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Wie zuverlässig sind Wahlumfragen?

Episode 18 unseres Podcasts mit Ursula Münch

Wahlumfragen haben sich selten so schnell geändert wie im Sommer 2021. Im Mai standen die Grünen noch bei 25 Prozent und die SPD bei 15 Prozent. Kurz vor der Bundestagswahl zeigen die Wahlprognosen ein umgekehrtes Bild. Aber wie zuverlässig sind die Vorhersagen der Umfrageinstitute - vor allem, wenn man bedenkt, dass zwischen einem Viertel und der Hälfte der Wählerinnen und Wähler noch unentschlossen ist? Ist die Bundestagswahl schon entschieden? Und wie wirkt sich die Briefwahl auf den Wahlkampfendspurt aus? Akademiedirektorin und Politikwissenschaftlerin Ursula Münch gibt Antworten zur Sonntagsfrage.

Tutzing / Podcast / Online seit: 17.09.2021

Von: Beate Winterer / Foto: APB Tutzing

Podcast

Beate Winterer: Geht es Ihnen auch so: Sind Sie langsam verwirrt von all den Wahlumfragen, die im Moment fast täglich durch die Medien gehen und die sich in den vergangenen Wochen auch so schnell geändert haben? Damit sind Sie nicht allein. Ich bin Beate Winterer, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit an der Akademie für Politische Bildung, und ich will heute herausfinden, wieso sich diese Prognosen über den Sommer so stark verändert haben - und wie zuverlässig sie überhaupt sind. Bei mir ist Akademiedirektorin Ursula Münch. Sie hat die Entwicklung aufmerksam verfolgt und kann hoffentlich alle Fragen beantworten, die uns umtreiben.

Woher kommt die Trendwende bei den Wahlumfragen?

Beate Winterer: Frau Münch, ich habe mir die Wahlumfragen aus der vergangenen Woche angeschaut. Je nach Institut führt die SPD mit 25 bis 27 Prozent, auf dem zweiten Platz dahinter ist die Union mit 20 bis 25 Prozent und die Grünen liegen dann auf Platz 3 und kommen immerhin noch auf 15 bis 17 Prozent. Man muss ja nicht weit in der Zeit zurückgehen, um komplett andere Ergebnisse zu finden: Noch im Mai war die SPD bei 15 Prozent und die Grünen hatten 25. Woher kommt diese Trendwende, die vor allem der SPD nutzt? Liegt das an den Themen oder doch eher am Kandidaten oder an der Kandidatin bei den Grünen?

Ursula Münch: Also an den Themen liegt es meines Erachtens am wenigsten. Ich glaube, dass es am meisten zum einen an den Personen liegt, an der Spitzendkandidatin und den Spitzenkandidaten - und deren Fehler, komme ich gleich drauf - und es liegt aber auch insgesamt daran, dass wir in einer "wandelnden Zeit" leben. Der Wandel drückt sich ja unter anderem darin aus, dass wir eine scheidende Bundeskanzlerin haben und auch damit hat das zu tun. Zunächst zum ersten Punkt. Wir haben drei Spitzenkandidaten, die ganz unterschiedlich sich positioniert hatten im Frühjahr - unterschiedlich im Vergleich zur jetzigen Situation. Diese Veränderungen haben vor allem damit zu tun, dass nach diesem anfänglichen Hype, dieser Begeisterung, rund um die grüne Spitzenkandidatin Annalena Baerbock, dann ganz schnell das umgeschlagen ist. Warum ist das umgeschlagen? Wir erinnern uns, Annalena Baerbock hat persönlich Fehler gemacht, sie hat ein bisschen ihren Lebenslauf - sagen wir mal - beschönigt. Sie hat gemeint, es sei sinnvoll in Wahlkampfzeiten ein Buch zu veröffentlichen unter ihrem Namen, das sie aber nicht selbst wirklich geschrieben hat, wo sie anscheinend, offensichtlich, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter damit beauftragt hat, die es aber auch nicht selber geschrieben haben, die schlecht plagiiert haben. Und das alles ist Annalena Bearbock ziemlich auf die Füße gefallen. Und die Medien, die sie noch wenige Woche davor in den Himmel hochgelobt haben, haben sie dann auch genauso schnell wieder runtergeschrieben.

Das hat wiederum Auswirkungen, diese zurückgehenden Zahlen dann für die Grünen hatten meines Erachtens durchaus auch Auswirkungen auf die Wahrnehmung und auch die Mobilisierungsfähigkeit für die CDU und für Armin Laschet. Armin Laschet ist zunächst einmal ganz ordentlich herausgekommen aus diesem Duell um die Kanzlerkandidatur der Union. Da hat er gewonnen, er hat aber auch gleichzeitig ein dickes Päckchen mit sich herumgetragen. Dieses Päckchen waren durchaus auch gewisse Abwertungen, die sowohl innerhalb der CDU, aber vor allem auch durch die CSU stattgefunden haben. Aber nichtsdestotrotz, er hat sich gar nicht so schlecht dargestellt. Aber meine These wäre, dass der CDU mit dieser Schwächung der Grünen eine Mobilisierung abhandengekommen ist. Für die CDU wäre es viel leichter gewesen, gegen diese vermeintlich unerfahrene - oder auch tatsächlich unerfahrene - grüne Spitzenkandidatin zu mobilisieren, die eigene Anhängerschaft, und so einen Grün-gegen-Schwarz-Wahlkampf auszurufen. Das hat dann nicht geklappt, das ist das eine. Und hinzukommt dann eben die Flutkatastrophe, die allseits bekannten Bilder und Videos, die während der Flutkatastrophe von Armin Laschet entstanden sind. Wieder ein Medienhype, vor allem auch in den digitalen Netzwerken, wo dieses Filmchen über den grinsenden Herrn Laschet ständig wiederholt worden ist und in die klassischen Medien hineingefunden hat. Das hat Armin Laschet dann bekanntlich geschadet und meines Erachtens - und da schließt sich dann wieder der Kreis - hat es ihm dann auch deshalb geschadet, weil das diese Vorurteile gegen Laschet und gegen Laschets Image - das auch durch diesen Wettkampf zwischen CSU und CDU, zwischen Söder und Laschet – entstanden ist, das hat es im Grunde bestätigt. Und so erkläre ich mir dieses Hinabrutschen und Runterrutschen sowohl der Grünen und - dann auch zum Teil abhängig, zum Teil unabhängig davon - der CDU/CSU.

Das erklärt noch nicht, warum Olaf Scholz und die SPD davon profitiert haben. Das eine hat etwas mit Persönlichkeitsfaktoren zu tun. Olaf Scholz hat sich zumindest keine Fehler erlaubt. Mit Ausnahme des einen oder anderen, in der Vergangenheit überwiegend liegenden, Skandals. Diese Skandale - Wirecard, Cum-Ex-Geschäfte - sind so kompliziert und erfordern so viel Sachkenntnis, damit war die Öffentlichkeit und die Medien überfordert. Das ist nicht groß thematisiert worden. Und auf der anderen Seite haben SPD und Olaf Scholz davon profitiert, dass wir mit dem Nicht-mehr-antreten von Angela Merkel einen Teil der Wählerschaft haben, die durch Angela Merkel zu CDU- und CSU-Wählern und Wählerinnen geworden sind. Nicht wegen der Union, sondern wegen dieser Kanzlerin. Und die haben jetzt festgestellt: Hoppla, keine Kanzlerin mehr und wir können uns neuorientieren. Sind also zum Teil auch wieder zurückgekehrt, zur SPD - und damit bestätigt sich vielleicht auch dieser alte Vorwurf von der Sozialdemokratisierung der CDU, der durchaus seine Vorteile hatte. Und diese Vorteile sind jetzt dahin.

Ist die Bundestagswahl schon entschieden?

Beate Winterer: Der Vorsprung, den die SPD hat, liegt ja bei ungefähr bei fünf Prozent, ist also schon deutlich. Ist die Bundestagswahl damit schon entschieden oder kann sich die Reihenfolge der Parteien auch noch ändern auf den letzten Metern?

Ursula Münch: Meines Erachtens kann sich da schon noch was ändern. Wobei natürlich der Unsicherheitsfaktor der ist, dass wir nicht wissen, wann ein nennenswerter Teil der Bevölkerung - nämlich diejenigen, die Briefwahl machen - ihre Entscheidungen treffen. Die haben die vielleicht schon getroffen, treffen sie erst noch. Also davon hängt aus Sicht der Union natürlich viel ab. Das wissen wir nicht genau, ob das vielleicht auch gerade die Unionswählerschaft ist, die sich schon bereits entschieden hat, da gibt es nur Mutmaßungen und keine verlässlichen Zahlen darüber. Ansonsten kann man natürlich sagen, diese Umfragen pendeln sich durchaus ein, aber wir wissen natürlich, dass da eine Fehlerquote von zwei bis drei Prozentpunkten - und zwar in beide Richtungen - sind. Und hinzu kommt noch ein weiterer Unsicherheitsfaktor. Wir wissen, dass Wählerinnen und Wähler, nur ganz wenige sind wirklich festgelegt auf eine Partei, und eine nennenswerte Anzahl von Wählerinnen und Wählern hat auch noch eine Zweitpräferenz, manche sogar eine Drittpräferenz. Und das kann sich auch nochmal kurz vor der Wahl ändern, sei es durch äußere Ereignisse, sei es aufgrund der Wahrnehmung der Umfragen
oder aufgrund der Kampagnen der Parteien.

Der Einfluss der Unentschiedenen

Beate Winterer: Was ich bei vielen Umfragen ja vermisse, ist der Hinweis, wie viele Befragte überhaupt keine Parteipräferenz angegeben haben, also noch unentschieden sind. Je nach Umfrage sind das nämlich zwischen einem Viertel und der Hälfte der Wählerinnen und Wähler. Was ist denn mit diesen Menschen? Bleiben die am 26. September zuhause? Oder wenn sie wählen gehen, wie stark können sie denn noch Einfluss nehmen auf das Ergebnis?

Ursula Münch: Das ist eine sehr berechtigte Frage und hat mit dem Thema zu tun, das wir vorhin gerade angesprochen haben, dass eben viele Wählerinnen und Wähler diese zweite oder dritte Präferenz haben. Und wenn die jetzt gefragt werden, in so einer Situation, wo einen dieser Anruf ereilt eines Umfrageinstituts, dann sagt man was - man hat im Augenblick diese und jene Präferenz - das kann aber unter Umständen eine Woche später schon mal anders sein. Und das können die Umfrageinstitute nicht wirklich einpreisen, nicht wirklich einrechnen. Also natürlich versuchen die ein bisschen, ihre Erfahrungswerte einfließen zu lassen, die gewichten diese Äußerungen durchaus auch, aber die wissen es natürlich nicht sicher. Wenn wir diese Umfrageergebnisse lesen, wissen wir als Öffentlichkeit nicht, wie viele sind da jetzt wirklich entschlossen, wie viele sind nicht entschlossen. Und was noch schlimmer ist: Wir wissen nicht, wie viele der Befragten gehen dann eigentlich wirklich zur Wahl? Da sind manche entschiedene Nichtwähler, da kann man annehmen, dass die diese Umfrage auch nicht beantworten würden. Aber dann gibt es noch welche, die überlegen es sich oder sind kurzfristig verhindert, das fragen die nicht wirklich ab. Nur selten wird das abgefragt, die Wahlbereitschaft - und sie können es vor allem nicht abprüfen, ob es dann tatsächlich eintritt. Also das sind Unsicherheiten. Lange Rede, kurzer Sinn: Da kann sich noch in alle Richtungen etwas verändern. Und wir sollten am Wahlabend den Fehler nicht machen, dass wir sagen: "Ach, diese Umfrageinstitute, die haben sich ja schon wieder getäuscht, und die sind ja alle so doof und die können nicht rechnen." Das ist falsch. Die können immer nur die momentane Situation abfragen - wie wir dann uns in der Zwischenzeit als Wählerin oder Wähler, oder als Befragte dann umentscheiden, also das können die Umfrageinstitute nicht vorhersehen.

Parteipräferenzen der jungen Wählerinnen und Wähler

Beate Winterer: Ich habe ja gelesen, dass vor allem die jungen Menschen noch unentschieden sind. Wobei unentschieden ja nicht heißt, dass sie überhaupt keine Parteipräferenz haben. Gerade den Jüngeren sagt man ja nach, dass sie eher den Grünen nahestehen. Wie schätzen Sie das ein? Können die Grünen besonders davon profitieren, wenn sie jetzt in letzter Minute noch ihre Anhänger mobilisieren - oder trifft das eigentlich auf alle Parteien gleichermaßen zu?

Ursula Münch: Also ich würde schon sagen, dass für alle Parteien wichtig ist, die eigene Anhänger zu mobilisieren und die Anhänger der gegnerischen Seite möglichst in Zufriedenheit zu wähnen, um die nicht zu mobilisieren. Das zumindest war eine relativ erfolgreiche Strategie der bisherigen Bundeskanzlerin, die sogenannte asymmetrische Demobilisierung. Sie hat die SPD-Anhänger und die Grünen-Anhänger nicht allzu sehr verstört und versucht, die eigenen Anhänger an die Urnen zu bringen. Wie jetzt diese Mobilisierung abläuft, hängt ja dann auch ganz viel von den Wahlterminen ab. Es ist relativ schwierig zu sagen. Eine gewisse Mobilisierungswirkung hat vielleicht tatsächlich auch die Briefwahl. Gegenläufige Tendenz ist genau diese, vielleicht ein bisschen fehlende Orientierung, diese Unentschiedenheit. Es gibt ganz viele Wählerinnen und Wähler - und zwar sowohl jüngere als auch ältere - die sagen: Mir gefällt keiner der drei Spitzenkandidaten. Und manchen ziehen daraus die Schlussfolgerung und gehen nicht zum Wählen. Und da wissen wir jetzt nicht, wiegt das unter Umständen wieder auf und wie hoch wird die Wahlbeteiligung sein, das ist relativ offen.

Mit Blick auf Ihre Frage nach den Generationen: Das ist natürlich ein ganz wichtiges Thema, wir haben eine ganz wichtige demographische Komponente bei dieser Bundestagswahl. Wir haben erneut - das ist ja etwas, das sich nicht kurzfristig ändert - der Anteil der Jungwählerinnen und Jungwähler, also diejenigen die zum ersten Mal wählen, aber auch diejenigen, die zum zweiten Mal wählen, ist wirklich verschwindend gering im Vergleich zu meiner Generation, der Babyboomer, und der Generation der über 70-Jährigen. Also die Wählerinnen und Wähler unter 30 Jahren sind komplett unterrepräsentiert. Das ist nichts Bösartiges, das ist Folge von Demografie und von Langlebigkeit. Und aus Sicht der Jungen kommt zusätzlich erschwerend hinzu, dass wir Älteren, die Alten, ausgesprochen diszipliniert sind: Wir gehen zum Wählen! Also bei uns ist auch die Wahlbeteiligung überdurchschnittlich hoch. Die Jüngeren sind weniger und ihre Wahlbeteiligung ist unterdurchschnittlich. Und damit tut sich natürlich eine große Schere auf. Und insofern: Es ist tatsächlich so, wenn man sich anschaut, wen wählen die Jüngeren, dass man feststellen kann, da erfreuen sich die Grünen einer überdurchschnittlichen Beliebtheit, aber selbstverständlich werden alle Parteien auch von den Jüngeren gewählt. Es gibt gewisse Ausschläge, aber es ist jetzt nicht so, dass die junge Generation per se grün eingefärbt ist. Wenn wir in die ostdeutschen Länder gehen. Und wenn wir in Ostdeutschland dann mal nicht die Generation im Durchschnitt betrachten, sondern wenn wir uns mal die Freude machen, nach Geschlecht zu sortieren, dann stellen wir fest, dass die Erstwähler - zum Beispiel in Sachsen-Anhalt - die haben mehrheitlich die AfD gewählt. Also insofern: Man muss anschauen, von welchem Kreis man spricht, wo leben die, welcher soziale Hintergrund. Alle Parteien werden von allen gewählt, es sind aber nennenswerte und sichtbare Abstufungen mit Blick aufs Alter.

Das Problem mit der Briefwahl

Beate Winterer: Die Briefwahl haben wir ja schon angesprochen. Wie gehen denn die Meinungsumfrageinstitute eigentlich damit um, dass ja logischerweise auch viele der Menschen, die sie befragen, schon gewählt haben? Denn im Bundeswahlgesetz heißt es ja, dass die Veröffentlichung von Ergebnissen von Wählerbefragungen nach der Stimmabgabe unzulässig ist, solange die Wahlzeit noch läuft. Also vor dem 26. September um 18 Uhr.

Ursula Münch: Das ist tatsächlich was ganz Diffiziles, über das gar nicht allzu laut gesprochen wird. Das heißt ja konkret - was Sie sagen - eigentlich dürften die Umfrageinstitute ja niemanden fragen, der bereits gewählt hat per Briefwahl. Und natürlich ist das den Umfrageinstituten bewusst, dass unter den Befragten bei einer Umfrage ein nennenswerter Anteil von Leuten ist, die bereits die Briefwahlunterlagen weggeschickt haben. Wie löst man dieses Problem? Man fragt nicht. Also insofern: Diese Unklarheit und diese Unsicherheit - Wer hat schon gewählt, wer hat nicht gewählt? - die betrifft nicht nur die Parteien und ihren Wahlkampf - die da im Grunde ein bisschen wissen: Wann sollten wir eigentlich den Wahlkampfhöhepunkt machen, ist der vielleicht schon längst gelaufen? - das betrifft dann eben auch die Umfrageinstitute, also macht man quasi im Grunde die Tischdecke drüber und thematisiert es nicht.

Wenn die CSU unter der Fünf-Prozent-Hürde bleibt...

Beate Winterer: Wenn wir uns mal die Union anschauen, dann war ja besonders schockierend der letzte Bayerntrend vor der Wahl. Da ist die CSU zum ersten Mal seit es diese Umfrage überhaupt gibt unter die 20-Prozent-Marke gerutscht. Damit könnte sie bundesweit unter die Fünf-Prozent-Hürde fallen, die ja zum Einzug in den Bundestag berechtigt. Hätte das - mal abgesehen von dem schlechten Eindruck den so ein Ergebnis sowieso macht - irgendeine Auswirkung auf die Union? Denn die direkt gewählten Kandidatinnen und Kandidaten - und davon wird es trotz allem viele geben - ziehen ja sowieso in den Bundestag ein.

Ursula Münch: Richtig, genau das ist der Punkt. Also dieses Unter-fünf-Prozent-Runterrutschen spielt für die CSU "nur" psychologisch eine Rolle. Das Besondere an der CSU ist - und das haben wir schon bei der Bundestagswahl 2017 gesehen - die Besonderheit ist die, dass schon 2017 die CSU nur Direktmandate gewonnen hat und diese Zahl der Direktmandate, die die CSU gewonnen hat, war schon 2017 über der ihr eigentlich zustehenden Mandatszahl, die ihr eigentlich über das Zweitstimmenergebnis zustehen. Und wir wissen ja, die Zweitstimme ist die wichtigere Stimme, weil die Zweitstimme darüber bestimmt, wie der Bundestag proportional zusammengesetzt ist - welches die stärkste, welches die schwächste Fraktion ist. Das heißt, schon bei der letzten Bundestagswahl konnte die CSU - weil sie über die Direktwahl so viele entsandt hat, aber über das Zweitstimmenergebnis gar nicht so erfolgreich war, da hat sie 6,2 Prozent bekommen, bundesweit betrachtet - konnte sie niemanden über ihre Landesliste entsenden. Und das wird dieses Mal - mit an 100 Prozent grenzender Wahrscheinlichkeit - genauso sein, nur, dass dieses Mal auch die Anzahl der Direktmandate etwas weniger sein wird für die CSU und sie voraussichtlich - wir wissen es noch nicht, ich könnte mir vorstellen, da tut sich noch was - unter dieser Fünf-Prozent-Hürde liegen wird. Aber, wichtig aus Sicht der CSU, sie wird alle Direktmandate selbstverständlich wiederbesetzen können, und selbst wenn es deutlich weniger Direktmandate wären, muss man sich daran erinnern, die Hürde lautet folgendermaßen: Entweder fünf Prozent der Zweitstimmen oder drei Direktmandate, und wenn man diese Hürde überwunden hat, dann kann jede Partei, der das gelingt, das gesamte Zweitstimmenergebnis ausschöpfen.

Beate Winterer: Wird die CSU denn aktuell vor allem durch ihre Schwesterpartei, die CDU, nach unten gezogen, oder ist sie selbst für ihre schlechten Umfragewerte verantwortlich? Die Frage ist ja dann auch, könnte sich dieser Trend in Bayern nach der Bundestagswahl fortsetzen, oder sehen Sie da eine Erholung, wenn erstmal die Bundestagswahl vorbei ist?

Ursula Münch: Also das ist natürlich extrem umstritten, worauf das jetzt eigentlich zurückzuführen ist. Also ich würde schon sagen, dass es diese relativ schlechten Ergebnisse aus Sicht der CSU, dass die durchaus auch und stark mit dem Kanzlerkandidaten zu tun haben. Wenn man als Schwesterparteien in eine Wahl hineingeht, einen Wahlkampf führen muss, mit einem Kanzlerkandidaten, der relativ geringes Ansehen in der Öffentlichkeit hat, dann wirkt sich das auf beide Schwesterparteien aus. Jetzt muss man aber natürlich dazusagen, dass Armin Laschet ein relativ schlechtes Ansehen hat, da trägt natürlich die CSU schon auch ein bisschen mit Schuld. Armin Laschet kam zunächst mal schon - meines Erachtens - durchaus beschädigt in den Wahlkampf hinein, und zwar, weil eben dieses Duell zwischen Laschet und Söder ihn auch ein bisschen beschädigt zurückgelassen hat. Er war zwar formal siegreich, aber das, was eben von Seiten der CSU und dann ja auch aus der CDU gegen ihn vorgebracht worden ist, das hat er ja dann im Grunde mit hineingezogen in den Wahlkampf. Und wir wissen alle, dass Markus Söder auch nach diesem Ende, nach dieser Frage, wer wird jetzt Kanzlerkandidat der Union das Sticheln ja durchaus noch vorangetrieben hat und zwar bis kurz vor den CSU-Parteitag. Seither ist man vereint. Also insofern ist es auch ein bisschen mit an Markus Söder und an der CSU.

Die Frage, wie geht es dann eigentlich für die CSU weiter? Ja, das hängt meines Erachtens schon stark von dem Ausgang der Bundestagswahl ab. Wenn man jetzt ganz beschränkt - und das ist jetzt natürlich eine sehr eingeschränkte Argumentation - nur die bayerische Perspektive der CSU einnehmen würde - was die CSU in dieser Beschränktheit selbstverständlich nicht tun würde, aber wenn man es jetzt darauf mal verkürzt - könnte man die steile These aufstellen, dass aus Sicht der CSU eine Wahlniederlage jetzt bei der Bundestagswahl zwar dramatisch ist und extrem unerfreulich ist, weil es natürlich auch Mandatsträger das Mandat kostet - man kann keine Minister entsenden, keine parlamentarischen Staatssekretäre - aus Sicht der bayerischen CSU hätte es aber den Vorteil, dass man damit ein neues Feindbild hat für die Landtagswahl 2023, nämlich eine Rot-Grün-geführte Bundesregierung. Also das wäre für die mobilisierende Kraft der CSU sicherlich ein relevantes Argument. Und ich könnte mir auch vorstellen, dass Markus Söder mit Blick auf den nächsten Entscheid, wer bei der nächsten Bundestagswahl Kanzlerkandidat der Union werden könnte, da durchaus auch seine Schlussfolgerungen zieht.

Wahllokal oder Briefwahl?

Beate Winterer: Frau Münch, Sie haben sich ja in den vergangenen Wochen schon so viel mit der Bundestagswahl beschäftigt und darüber gesprochen. Haben Sie Ihre eigene Wahlentscheidung eigentlich schon getroffen? Oder haben Sie vielleicht auch schon gewählt?

Ursula Münch: Nein! Ich habe noch nicht gewählt. Das ist mir ganz wichtig, also wenn es irgendwie geht, möchte ich immer unbedingt ins Wahllokal gehen - wobei ich mich eigentlich immer frage, warum das Wahllokal heißt, aber diese Frage konnte ich noch nicht abschließend klären. Also mir ist das etwas ganz Wichtiges. Das fand ich schon als Kind toll, da durfte ich mit meinen Eltern mitgehen und wir haben auch immer unsere eigenen Kinder mitgenommen, als die noch nicht wählen durften. Und ich liebe den Geruch von Schwabinger Schulen, wir kommen auch immer in ein unterschiedliches Wahllokal. Also insofern: Ich versuche, wenn irgendwie möglich, immer präsent abzustimmen. Ich habe meine Wahlentscheidung weitgehend getroffen. Gelegentlich denke ich mir auch immer: Ist es die richtige - ist es nicht die richtige? Ich bin bekennende Wechselwählerin, die haben es schwerer im Leben, die müssen sich immer neu mit Sachen beschäftigen, aber ich würde sagen, ich habe meine Wahlentscheidung getroffen.

Beate Winterer: Mir geht es da ganz genauso. Ich gehe auch sehr gerne ins Wahllokal - ich fand's als Kind schon spannend zu sehen, wer ist denn noch da...

Ursula Münch: Stimmt!

Beate Winterer: ...wie läuft das ab? Habe mich immer gefreut, wenn ich die Zettel einwerfen durfte für meine Eltern und werde das auch in diesem Jahr wieder so handhaben. Und ich hoffe natürlich auch, dass viele der Menschen, die uns zuhören, auch wählen - ob per Briefwahl oder im Wahllokal. Und ich hoffe noch etwas, und zwar, dass Sie alle unseren Podcast jetzt abonnieren, wenn Sie das noch nicht gemacht haben, denn wir werden natürlich auch nach der Bundestagswahl weiter über Politik und aktuelle Themen sprechen. Und ich gehe mal davon aus, dass bei dem zu erwartenden Wahlergebnis der Stoff dann auch nicht ausgehen wird, was Koalitionsverhandlungen angeht. Bis bald!

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