenarbeit. Das Umweltbundesamt empfiehlt dafür Kooperationen auf nationaler und internationaler Ebene zwischen medizinischen Instituten und solchen im Bereich Umweltschutz und Klimaschutz.

"Klimaschutz ist die beste Schuldenbremse"

Ist die Pandemie wirklich ein Lehrstück, wie Christian Löwe sie sieht, oder gefährdet Corona die Klimatransformation? Letztere Tendenz sieht Laura Seelkopf, Assistenzprofessorin für Internationale Politische Ökonomie an der Hochschule für Wirtschaft und Politik der Universität St. Gallen. Sie zeigt vorläufige Ergebnisse ihrer Umfrage. Die Teilnehmenden wurden befragt, ob sie eine Erhöhung der Steuern auf CO2-Emissionen befürworten. Rund 43 Prozent sagten ja. Dieser Anteil lag bei der Testgruppe, die zuvor eine Frage zu den Kosten der Corona-Pandemie gestellt bekommen hatte, allerdings nur bei 37 Prozent. "Die kurzfristige Krise stellt die langfristige Krise in den Hintergrund", deutet Laura Seelkopf das Ergebnis. Ist Corona damit eine Bremse für die Klimatransformation und die Bereitschaft, diese zu finanzieren? Dem entgegnet Barbara Saerbeck von Agora Energiewende: "Kein Klimaschutz ist viel teurer als Klimaschutz." Das Denk- und Politiklabor, für das sie arbeitet, sucht nach mehrheitsfähigen Lösungen für die Umsetzung der Energiewende. Mit einem 80-köpfigen Team hat es fünf Strategien und 50 Politikinstrumente für die Klimaneutralität bis 2045 erarbeitet und diesen Katalog Politikerinnen und Politikern im Bundestag vorgelegt. Denn eines macht Barbara Searbeck deutlich: "Klimaschutz ist die beste Schuldenbremse."

Krise als Chance für ein nachhaltiges kulturelles Selbstverständnis

Trotz Corona dürfen wir nicht krisenmüde werden und das Klima hintenanstellen. Denn "Krise" bedeutet im medizinischen Gebrauch "kritischer Wendepunkt bei einem Krankheitsverlauf" und bietet damit auch immer eine Chance für positive Veränderungen. "Wir brauchen eine neue kulturelle Identität zur Bekämpfung des Klimawandels", sagt Christian Löwe. Die Corona-Pandemie stellt viele Gewissheiten in Frage, aber sie könnte damit auch Ausgangspunkt eines neuen gesellschaftlichen Selbstverständnisses für eine nachhaltige Kultur sein. Worüber definieren wir uns? Was bedeutet für uns Wohlstand? Fragen die mehr öffentliche Diskussion bedürfen.

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