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Deutschland sucht die Kanzlerkandidaten

Episode 16 unseres Podcasts mit Ursula Münch

Sechs Landtagswahlen, zwei Kommunalwahlen und die Bundestagswahl im Herbst: 2021 ist ein Superwahljahr. Wer sie in den Bundestagswahlkampf führen soll, haben die meisten Parteien aber noch nicht verkündet. Bei der Union zeichnet sich eine Entscheidung zwischen den Vorsitzenden der Schwesterparteien ab, Armin Laschet und Markus Söder. Doch wer diese Entscheidung wann trifft, ist nicht geklärt. Die Grünen haben immerhin vereinbart, dass das Führungsduo Annalena Baerbock und Robert Habeck die erste Kanzlerkandidatur der Parteigeschichte unter sich ausmachen soll. Lediglich die SPD ist einen Schritt weiter: Sie hat Olaf Scholz bereits vergangenen Sommer zum Kanzlerkandidaten gekürt. Akademiedirektorin Ursula Münch erwartet spannende Monate, bis alle Spitzenkandidaten feststehen. Vor allem bei CDU und CSU scheint vieles möglich, wenn es um die Frage geht, wer mehr Wähler hinter sich versammeln kann: von einer Absprache zwischen den beiden Vorsitzenden bis zur Kampfabstimmung in der Bundestagsfraktion. Und ein Unsicherheitsfaktor wird bleiben: Worauf kommt es tatsächlich an bei einem Wahlkampf während der Corona-Pandemie?

Tutzing / Podcast / Online seit: 24.02.2021

Von: Beate Winterer / Foto: APB Tutzing

Podcast-Transkript "Deutschland sucht die Kanzlerkandidaten" als PDF

Podcast

Beate Winterer: Wir melden uns aus Tutzing zurück mit der ersten Podcast-Episode des neuen Jahres - des Superwahljahres, wie man bereits überall in den Medien hört. 2021 liegen vor uns: eine Bundestagwahl, sechs Landtagswahlen und zwei Kommunalwahlen. Und eine Wahl hat bereits stattgefunden: Die CDU hat ihren neuen Vorsitzenden gewählt, den Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen Armin Laschet. Und da Angela Merkel nicht mehr für eine weitere Amtszeit kandidiert, könnte die Abstimmung auch eine Vorentscheidung in Richtung Kanzlerkandidatur sein - muss sie aber nicht. Welche Optionen die Union außer Armin Laschet hat, und wie sich die anderen Parteien jetzt verhalten, damit wollen wir uns heute beschäftigen. Ich bin Beate Winterer und unterhalte mich mit Akademiedirektorin Prof. Dr. Ursula Münch.

Die erste Wahl: Laschet wird CDU-Vorsitzender

Beate Winterer: Frau Münch, Sie haben den CDU-Parteitag online verfolgt. Armin Laschet hat sich dort gegen Norbert Röttgen und Friedrich Merz durchgesetzt. Letzterer hatte ja im Vorfeld der Wahl vor allem von der Parteibasis viel Zustimmung erhalten. Aber abgestimmt haben nicht alle CDU-Mitglieder, sondern nur etwa 1000 Delegierte. Wie überraschend war es denn für Sie tatsächlich, dass Armin Laschet gewonnen hat? War das überhaupt überraschend?

Ursula Münch: Also ehrlich gesagt hatte ich schon damit gerechnet, dass Armin Laschet die Wahl gewinnen würde. Da hatte ich schon, ja letzten Sommer eigentlich, damit gerechnet. Aber mir war natürlich auch klar, dass das knapp werden würde. Und wie immer bei knappen Wahlen: Klar, das hätte auch anders ausgehen können. Aber schon beim ersten Wahlgang, da lag noch Friedrich Merz ganz knapp vorne, da hat er fünf Stimmen mehr gehabt, als Armin Laschet. Aber dann war im Grunde klar, dass das gelaufen ist, weil man sich schon denken konnte, dass die Delegierten, die für Norbert Röttgen gestimmt haben - der ein wirklich vergleichsweise respektables Ergebnis eingefahren hat - dass von denen sich dann doch viele eher für Laschet entscheiden würden.

Beate Winterer: Womit konnte Armin Laschet denn überzeugen, im Gegensatz zu Friedrich Merz?

Ursula Münch: Also, es war wieder durchaus interessant. Wir hatten eigentlich schon vor zwei Jahren erlebt - als noch Friedrich Merz in Konkurrenz beim zweiten Wahlgang damals gegen Annegret Kramp-Karrenbauer angetreten ist... Schon damals hat man die Feststellung gemacht, dass es zwei doch wichtige Faktoren gibt für die Entscheidung der Delegierten: nämlich einmal die Parteitagsrede des Kandidaten - oder der Kandidatin bei dieser damaligen Runde - und das Stimmverhalten der weiblichen Delegierten. Und da hätte man jetzt denken können, dass Friedrich Merz daraus eine Lehre zieht, er hat ja die Erfahrung 2018 gemacht...

Beate Winterer: ... und er hat ja die Frauen dann auch erwähnt! (lacht)

Ursula Münch: (lacht) Ja, er hat sie jetzt dieses Mal in seiner Rede tatsächlich erwähnt, aber ehrlich gesagt auf eine Art und Weise, die, glaube ich, nicht nur die Frauen Union nicht überzeugt hat, sie hat mich nicht überzeugt und ich glaube auch viele andere Frauen nicht. Friedrich Merz hat eine relativ unengagierte Rede gehalten und hat sich damit deutlich negativ abgesetzt, sowohl gegenüber Norbert Röttgen, der eine inhaltliche Rede gehalten hat, während Armin Laschet etwas anderes gemacht hat. Der hat sich entschieden, quasi die Herzen der Delegierten und vielleicht auch insgesamt der Partei anzusprechen. Vielleicht auf die Weise auch, um einen anderen Akzent zu setzen, als Diejenige, von der es ja immer heißt, dass er in ihre Fußstapfen tritt - oder eigentlich schon mittendrin steckt, auch wenn sie noch bisschen groß sind - also von Angela Merkel. Und er hat vor allem die Emotion angesprochen. Ihm ist aber etwas gelungen - was in der heutigen Medienwelt immer ganz wichtig ist - er hat eine Geschichte erzählt. Die Geschichte, die seines Erachtens - und die jetzt so wichtig ist, gerade auch vor dem Hintergrund der Ereignisse in den USA am 6. Januar, des Sturms auf das Kapitol - er hat also gesagt, diese Deutung von Vertrauen, diese lange Geschichte der Union und seine eigene Geschichte und die hat er eben verbunden mit der väterlichen Arbeiter-Bergwerksgeschichte. Und das hat er sehr geschickt gemacht, das war ganz offensichtlich gut geübt - was ich positiv finde. Ich fände es peinlich, wenn man so etwas nicht übt. Und damit war er erfolgreich. Aber der Mann hat ansonsten natürlich auch viele Leute, die ihn gut finden, weil er eben so etwas Integrierendes hat.

Beate Winterer: Die Laschet-Rede, fand ich, war auch - also mir kam es so vor - eine Abgrenzung zu Friedrich Merz. Er hat auch Dinge gesagt, wie "Wir wollen ein Team sein", "Wir brauchen keinen CEO", also ich hatte auch ein bisschen das Gefühl, er hätte vielleicht eine andere Rede gehalten, wenn er nicht damit gerechnet hätte, es könnte zwischen ihm und Friedrich Merz knapp werden.

Ursula Münch: Stimmt, das ist ein guter Punkt. Also er hat es zwar angesprochen, aber er hat den Namen nicht erwähnt und sich abgesetzt.

Söder und Spahn: Konkurrenz für Armin Laschet?

Beate Winterer: Nach der Wahl von Armin Laschet kommen Friedrich Merz und Norbert Röttgen ja kaum mehr als Kanzlerkandidaten in Frage. Aber es wurden in den vergangenen Monaten nicht nur die drei Namen genannt, sondern auch noch zwei andere: Markus Söder und Jens Spahn. Jens Spahn hat Armin Laschet auch als Team-Kollege bei der Kandidatur um den CDU-Vorsitz unterstützt und Markus Söder liegt in den Umfragen immer sehr gut, wen sich die Deutschen als Kandidaten wünschen. Und er hat als CSU-Chef ja auch ein Mitspracherecht bei der Nominierung bzw. ein Vetorecht. Ist mit der Wahl von Armin Laschet bereits eine Vorentscheidung in Richtung Kanzlerkandidatur gefallen, oder haben Söder und Spahn da noch Chancen?

Ursula Münch: Also ich würde sagen: Ja, da ist noch eine Offenheit vorhanden, vor allem mit Blick auf die CSU, also mit Blick auf den möglichen Kandidaten Markus Söder, da sehe ich eine Offenheit. Da komme ich gleich nochmal drauf zu sprechen. Keine Offenheit sehe ich ehrlich gesagt mehr mit Blick auf Jens Spahn. Nicht, weil Jens Spahn als Bundesgesundheitsminister vielleicht in den letzten Wochen auch viel Kritik hat einstecken müssen, das gehört zu solchen Ämter dazu. Sondern vor allem, meines Erachtens, wie er sich auch im Umfeld dieses Parteitages verhalten hat. Also beim CDU-Parteitag haben meines Erachtens zwei Männer große Fehler gemacht. Zum einen Friedrich Merz, nicht nur mit dem Frauen-Thema-Behandeln, sondern eben auch, dass er sich danach angedient hat - ungefragt - als Bundeswirtschaftsminister und zwar in der laufenden Bundesregiering, was natürlich ein Affront war. Sondern meines Erachtens hat sich durchaus auch Jens Spahn - disqualifiziert ist vielleicht ein großes Wort. Aber ich finde, er hat sich da unangemessen verhalten, dass er sich da quasi hineingedrängt hat in diese Fragerunde. Ich fand das aber auch von der Parteitagsregie nicht besonders glücklich. Aber da muss man natürlich der Ehrlichkeit halber dazusagen, offensichtlich geschah dieses Hineindrängen in diese Fragerunde mit Wissen von Armin Laschet, also das war jetzt auch nicht gerade so eine Auszeichnung. Ich würde sagen, wir haben zwei Kanzlerkandidaten, die miteinander vielleicht in einen gewissen Wettbewerb treten. Und zwar von der CDU und von der CSU jeweils der Vorsitzende, sodass man meines Erachtens jetzt im Januar 2021 relativ sicher sagen kann: Auf jeden Fall wird die Union einen Parteivorsitzenden als Kanzlerkandidaten haben. Jetzt ist nur noch die Frage, ist es der von der CDU oder CSU, da gibt es eine Offenheit. Ich gehe davon aus, dass sich das noch nicht so schnell entscheidet. Auch deshalb - Sie haben es ja vorhin angesprochen - das Superwahljahr das beginnt im März 2021 mit den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und in Baden-Württemberg. Und vorher wird weder die Union noch die Grünen ihren Kanzlerkandidaten auswählen.

Laschet vs. Söder: Wer bestimmt den Kanzlerkandidaten?

Beate Winterer: Bisher ist klar, dass Armin Laschet Kanzlerkandidat werden möchte. Markus Söder äußert sich dazu nicht so direkt. Er sagt ja einerseits "Mein Platz ist Bayern", andererseits dementiert er auch nicht, dass er als Kanzler kandidieren würde, wenn die Möglichkeit besteht. Wenn nun der Fall eintritt, dass sowohl Laschet als auch Söder, beide als Parteivorsitzende, sagen, sie möchten Kanzlerkandidat werden, was passiert dann? Wie läuft so eine Nominierung ab?

Ursula Münch: Das ist eine sehr berechtigte Frage. Dazu muss man zunächst einmal sagen, dass wir diese Konstellation noch nie hatten. Wir erinnern uns zwar, dass es zweimal CSU-Kanzlerkandidaten gab. Und zwar im Jahre 1980 war es Franz-Josef Strauß und 2002 war es Edmund Stoiber, die beide nicht reüssiert sind, Stoiber aber es ganz knapp nur nicht geschafft hat, die Union in die Regierung hineinzuführen. Aber das war jeweils nicht in Rivalität der beiden Parteivorsitzenden von CDU und CSU, sondern da hat die CDU im Grunde beide Male nicht laut "Hier!" gerufen, weil die CDU beide Male gewusst hat, dass das eigentlich nicht zu gewinnende Wahlen sind. Beim ersten Mal hat der Koalitionspartner gefehlt, da wollte die FDP bei der SPD bleiben, beim zweiten Mal 2002 hat Angela Merkel - damals neu im Amt der Parteivorsitzenden der CDU - der Rückhalt in der eigenen Partei gefehlt und sie hat von vornherein selbst darauf verzichtet. Insofern erleben wir jetzt tatsächlich eine Premiere. Dieses Jahr bietet viele Premieren, der erste Bundeswahlkampf in Zeiten einer Pandemie - das ist auch so eine Premiere, auf die wir gerne verzichtet hätten - aber das ist jetzt tatsächlich eine neue Konstellation. Formal läuft das zunächst mal so, die CDU hat ein Vorschlagsrecht, aber Herr Söder hat schon letztes Jahr frühzeitig gesagt, die CSU nimmt für sich ein Vetorecht in Anspruch. Also könnte es sein, dass die CDU mehrheitlich dann doch sagt: Nein, wir wollen unseren Parteivorsitzenden Laschet. Und dann könnte es sein, dass die CSU sagt - glaube ich aber gar nicht unbedingt - aber vielleicht sagt dann die CSU und Markus Söder: Wir sehen nicht wirklich gute Umfrageergebnisse für Armin Laschet, wir haben die Befürchtung, dass wir womöglich nur so knapp als stärkste Fraktion in den Bundestag einziehen, das ist uns zu unsicher, wir brauchen den Rückenwind aus Bayern. Und in solch einer Konstellation genügt jetzt natürlich das Machtwort von Markus Söder allein auch nicht. In der Vergangenheit war es so, zum Beispiel bei der Ernennung von Franz-Josef Strauß 1980, das hat dann damals die Bundestagsfraktion entschieden. Also die Bundestagsfraktion der Union ist eigentlich der Ort, an dem das dann entschieden wird. Dort sind im Augenblick die Mehrheitsverhältnisse so, dass die CDU 200 Abgeordnete stellt, die CSU hat 46 Abgeordnete. Selbstverständlich ist mir bewusst, auch von der CDU können natürlich ganz viele sagen, uns erscheint Markus Söder quasi so die sicherere Nummer. Aber soweit muss es erstmal kommen. Laschet wird das meines Erachtens nicht anbieten. Klar, man weiß nicht, wie diese Landtagswahlen im März ausgehen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg. Aber man weiß jetzt schon, es ist eher unwahrscheinlich, dass die CDU die gewinnen wird. Wir haben einmal in Baden-Württemberg den Grünen-Ministerpräsidenten, in Rheinland-Pfalz die SPD-Ministerpräsidentin - ehrlich gesagt, ich sehe da keinen Machtwechsel.

Beate Winterer: Die sind auch beide sehr erfahren, die Gegenkandidaten jeweils. Aber können Sie sich dann wirklich vorstellen, dass es auf so eine Art "Kampfabstimmung" in der Bundestagsfraktion hinausläuft? Oder wären die beiden dann besser bedient, wenn sie es unter sich ausmachen, um vielleicht auch einen Schaden für die eigene Person als Ministerpräsidenten abzuwenden?

Ursula Münch: Unbedingt. Das ist ein natürlich ganz wichtiger Punkt, den Sie da ansprechen, dass da zwei amtierende Ministerpräsidenten gegebenenfalls womöglich noch gegeneinander in diesem Kanzlerkandidaturwettbewerb antreten würden. Also natürlich wäre das ratsam, dass man sich vorher einigt. Und beide haben ja auch immer wieder versichert, dass man das dann zu gegebener Zeit im April oder im Mai miteinander besprechen wird. Aber wie gesagt, es gab auch schon - ja fast schon - "Kampfabstimmungen" in der Bundestagsfraktion über die Kanzlerkandidatur. Irgendwann muss dann eine Entscheidung getroffen werden, und wie gesagt, ich glaube nicht, dass Laschet von vornherein das anbieten wird, dass ihm das Markus Söder abnimmt, aber natürlich weiß auch ich nicht, wie sich jetzt Popularitätswerte verändern. Ich gehe aber insgesamt davon aus... Armin Laschet begleitet, eigentlich schon seit seine politische Karriere angefangen hat, etwas, das Markus Söder in der Form, glaube ich, nicht kennt: Armin Laschet ist immer unterschätzt worden - und das kann manchmal ein Vorteil sein!

Baerbock Favoritin bei den Grünen

Beate Winterer: Eine Partei, die ebenfalls noch keinen Kanzlerkandidaten hat - Sie haben es angesprochen - sind die Grünen. Die Grünen werden dieses Jahr auch einen Kanzlerkandidaten oder eine Kanzlerkandidatin brauchen. Die Partei könnte - oder wird, muss man schon fast sagen - nach der Bundestagswahl mit der Union regieren. Was meinen Sie, warten die Grünen mit Absicht ab, bis die Union ihren Kandidaten kürt, oder steckt da vielleicht noch ein anderes Kalkül dahinter?

Ursula Münch: Also jetzt könnte man zunächst mal lästern und sagen: Naja, die Grünen müssen sich jetzt auch erstmal an diese neue Situation gewöhnen. Weil es ja für die Grünen tatsächlich auch schon wieder so eine Premiere ist. Zum ersten Mal in der Geschichte der Grünen-Partei - die immerhin Ende der 70er / Anfang der 80er Jahre gegründet worden ist - das erste Mal in der Geschichte der Grünen - oder von Bündnis 90/Die Grünen - dass man einen Kanzlerkandidaten küren muss. Das ist schon bemerkenswert, vielleicht braucht es deshalb ein bisschen länger, aber ich vermute ehrlich gesagt, dass das vor allem auch viel damit zu tun hatte, dass man auch warten wollte, der Bundesvorstand der Grünen auch bewusst warten wollte, wen jetzt eigentlich die CDU aufstellt. Das bestreiten die Grünen zwar, aber wenn ich die Grünen wäre, würde ich das auch bestreiten. Man sagt immer, dass man die eigenen Kandidaten nicht von anderen abhängig macht. Aber natürlich ist es für die Grünen schon ein Unterschied gewesen, ob man womöglich einen Kandidaten Friedrich Merz hat, eventuell einen Norbert Röttgen, aber das ist gelaufen oder eventuell einen Markus Söder. Da wird man noch ein wenig anders darüber debattieren. Aber eines haben ja alle Gegenkandidaten der Grünen gemeinsam: Es sind alles Männer. Aus dem Grund würde ich jetzt ehrlich gesagt fast eine Wette eingehen, dass dann doch Annalena Baerbock die erste Kanzlerkandidatin der Grünen wird. Das könnte vielleicht noch sein, dass sie aus privaten Grünen, oder mit Blick darauf, dass ihr diese exekutive Erfahrung ja fehlt, dass man das vielleicht nochmal umentscheidet, aber gleichzeitig ist das natürlich ein großer Pluspunkt, den die Grünen haben. Bei einer Wählerschaft - einer Mitte-Wählerschaft, einer Wählerschaft die natürlich auch stark weiblich geprägt ist - wo das schon eine Rolle spielen kann.

Scholz als Kandidat der Kontinuität

Beate Winterer: Wenn wir bei den strategischen Entscheidungen sind: Die SPD war dieses Mal besonders schnell, hat Finanzminister Olaf Scholz schon vergangenen Sommer zum Kanzlerkandidaten gemacht. Das Ganze lief ohne großes Aufsehen, und auch eigentlich unbeobachtet durch die Presse, im Willy-Brandt-Haus ab. Wieso ist die SPD hier vorangeschritten? War das klug?

Ursula Münch: Also ich würde sagen, aus Sicht der SPD war das meines Erachtens schon eine kluge Entscheidung. Und zwar schon deshalb, weil die SPD mit dieser jetzigen Entscheidung, bzw. die schon letztes Jahr stattgefunden hat, sich klar abgesetzt hat von den früheren Vorgehensweisen der Partei. Bei den letzten zwei oder drei Bundestagswahlen, wo man irgendwie holterdiepolter mit Kanzlerkandidaten rausgekommen ist und im Grunde die Partei überfordert hat, die Fraktion überfordert hat. Und das wollte man dieses Mal bewusst anders machen. Ob das dem Kandidaten Olaf Scholz nutzt, wird sich weisen. Auf jeden Fall hat Olaf Scholz einen ganz großen Vorteil: Er ist jetzt derjenige bei dieser Bundestagswahl, der diese Kontinuität verkörpert. Vor zwei Jahren hätte man noch gedacht: Kontinuität bei der Bundesregierung, das ist jetzt nichts, was man bei der Bundestagswahl 2021 wirklich braucht. Da standen die Umfragewerte für die gesamte Bundesregierung wirklich im Keller. Das hat sich bekanntlich durch die Pandemie verändert. Das ist das Pfund, mit dem ein Olaf Scholz, der ja dann auch gleichzeitig diese Landeserfahrung hat, nämlich Bürgermeister der Hansestadt Hamburg gewesen zu sein – und zwar ein sehr erfolgreicher, wenn wir insgesamt vom Weltwirtschaftsgipfel absehen. Sodass man lustiger Weise feststellen kann: Wir haben eine SPD-Kandidaten, der versucht, die Fußstapfen von Angela Merkel, von der CDU, einzunehmen. Das ist eine gewisse skurrile Situation. Armin Laschet wird ebenfalls versuchen, diese Fußstapfen auszufüllen. Aber natürlich hat er diese Bundeserfahrung nicht, aber er hat etwas: Der kann mit Leuten umgehen. Das ist etwas, das zum Beispiel seinem potenziellen Gegenkandidaten von der CSU, Markus Söder, nicht unbedingt nachgesagt wird.

Wahlkampf im Corona-Jahr

Ursula Münch: Und jetzt muss ich es gleichzeitig wieder einschränken und die offene Frage stellen, die ich nicht beantworten kann: Spielt das auch bei einem Wahlkampf, der doch noch weitgehend unter Corona-Bedingungen stattfinden wird, spielt das dann wirklich eine Rolle? Ist es dann wirklich ein Unterschied, ob ich Bierzelte für mich einnehmen kann oder nicht, wenn keiner ins Bierzelt kann, um die Rede zu halten, das werden wir sehen.

Beate Winterer: Würden Sie dann vielleicht sogar sagen, dass die Kandidaten in dieser Wahl eine kleinere Rolle spielen könnten als zuvor? Oder werden vielleicht dann einfach Fernsehduelle wichtiger als große Wahlkampfveranstaltungen auf dem Marienplatz?

Ursula Münch: Das ist natürlich eine gute Frage, wo ich auch nur mutmaßen kann. Ich würde tatsächlich sagen, dass vielleicht, die Programmatik natürlich schon klar eine Rolle spielt, aber auch die kann man im Digitalen nicht so besonders gut an die Leute bringen. Und es ist dann auch manchmal so schwierig, überhaupt das sogenannte gegnerische Lager zu erreichen. Das geht bei uns noch besser, als es in den USA der Fall ist. Aber trotzdem auch das ist nicht ganz einfach. Sodass es tatsächlich vielleicht ein Wahlkampf sein wird, der nicht nur in den Online-Medien ausgetragen wird, wo man immer nur die eigenen Anhänger erreicht, sondern der tatsächlich vielleicht verstärkt über die Presse, aber vor allem über das öffentlich-rechtliche Fernsehen und Rundfunk ausgetragen wird. Und da muss ich ganz ehrlich sagen: Die beneide ich nicht, die Redaktionen, die dann entscheiden müssen: Wen laden wir eigentlich ein? Ich bin sozialisiert mit Kanzlerkandidatenduellen von Unionskandidaten und von Sozialdemokraten. Das ist durch die jetzigen Mehrheitsverhältnisse im Bundestag noch zu rechtfertigen, aber eben nicht durch die Umfrageergebnisse. Da wünsche ich den Redaktionen viel Spaß, das zu entscheiden.

Beate Winterer: Vor uns liegen also spannende Monate! Vielen Dank, Frau Münch. Das war sicher nicht das letzte Mal, dass wir bei Akademie fürs Ohr über die anstehenden Wahlen in diesem Jahr gesprochen haben. Und wenn Sie uns beim nächsten Mal auch wieder zuhören wollen, dann abonnieren Sie am besten unseren Podcast, dann verpassen Sie auch nichts. Bis bald!

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