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Propaganda und Protest im Zeitalter des Donald Trump

Akademie-Kurzanalyse 1/2017 von Moritz Fink

Der Aufsatz "'Every Second Counts': Postmoderne Propaganda und kreativer Protest im Zeitalter des Donald Trump" von Moritz Fink wurde im August 2017 als Akademie-Kurzanalyse veröffentlicht.

Tutzing / Publikation / Online seit: 19.03.2021

Von: Dr. Moritz Fink / Foto: Pixabay License/Tiburi

Moritz Fink
»Every Second Counts«
Postmoderne Propaganda und kreativer Protest im Zeitalter des Donald Trump
Akademie-Kurzanalysen, Tutzing, 2017

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Immer noch herrscht vielerorts ungläubiges Kopfschütteln. Wie konnte ein Mann wie Donald Trump ins höchste politische Amt der Vereinigten Staaten gewählt werden? Hierzulande, wie in weiten Teilen Europas, oszillieren die Reaktionen zwischen Unbe­hagen, Unverständnis, Satire und Sarkasmus sowie einer ge­hörigen Portion Enthusiasmus aufseiten der sich im Aufwind fühlenden Rechtspopulisten. Gleichwohl liegt in diesem europäischen Stimmungsbild nichts wirklich grundlegend Neues. Wie in vielen Teilen der Welt haben auch in Europa nicht zuletzt die kontroversen Präsidentschaften von Richard Nixon, Ronald Reagan und vor allem George W. Bush eine kritische Haltung gegenüber Amerika geprägt, in politischer wie kultureller Hinsicht.

Erstaunlicher scheint die Tatsache, dass auch in den USA - üblicherweise durch einen unerschütterlichen Optimismus gekennzeichnet - ein ähnliches Stimmungsbild spürbar ist. In liberalen Kreisen überwiegt gar ohnmächtiges Entsetzen. Das konsternierte Gesicht von Nancy Pelosi, Führerin der Demokraten im Reprä­sentantenhaus, während der ersten Rede Donald Trumps vor dem Kongress im späten Februar 2017 bleibt unvergessen; es vermittelte das Gefühl der vorherrschenden Verzweiflung, genauso wie der Kommentar einer befreundeten amerikanischen Wissenschaftlerin, die einige Wochen nach der Präsidentenwahl Trumps, spürbar aufgewühlt, ihre Gefühlslage mit den Worten beschrieb: "It's a nightmare."

Der oberste Repräsentant des Landes, das sich den Pursuit of Happiness als Maxime auf die Fahnen geschrieben hat, gebärdet sich als Demagoge, als notorischer Provokateur, der sich unflätig über Menschen äußert und viele als minderwertig verunglimpft - Frauen, Hispanics, Muslime, Menschen mit Behinderung. Pursuit of Happiness, das meint eigentlich den Respekt vor jedem Einzelnen, egal welchen Geschlechts, welcher Religion, welcher Hautfarbe, welcher körperlichen Verfassung. In Trumps Weltbild, so scheint es, ist der American Dream pervertiert und ausschließlich gesunden, gutsituierten, weißen Männern vorbehalten. Es ist schwierig, dem altehrwürdigen Amt des amerikanischen Präsidenten auf seriöse Weise zu begegnen, wenn es von einer Person bekleidet wird, die sich auf dem politischen Parkett verhält wie ein narzisstischer Zampano.

Im Folgenden steht indes nicht so sehr die Person Donald Trump im Mittelpunkt, sondern der mediale Diskurs, den das Phänomen "Donald Trump" entfacht hat. Trump gibt sich als Mann des Volkes, doch inwieweit greifen Trumps Anhänger dessen Symbolik auf? Inwieweit fungiert Trump unter seiner Anhängerschaft als Posterboy im Sinne einer Stil-Ikone wie Ché Guevara oder Barack Obama? Und wie reagiert die Opposition? Genauer, in welchem Maße bietet Trumps mediale Inszenierung Anknüpfungspunkte für kreative Formen des Protests in der vernetzten Mediengesellschaft?

Wird die Rechte kreativ?

Lange Zeit galten kreative Formen des Protests als eine ureigene Domäne linksliberaler Gesinnung. Der Hauptgrund mag die wirkmächtige Idee des Gewaltverzichts sein, die den Strategien alternativer Protestformen innewohnt und damit - popularisiert durch die Konzepte und Praktiken von Henry David Thoreau, Mahatma Gandhi und Martin Luther King1 - faschistischen Ideologien grundlegend zuwiderläuft. Konträr zu Traditionen der Gewaltlegitimation definierte sich kreativer Protest durch eine mehr oder weniger stark ausgeprägte künstlerische Komponente. Ein historischer Vorläufer findet sich beispielsweise in Frankreich im marxistischen Avantgardekollektiv "Situationistische Internationale", rund um Guy Debord, den Autor der in den 1970 er-Jahren populären Lektüre Die Gesellschaft des Spektakels.2 Werke der Situationisten bedienten sich typischerweise im Supermarkt der Bilder, den die Künstler in der damaligen Medienlandschaft vorfanden. Sie verfremdeten das Material (z. B. Comic-Hefte), versahen es mit neuen, politischen Inhalten und damit neuen Bedeutungen.

Als Nachfolger der Situationisten entstand in den 1980er-Jahren die sogenannte "AdBusting"-Bewegung. Dabei handelt es sich um eine Gesinnungsgruppe, deren Mission darin bestand, auf kreative Weise gegen die alltägliche Manipulation durch Werbung zu protestieren. AdBusting basiert auf Umberto Ecos Konzept einer "semiotischen Guerilla", wonach passives Rezeptionsverhalten durch eine "Korrektur der Perspektive", durch eine "kritischen Dimension" ergänzt werden müsste.3 Für AdBusting-Aktivisten bedeutet dies, Plakate und andere Werbeträger parodistisch zu verfremden oder sogar eigene satirische Kampagnen zu starten - wie etwa die Bewerbung der Parodiefigur "Joe Chemo", einem an Lungenkrebs erkrankten Cartoon-Kamel in Anlehnung an Joe Camel, dem langjährigen Werbeträger und Maskottchen der Zigarettenmarke Camels.4

Die Zeiten, in denen solch clevere und meist auch humoristische Formen des kreativen Protests eine exklusiv linksliberale Erscheinung waren, sind jedoch längst vorbei.5 Bereits in den 1990er-Jahren entstand unter Neonazis eine visuelle Kultur, die aus dem ikonografischen Inventar der Popkultur bestimmte Elemente übernahm und für eigene Zwecke umfunktionierte. Parallel zu subkulturellen Produktionen, beispiels­weise von afro-amerikanischen Jugendlichen, die die Figur Bart Simpson mit Rastalocken und schwarzer Hautfarbe versahen und so zu "Rasta Bart" machten, kursierten unter Neonazis Bilder von "Nazi Bart" mit Springerstiefel und Insignien aus der Neonazi-Szene.6 Nicht besser erging es Asterix. Der Comic-Held ist ebenfalls ein Opfer rechtsextremer Zweckentfremdung geworden, nicht zuletzt, weil er es immer wieder versteht, sein gallisches Heimatdorf vor fremden Invasoren zu schützen.7 Wie Arno Frank in einem Artikel für die Tageszeitung konstatiert, sind dabei die neuen Rechten der Identitären Bewegung mit ihrer Aneignung von Praktiken der semiotischen Guerilla oft nur auf den zweiten Blick von typischerweise links verorteten Darstellungsformen zu unterscheiden. Das Plakative der traditionellen Ikonografie, das gemeinhin mit Neonazis assoziiert wird (Hakenkreuz etc.), weicht zusehends subtileren Techniken, die Elemente wie "völkische" Homogenität lediglich implizit propagieren. "Die postmoderne Verwirrung hat System", resümiert Frank. "Weltanschauliche Kämpfe werden einstweilen im vorpolitischen Feld ausgefochten, wo es 'nur' um Symbolisches geht."8

Auch der harsche Wahlkampf um die amerikanische Präsidentschaft 2016 war in dieser Hinsicht postmodern. Die Wählermobilisierung fand in einem erheblichen Maße über soziale Netzwerke statt; viele Kampagnen waren geprägt von einer Ästhetik der populären Aneignung und Umdeutung.9 Gesponsert vom sogenannten "Committee to Restore America's Greatness" wurde beispielsweise eine animierte Videosequenz auf eine Anzeigetafel am New Yorker Times Square projiziert. Sie zeigt "Super Trump" mit rotem Kopf im blauen Superman-Kostüm. Anstelle von Supermans "S"-Logo prangt Trumps Initiale "T" auf der Brust der Figur, darunter Trumps Wahlkampfslogan "Make America Great Again". Die Montage soll Trump als Superheld stilisieren, wenngleich, wie Adweek bemerkt, viele der Passanten das Bild auch ironisch interpretiert haben dürften.10 Doch das Beispiel zeigt, inwieweit Praktiken der Teilnahme am politischen Diskurs mittels Bilder und Narrationen aus der Populärkultur nicht nur im linksliberalen Lager, sondern zunehmend auch in rechtskonservativen Milieus anzutreffen sind.

Civic Imagination: Keine exklusiv linke Veranstaltung

Die Stilisierung Trumps als Superman ist nicht wirklich originell. Sie ist inspiriert von Darstellungsformen Barack Obamas im Wahlkampf 2008, basierend auf der ästhetischen Praxis, gesellschaftspolitische Aspekte unter Zuhilfenahme von Elementen und Figuren aus der Popkultur zu thematisieren, was Henry Jenkins und dessen Mitautoren als "Civic Imagination" bezeichnen.11 "These 'creative activists' often speak to each other through images borrowed from commercial entertainment but remixed to communicate their own messages; they are often deploying social media platforms, sometimes in ways that challenge corporate interests; and they are forging communities through acts of media circulation."12

Wahlkämpfe werden zunehmend auch im semio­tischen Raum - auf der Ebene der Zeichen - ausgetragen. Insbesondere seit Barack Obamas Wahlkampf 2008 ist dies offenkundig. Erstmals fungierte dabei Pop Art als Hilfsmittel, um vor allem junge Wähler zu mobilisieren.13 Zahlreiche Aktivisten, allen voran der Straßenkünstler Shepard Fairey mit seinem "Hope"-Poster, trugen dazu bei, dass Obamas Wahlkampf eine eigene individuelle Ikonografie hervorbrachte, die ihn zum einen mit Coolness, zum anderen mit einem authentischen Graswurzel-Charakter versah.

In Reaktion auf Obamas Wahl formierte sich kultureller Widerstand - ein "Backlash" - nicht nur gesellschaftspolitisch in Form der Tea-Party-Bewegung, sondern auch symbolisch. Das bekannteste Beispiel ist sicherlich die Darstellung Obamas als Joker im Stile von Heath Ledger aus dem Batman-Film The Dark Knight (meist versehen mit dem Zusatz "Socialism"), ein Bild das auf Anti-Obama-Demonstrationen häufig Verwendung fand. Auch wenn diese Art der Schockästhetik auf viele martialisch wirken mag, ist sie trotzdem ein Beispiel für "Civic Imagination". Wenn diese Form kreativen Protests jemals ein Erkennungsmerkmal von progressiver, linksliberaler oder multikultureller Populärkultur war, dann gilt dieses Alleinstellungsmerkmal spätestens seit der Tea-Party-Bewegung nicht mehr.14

Verstanden es Obamas Unterstützer beim Wahlkampf 2008 auf exzellente Weise, die Macht der "Civic Imagination" zu entfalten, indem sie ihren Wunschpräsidenten zur Pop-Ikone stilisierten, gelang es Trumps Anhängerschaft acht Jahre später ebenfalls, diese Ressourcen zu nutzen. Trumps Erfolg speist sich damit nicht nur aus dem Wählerpotenzial der Tea-Party-Bewegung und einer Bevökerungsgruppe, die Michael Kimmel als "Angry White Men"15 identifiziert; auch Praktiken von "Civic Imagination" trugen dazu bei, den Mythos von Trump als demjenigen, der die hart arbeitenden Amerikaner von den ganzen elitären Bestimmern und Wichtigtuern aus Hollywood, New York und Washington befreien würde, zu generieren und zu popularisieren.16 Neben der "Super-Trump"-Reklame - einer sicherlich eher ungewöhnlichen und spektakulären Aktion - artikuliert sich das Phänomen Trump daher auch in weitaus typischeren Formen von "Civic Imagination".

In der digitalen Welt des 21. Jahrhunderts geschieht dies nicht nur mittels "klassischer" Vehikel wie Poster, Buttons oder T-Shirts, sondern auch und vor allem durch sogenannte "Memes". Typischerweise bezeichnet der Begriff "Meme" visuelle, oft humoristische Motive, die in der digitalen Partizipationskultur durch Repetition und Variation mediale Verbreitung finden.17 Als Hashtag #MAGA wurde Trumps Wahlkampfslogan "Make America Great Again" zum Namensgeber einer solchen "Meme" auf der Social-Media-Plattform Twitter. Ein Tweet des pro-republikanischen TV-Senders Fox News zeigt beispielsweise ein Gemälde von Amerikas erstem Präsidenten, George Washington, dem Trumps charakteristische Baseball-Kappe mit der Aufschrift "Make America Great Again" hinzugefügt wurde. Die Implikation ist klar und spiegelt Trumps Wahlkampfrhetorik wider: Durch die vergangenen Präsidenten, das politische Establishment in Washington und die liberale Elite befindet sich Amerika in einem desolaten Zustand. Trump sieht sich mit dem Regierungsauftrag in seiner Mission bestärkt, Amerika zu seiner alten, vermeintlichen Größe zurückzuführen.

Postmoderne Propaganda

Ein drittes Beispiel aus dem virtuellen Trump-Lager soll an dieser Stelle genügen, um den kulturellen Paradigmenwechsel aufzuzeigen, den das Phänomen "Donald Trump" offenbart. Es handelt sich dabei um einen Tweet von Lori Hendry. Hendry fungiert als politische Kommentatorin und Meinungsmacherin der konservativen Rechten in den USA und ist assoziiert mit dem Radiosender Freedom In America Radio. In ihrem Tweet postete sie ein als Satire gekennzeichnetes Bild eines Titelblatts der fiktiven Tageszeitung "The Free Press". Es zeigt eine Parallelmontage der ehemaligen Präsidenten Richard Nixon und Barack Obama. Beide schauen und zeigen mit dem Finger in die Kamera (beziehungsweise auf die Bildrezipienten). Auch der Begleittext ist zweigeteilt und ergänzt den Textrahmen des Motivs: "What's the difference between Nixon and Obama? The press uncovered the crimes of one and covered up crimes of the other." Hintergrund dieses als Satire angelegten Arguments sind die Unterstellungen seitens Trumps und seiner Anhängerschaft, Obama hätte Trump während des Wahlkampfs ausspioniert, wie einst Richard Nixon seine politischen Gegner im Zuge der Watergate-Affäre. In der Lesart von Trumpianern wie Hendry war die "Presse" - das heißt die großen Tageszeitungen und "Medien-Eliten" - maßgeblich daran beteiligt, die Watergate-Affäre aufzudecken, während sie Obama dabei unterstützt hätten, dessen Abhöraktion zu vertuschen. Zwar ist Trump bisher jeglichen Beweis für seinen Vorwurf schuldig geblieben (wohingegen selbst Verschwörungsenthusiasten wie Hendry die Watergate-Affäre als faktisch akzeptieren), doch passt die gesamte Rhetorik sehr wohl in das Bild von Trumps selbsterklärtem "Krieg gegen die Medien".

Ob koordiniert oder nicht, die Rhetorik aus dem Trump-Lager ist Teil eines Informationsclusters, das Richard Herzinger in einem Artikel für die Welt als "postmoderne Propaganda" charakterisiert. Im Unterschied zu "klassischer" Propaganda, deren Prinzip darin besteht, Tatsachen durch ideologisch motivierte Fiktionen zu ersetzen, handelt es sich demnach bei postmoderner Propaganda um die Verbreitung von Gegeninformationen, mit dem Ziel die Grenzen zwischen Wahrheit und Lüge, Fakt und Fiktion verschwimmen zu lassen. Wie Herzinger erläutert, führt insbesondere der "demo­kratische" Raum des Internets dabei zu einer Selbstvergewisserung derer, die sich der Manipulation "von oben", sprich durch das politische Establishment und die sogenannten "Mainstream-Medien", ausgesetzt sehen. Diese Haltung resultiert häufig aus einem mehr oder weniger stark ausgeprägten selektiven Informationsfluss und einer Abkehr von der demokratischen Diskussionskultur, getreu dem Credo "alternativer" Fakten: "Beweist uns doch erst mal, dass irgendeine gegenteilige Information wahrer ist als unsere!"18

Krieg der Bilder: US-Präsidentschaftswahlkampf 2016 und Visionen einer Allianz gegen Trump

Dem rechten Rand wird oft Einfältigkeit und Kreativlosigkeit unterstellt. Angesichts einer neuen selbstbewussten Rechten, die sich längst auch im Bürgertum breit gemacht hat, wäre es jedoch mehr als naiv, diese eindimensionale Diagnose aufrechtzuerhalten. Rechtes Gedankengut scheint sich unter diversen Deckmänteln dem Zeitgeist angepasst zu haben und operiert bisweilen als Wolf im Schafspelz. Dies geschieht in großen Teilen unter Zuhilfenahme von kulturellem Kapital. Längst verstehen es Rechtspopulisten auf der Klaviatur der digitalen Medien zu spielen. Sie suggerieren, ebenso hip und humorvoll zu sein, wie die Protestkultur der Linken.

Obwohl sich auch die Rechte der Mechanismen der "Civic Imagination" bedient, finden sich auf der anderen Seite, in Opposition zu Trump, oft die pfiffigeren, subversiveren, vielleicht auch originelleren Motive. Hier wäre zum einen die visuelle Kampagne von Bernie-Sanders-Unterstützern im Präsidentschaftswahlkampf 2016 zu nennen, die sich an das berühmte Coverbild der ersten Ausgabe der Comic-Heftreihe Captain America anlehnte. Wo im Original der Comic-Superheld Captain America der Darstellung Adolf Hitlers einen Kinnhaken verpasst, ist Bernie Sanders zu sehen, der im Captain-America-Kostüm steckt, sowie Donald Trump als Hitler-Stand-In. Auf ihrer Facebookseite riefen die Schöpfer ihre Besucher dazu auf, sich das Bild herunterzuladen und auf T-Shirts oder auf persönlichen Facebook-Seiten zu reproduzieren.

Als Trump tatsächlich gewählt wurde, schlugen die Wellen kreativen Protests noch höher. Diverse Künstler kritisierten Trumps großspurige, impulsive Twitterpraxis. Auf einer Abbildung erkennt man Trump mit Smartphone und Baseball-Cap, ihm gegenüber Martin Luther King, der Trump den Mund zu- und mahnend den Zeigefinger vor seinen eigenen Mund hält. Über der Abbildung prangt die Abwandlung des Hashtags #MAGA ("Make America Great Again") in "Make Art Great Again."

Ein anderes Bild an einer Straße in New York City nimmt das für Trump so charakteristische, rüpelhafte Auftreten ganz bildlich, indem es Trumps Gesicht in eine Abbildung von Nelson Muntz, dem Schul-Rowdy (engl. "bully") aus der bekannten Zeichentrickserie Die Simpsons, modelliert.

Im Vergleich zu "Super Trump" wirkt der "Nelson-Trump" für viele wahrscheinlich gewitzter und weniger plump: In beiden Fällen hat man es jedoch, wertneutral betrachtet, mit "Civic Imagination" als Ausdruck einer kulturellen Partizipation zu tun. Man könnte also argumentieren, dass "Civic Imagination" weder zwingend tiefgründig oder smart noch zwingend progressiv im demokratischen Sinne sein muss. Es liegt demnach im Auge des Betrachters, ob "Civic Imagination" ihrem emanzipatorischen Anspruch noch gerecht wird, wenn sie gerade nicht die Idee einer - im demokratischen Sinne - "besseren Welt" bekundet, sondern zur hippen Ausdrucksform von feindseligen Nationalisten wird.19 Strittig bleibt auch, inwieweit diese Art der Partizipation lediglich oberflächlich fungiert, abgekoppelt von der eigentlichen, "realen" politischen Partizipation, etwa durch die Teilnahme an Wahlen oder das Engagement in Parteien, Vereinen und Gewerkschaften. Ein Bild wie den Nelson-Trump im öffentlichen Raum anzubringen oder es virtuell zu verbreiten beziehungsweise zu "liken", ist nicht gleichzusetzen mit politischer Teilhabe. Unbestreitbar ist jedoch, dass diese Praktiken eine große Investition an Zeit, Energie und kulturellem Kapital bedeuten. Und so sehen Jenkins und seine Mitautoren positive Signale, dass sich die jüngere Generation wieder mehr, wenn auch auf andere Art, mit Politik auseinandersetzt.20

Dies wird auch in einem weiteren Beispiel kreativen Protests gegen Trump deutlich, einer Reihe von modifizierten Werbeplakaten eines syrischen Künstlers, der unter dem Pseudonym Saint Hoax operiert. In seiner Parodiekampagne "Making America Misogynistic Again" versieht er histo­rische, frauenverachtende Werbeplakate mit Zitaten von Donald Trump, und entlarvt so Trumps reaktionäre Rhetorik.

Auch namhafte Künstler wie Shepard Fairey, der sich bereits durch das berühmte Obama-Hope-Poster einen Namen machte, sich politisch positionierte und damit aktiv in Obamas erfolgreichen Wahlkampf eingriff, mischten sich unter die symbolische Graswurzel-Allianz gegen Trump. Faireys "We the People"-Bild zeigt eine Frau, die die US-Flagge als Kopftuch trägt. Entgegen Trumps einwanderungsfeindlicher Rhetorik konnotiert das Bild nicht nur die Vereinigten Staaten als multikulturelles Einwanderungsland und die Amerikaner ("the People") als multikulturelles Volk, sondern demonstriert auch, inwieweit sich Protestästhetik in Amerika oft als patriotische Geste artikuliert.21

Neben individuellen Bildern sind auch ganze Profile auf verschiedenen Plattformen von sozialen Medien darauf ausgelegt, Widerstand zu Trump zu formulieren. Dass die Twitter- und Facebook-Kultur nicht zwangsläufig darauf hinausläuft, lediglich zu "liken" oder zu "retweeten", sondern bisweilen auch zeit- und energieintensivere Investitionen voraussetzt, zeigen parodistische Twitter-Accounts: @Donaeldunready beispielsweise verpackt Trumps Statements rhetorisch im Stile eines verrückt gewordenen mittelalterlichen Königs und @MatureTrumpTwts offeriert eine Ergänzung zu Trumps offiziellem Twitterkanal, bei dem die Tweets des Präsidenten in offizielle, präsidentielle Botschaften umformuliert werden. Möglicherweise handelt es sich dabei bereits um eine Variante von Umberto Ecos Vision einer Kommunikationsguerilla fürs digitale Zeitalter.

In Reaktion auf Trumps Anstrengungen, die staat­lichen Umweltbehörde EPA mittels Budgetkürzungen zur Bedeutungslosigkeit zu degradieren, erstellten einige EPA-Angestellte überdies "Fake"-Twitter-Accounts, jedoch mit offiziellem Logo. Neben einer Reihe von Protest-Accounts bekräftigte die Seite AltUSNatParkService beispielsweise, dass sie sich nicht mundtot machen lassen würde. "You can take our official twitter, but you'll never take our free time!", schrieben mutmaßlich EPA-Mitarbeiter am 25. Januar 2017.

So sehr sich diese Beispiele von kreativem Widerstand auf die Ebene des Symbolischen beschränken mögen, kann man dennoch davon ausgehen, dass sie zunehmend Einfluss auf die politische Realität gewinnen werden. So war Shepard Faireys ikonisches "We the People"-Bild bereits auf vielen der zahlreichen Protestmärschen gegen Trump zu sehen. Und vor allem der Women's March am 21. Januar 2017, bei dem weltweit Millionen von Frauen und Männern auf die Straße gingen, hat gezeigt, dass sich eine große Anti-Trump-Allianz formiert.22 Viele Demonstrantinnen trugen dabei übrigens pinke, meist selbstgestrickt oder gehäkelte sogenannte "Pussy Hats", ein ironischer Symbolakt als weitere solidarische Geste gegen Trumps "Grab them by the pussy"-Bemerkung.23

Europas Satiriker schlagen zurück

Seit seiner Wahl zum Präsidenten lässt Trump keinen Zweifel daran, dass er weder an internationalen Bündnissen noch an Europa interessiert ist. Doch während der europäische Politikbetrieb noch mit sich haderte, wie man Trump gegenüber auftreten sollte, schlugen Europas Satiriker zurück. Bereits einen Tag nach Donald Trumps offizieller Amtseinführung am 20. Januar 2017 zeigte der niederländische Humorist Arjen Lubach in seiner TV-Comedysendung Zondag met Lubach einen Video­clip, in dem er Trumps Rhetorik aufs Korn nahm und ironisch dafür plädierte, dass, wenn schon von einem "America first" die Rede ist, die Niederländer doch wenigstens "second" sein könnten.

Auf YouTube wurde der Clip zu einem viralen Hit und bis dato über 25 Millionen Mal angeklickt. Kurz nach seiner Veröffentlichung stieg auch der Satiriker Jan Böhmermann mit ein, der mit seinen Aktionen bereits mehrfach für Furore gesorgt hatte.24 Mit seiner Late-Night-Comedyreihe Neo Magazin Royale imitierte er das niederländische Parodie-Video, jedoch mit der Pointe "Germany second", und rief alle Länder dazu auf, es ihm gleich zu tun - unter dem Motto: "Every Second Counts". Bei der letzten Zählung im Juni 2017 waren Videoclips aus 22 Ländern beteiligt.

Wie diese Beispiele zeigen, sind kreative Protestformen zu einem immanenten Bestandteil des kulturellen und politischen Zeitgeists geworden. Gemeinsam mit dem technologischen Fortschritt wandeln sich auch die Artikulationsformen des Protests. In guter alter kulturkritischer Tradition darf und muss natürlich darüber diskutiert werden, inwieweit das Internet seinen Beitrag zur Demokratisierung der Gesellschaft leistet und leisten kann. Jedoch bleibt unbestritten, dass die Phänomene kreativen Protests durch die neuen Wege und Möglichkeiten der digitalen Kultur mannigfaltiger, sichtbarer und zahlreicher werden - und damit zu einer potenziellen Triebfeder auf der linken wie der rechten Seite des politischen Spektrums.

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