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Unser neuer Akademie-Philosoph

Simon Faets leitet den Bereich Theoretische und Ethische Grundlagen der Politik

Das wissenschaftliche Kollegium der Akademie für Politische Bildung begrüßt ein neues Mitglied. Simon Faets leitet seit Anfang Februar den Arbeitsbereich Theoretische und Ethische Grundlagen der Politik. Er folgt Roberta Astolfi, die unsere Akademie nach zwei Jahren auf eigenen Wunsch verlassen hat. Der 31-Jährige hat an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster Katholische Theologie studiert und wird demnächst an der Hochschule für Philosophie München seine politisch-philosophische Promotion abschließen. Im Interview erklärt der neue Kollege, was Philosophie und politische Bildung verbindet, und spricht über den Stand seiner Dissertation und seine geplanten Projekte an der Akademie.

Tutzing / Aus der Akademie / Online seit: 15.02.2021

Von: Beate Winterer / Foto: Beate Winterer

Winterer: Herr Faets, Sie starten unter Corona-Bedingungen. Wie sind die ersten Tage an der Akademie gelaufen?

Faets: Einerseits sehr schön, ich wurde herzlich aufgenommen. Trotzdem ist es ein komisches Gefühl, dass kaum Kolleginnen und Kollegen im Haus sind. Aber ich bin glücklich und lebe mich gut ein.

Philosophen stellt man sich eher hinter Büchern vor. Was hat Sie zur politischen Bildung gebracht?

Philosophen und Philosophinnen müssen im Leben sein und an dem teilnehmen, was in der Gesellschaft passiert. Wenn man dieses Selbstverständnis hat, kommt man sehr schnell zur politischen Bildung. Man hat hier die Möglichkeit, Themen, die man am Schnittpunkt von Theorie und Praxis bearbeitet, noch mehr in die Praxis einzuspeisen - und selbst schlauer zu werden, zum Beispiel durch Kooperationspartnerinnen und Kooperationspartner. Das ist für mich etwas sehr Reizvolles. Deswegen halte ich schon seit einigen Jahren Vorträge an der Volkshochschule und leite dort Diskussionsgruppen, von Grundbegriffen der politischen Philosophie wie Solidarität und Gerechtigkeit bis hin zu aktuellen Themen wie Corona oder Tierethik.

Mit Ihrer Dissertation an der Hochschule für Philosophie sind Sie fast fertig. Worum geht's in der Arbeit?

Um Christoph Menkes Kritik der Rechte. Menke ist einer der wichtigsten Denker der Kritischen Theorie im deutschsprachigen Raum, der Frankfurter Schule. Meine Kritik an Menke besteht darin, dass er die Ausschlüsse aus dem Recht nicht mitdenkt. Für ihn ist das Problematische des Rechts hauptsächlich, dass es gesellschaftliche Praktiken und Diskurse entpolitisiert. Und ich frage mich, wie kann man zum Beispiel mit dem Thema Flucht und Migration im Recht umgehen, also mit dem Phänomen von illegalisierten Menschen. Dazu schaue ich mir den Begriff der "Biopolitik" von Michel Foucault an und konkretisiere ihn unter anderem mit Judith Butler. Sie ist sozusagen die wichtigste Autorin für meine Arbeit. Ich versuche nachzuvollziehen, wie man die Exklusion aus dem Recht kritisch reflektieren und in einer Kritischen Rechtstheorie thematisieren kann.

Das klingt spannend. Ist Judith Butler Ihre Lieblingsdenkerin?

Ich komme vor allem aus der Kritischen Theorie, aber auch vom Poststrukturalismus und Pragmatismus her. Und ich finde, in dem Bereich ist Judith Butler eine der umfassendsten Denkerinnen, weil sie aktuelle gesellschaftspolitische Probleme besonders kritisch und innovativ beleuchtet und sehr interessante Perspektiven aufzeigt. Und Christoph Menke ist natürlich auch sehr spannend. Was mich aber daneben immer stärker interessiert, sind postkoloniale und dekoloniale Theorien. Sie schauen sich zum Beispiel an, inwiefern moderne Demokratien ihre Wurzeln in kolonialen Herrschaftskontexten haben und wie dadurch Ungerechtigkeiten und Machtunterschiede transportiert werden. Ein Denker, der für mich eine große Rolle spielt und auch in meiner Dissertation zum Tragen kommt, ist Achille Mbembe. Er beschäftigt sich viel damit, wie man dem Rassismus zum Trotz das Gemeinsame unter den Menschen denken kann. Und ich finde Theorien am Schnittpunkt von Philosophie und Theologie sehr interessant. Also wenn sich Philosophinnen und Philosophen auf politische Weise mit Exodus-Traditionen befassen, wie zum Beispiel Daniel Loick.

Sie haben Theologie studiert. Wieso der Wechsel in die Philosophie?

Die Verbindung liegt sehr nah, weil man im Theologiestudium sowieso sehr viel Philosophie macht, praktisch die gesamte Geschichte und auch viel Systematik. Und philosophische Fragen haben mich schon immer sehr interessiert, vor allem in Bezug auf die politische Wirklichkeit. Deshalb bin ich nach meinem Abschluss von Münster nach München gewechselt und habe ein Promotionsstudium in der Philosophie begonnen.

Welche thematischen Schwerpunkte wollen Sie an der Akademie setzen?

Ich finde ganz verschiedene Themen spannend und passend für die Akademie. Eines, das ich aus der Promotion mitnehme, ist die Flüchtlingspolitik. Zum Klimawandel gibt es auf alle Fälle auch Formate, die man machen sollte. Und ich möchte mich mit dem Unterschied zwischen Freiheit und Befreiung beschäftigen. Dazu gibt es in der Kritischen Theorie aktuell eine Debatte. In der Ethik und Philosophie wird gerade darüber diskutiert, ob und wie es Universalismus überhaupt noch gibt. Damit sind zum Beispiel universelle Menschenrechte gemeint. Gibt es die global oder wird der Diskurs eurozentrisch geführt? Hier beschäftigt mich vor allem die Frage, wie man Gegen-Universalismen aufmachen kann - durch Wissenschaft und Alltagspraxis aus anderen Teilen der Welt, vor allem aus dem globalen Süden.

Womit beschäftigen Sie sich in Ihrer Freizeit?

So viele Hobbys hat man während Corona leider nicht... (lacht) Kunstmuseen, Kinos und Ähnliches sind ja geschlossen. Momentan arbeite ich in meiner Freizeit noch sehr viel an meiner Promotion. Vor einem Jahr habe ich mit Calisthenics angefangen, also Sport mit dem eigenen Körpergewicht, weil die Sportstudios geschlossen waren. Das finde ich faszinierend und ich fuchse mich immer wieder in neue Übungen rein. Und ich bin ein ziemlicher Serien-Junkie. Manche Serien sind es übrigens wert, auch wissenschaftlich thematisiert zu werden.

Was schauen Sie denn am liebsten?

Die beste Serie überhaupt ist für mich "Breaking Bad". Ich weiß, das ist ein Klassiker, aber ein ganz hervorragender. "True Detective" finde ich auch sehr gut. Das sind spannende Medien, in denen gesellschaftliche Debatten aufgenommen und durchgespielt werden und die auch einfach sehr unterhaltsam sind. Das finde ich total interessant.

Damit sollten Sie auch den Corona-Alltag bewältigen, bis an der Akademie wieder mehr passiert. Viel Erfolg bei den neuen Aufgaben!

 

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