Das Wirtschaftspotenzial der Kultur
Die Bedeutung der Kreativwirtschaft für Kommunen und Regionen
Die Kultur- und Kreativwirtschaft birgt ein enormes Potenzial für die wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung von Kommunen. Mit einem besonderen Fokus auf das Fünf-Seen-Land hat die Veranstaltung "Kultur- und Kreativwirtschaft: Unterschätzter Wirtschaftsfaktor mit gesellschaftlicher Wirkung" der Akademie für Politische Bildung und der gwt Starnberg die Branche in den Blick genommen. Wodurch zeichnet sie sich aus? Was sind ihre spezifischen Bedürfnisse? Und welche Voraussetzungen braucht es, damit kreative Projekte umgesetzt werden und zur Entwicklung einer Region beitragen?
Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 29.09.2021
Von: Sophie Behrendt / Foto: Sophie Behrendt
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"Es war eigentlich eine absurde Idee, hier in der Region ein Filmfestival zu veranstalten", sagt Michael Helwig, Kinobetreiber im Landkreis Starnberg. Dennoch organisierte er 2007 zum ersten Mal das Fünf Seen Filmfestival, das mittlerweile zu einem der größten und renommiertesten Filmfestivals in Süddeutschland zählt und bis zu 20.000 Besucherinnen und Besucher anzieht. Das Festival ist ein Beispiel dafür, wie eine Region von seinen kreativen Köpfen sowohl kulturell als auch wirtschaftlich profitieren kann. Als unverzichtbarer Faktor für eine florierende Region ist die Kreativbranche in den Köpfen jedoch häufig noch nicht verankert. Auf der Abendveranstaltung "Kultur- und Kreativwirtschaft: Unterschätzter Wirtschaftsfaktor mit gesellschaftlicher Wirkung" der Akademie für Politische Bildung und der gwt Starnberg haben Künstlerinnen, Unternehmer und Politikerinnen gemeinsam über das Potenzial dieser Branche für Kommunen diskutiert. Was sind die Besonderheiten dieses heterogenen Wirtschaftssektors? Wie kann er zur Standortentwicklung beitragen und wie können gleichzeitig die Kreativen vor Ort besser unterstützt werden?
Kreative bringen Prosperität
Toleranz, Technologie, Talente - von diesen drei T hängt nach dem US-amerikanischen Ökonomen Richard Florida die Prosperität einer Gesellschaft ab. "Die Vorstellung dahinter, dass Unternehmen und Arbeitsplätze den Kreativen hinterherziehen, ist vielleicht ein typisch amerikanischer Zugriff", gibt Ursula Münch, die Leiterin der Akademie für Politische Bildung, zu bedenken. Grundsätzlich aber sind die Kreativen für die Entwicklung eines Standorts ein unverzichtbar. Münch betont, dass die Kultur- und Kreativbranche ein großes Potenzial für Regionen und Kommunen biete.
Anschaulich zeigt das an diesem Abend Jan Knikker. Er leitet im Rotterdamer Architekturbüro MVRDV, das für seine experimentellen und modernen Bauformen international bekannt ist, die Abteilung Partner Strategy & Development. Das Architekturbüro hat unter anderem die Rotterdamer Markthalle konzipiert und gebaut - ein besonders erfolgreiches Beispiel dafür, wie sehr die Kreativwirtschaft in Form von Architektur einen Standort fördern kann. Das Bauwerk hat sich zu einem bedeutenden Besuchermagnet entwickelt und zieht jährlich knapp acht Millionen Menschen an, davon sind vier Millionen Touristinnen und Touristen. Zudem befinden sich im Baukomplex über der Markthalle teuere Eigentumswohnungen und Sozialwohnungen, sodass das Gebäude zur gesellschaftlichen Durchmischung beiträgt. Nicht nur in großen Städten sind solche Projekte möglich: In dem kleinen niederländischen Ort Brabant hat das Büro ein gläsernes Gewerbegebäude am Marktplatz gebaut, das mithilfe von bedruckten Folien im Stil eines überdimensionierten traditionellen niederländischen Bauernhofs gestaltet ist. Das Gebäude ist mittlerweile zu einer Besucherattraktion geworden und trägt so zur Entwicklung des Ortes bei.
Wer ist die Kultur- und Kreativwirtschaft?
Doch nicht nur Architektur kann eine Gemeinde bereichern. Die Kreativbranche selbst ist äußerst heterogen und vielfältig. Insgesamt umfasst der Sektor zwölf Zweige, darunter die bildende Kunst und die darstellenden Künste. Aber auch der Werbemarkt und die florierende Software- und Spieleindustrie zählen zur Kultur- und Kreativwirtschaft. Insgesamt waren in Deutschland 2019 knapp 1,8 Millionen Menschen in der Branche beschäftigt. In der Region Starnberg arbeiten überproportional viele Erwerbstätige in dem Bereich - zudem liegt die kreative Klasse im Landkreis Starnberg im bundesweiten Vergleich laut einer Studie auf Platz 1.
Carola Kupfer, Präsidentin des Bayerischen Landesverbands der Kultur- und Kreativwirtschaft e.V., ist sich sicher, dass die unterschiedlichen Branchenzweige gut unter ein Dach passen. Gemeinsame Interessen, Werte und Bedürfnisse vereinen die verschiedenen Gruppen. Als Herausforderung betrachtet sie vor allem, dass es in der Politik keine eindeutigen Ansprechpartner gebe. "In der bayerischen Landesregierung sind vier unterschiedliche Ressorts für die Kultur- und Kreativwirtschaft zuständig", erklärt Kupfer. Ein weiteres Problem: Die einzelnen Akteure und Gruppen innerhalb des Sektors hätten sich bisher kaum untereinander vernetzt. Die fehlende Institutionalisierung der Branche erschwere es - vor allem, aber nicht nur in Zeiten einer Pandemie - den Interessen und Bedürfnissen der Kreativen Gehör zu verschaffen. Aus diesem Grund wurde schon 2019 der Bayerische Landesverband der Kultur- und Kreativwirtschaft gegründet, um eine effizientere Interessensvertretung zu erreichen. Ideengeber für den Verband war das "Regensburger Modell". Das Kreativforum, ein offenes Branchennetzwerk, ermöglicht dort einen Austausch zwischen den unterschiedlichen Akteuren, bietet einen Ansprechpartner für die Kommune und sorgt für Sichtbarkeit bei Wirtschaftspartnerinnen und in der Lokalpolitik. In Regensburg stießen das Kreativforum, das permanent in einem Gebäude im Altstadtzentrum angesiedelt ist, und das große Kulturangebot nicht nur bei der Bevölkerung auf große Begeisterung. Auch die Wirtschaft habe das Potenzial der Branche mittlerweile erkannt, sagt Kupfer.
Landkreis Starnberg: Eine Goldgrube für die Kultur- und Kreativwirtschaft?
"Jeder Landkreis muss nach seinen Talenten suchen, mit denen er punkten kann", sagt Michael Helwig, der Gründer des Fünf Seen Filmfestivals. Wie in der Podiumsdiskussion an der Akademie deutlich wird, ist dafür im Raum Starnberg genügend Potenzial vorhanden. Der Wohlstand der Region ist für die Kultur- und Kreativwirtschaft aber durchaus ein zweischneidiges Schwert. Zwar gibt es potenziell genügend Gelder und Mäzenen. Viele schauen jedoch direkt nach München oder haben aufgrund der Saturiertheit der Region weniger Bedarf nach Kulturangeboten vor Ort. Die Politik kann für die Kreativen den Rahmen bieten, nicht aber unbegrenzt fördern. Umso wichtiger ist es, die Sichtbarkeit der unterschiedlichen Projekte zu erhöhen und ihren Mehrwert für die Entwicklung der Region hervorzuheben, um auch private Sponsoren mit ins Boot zu holen.
Chancen für den Kultur- und Kreativsektor sehen die Gäste vor allem in der Revitalisierung des öffentlichen Raumes. Michael Ehret hat sich mit seinem Unternehmen ehret + klein für Quartiers- und Projektentwicklung genau darauf spezialisiert. Er wünscht sich "urbane und elastische Räume". Hier könnte die Kreativbranche beispielsweise durch die kreative Um- und Zwischennutzung von Gebäuden im öffentlichen Raum sichtbarer werden und die Innenstädte bereichern. Solche Konzepte allein reichen allerdings nicht. Die Kultur- und Kreativwirtschaft müsse vielmehr langfristig fest in der Gesellschaft und im Stadtbild, beispielsweise in "Kreativquartieren", verankert werden, findet Kupfer. Gerade die fehlende lokale Verankerung sorge für die prekären Arbeitsbedingungen und die geringe Akzeptanz in der Bevölkerung.
Es braucht politischen Willen und Mut
Bei einem sind sich alle Vortragenden und Gäste einig: Ohne den politischen Willen und Mut, etwas zu verändern und langfristig einen Platz für die Kultur- und Kreativwirtschaft in den Kommunen zu schaffen, geht es nicht. Gesine Dorschner, Grafikdesignerin und Künstlerin, ist Mitglied in der Gruppe "Die Künstler aus dem Einbauschrank". Gemeinsam organisieren sie regelmäßig kurze Ausstellungen mit Event-Charakter in leerstehenden Gebäuden, die entweder abgerissen oder grundlegend saniert werden sollen. Am Anfang lief das Projekt auf eigene Kosten und auch heute noch fühle sie sich gegenüber den Kommunen häufig wie eine Bittstellerin.
Damit alle Beteiligten das Potenzial der Kultur- und Kreativwirtschaft optimal nutzen können, ist eine gute Zusammenarbeit zwischen Kreativen, Kommunen und Wirtschaftsvertretern wichtig. Momentan übernimmt die gwt Starnberg mit ihrem Förderprojekt zur Unterstützung der Kultur- und Kreativwirtschaft in der Region die dafür nötige Mittlerfunktion. Wie die Leiterin des Projekts Daniela Tewes berichtet, braucht es dafür aber häufig noch einen langen Atem und viel Eigeninitiatve von allen Seiten. An diesem Abend jedoch ist der Veränderungswille groß: Am Ende steht der Wunsch aller Beteiligten, sich in den Kommunen gemeinsam an einen Tisch zu setzen, Ideen zu sammeln und gemeinsam Projekte und Visionen zu entwickeln.