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Ibiza-Gate: Die Recherchen zum Strache-Video

Webtalk mit Bastian Obermayer von der Süddeutschen Zeitung

Staatsaufträge gegen Wahlkampfspenden: Diesen Deal bietet der damalige FPÖ-Politiker Heinz-Christian Strache der vermeintlichen Nichte eines russischen Oligarchen auf Ibiza an. Als die Süddeutsche Zeitung und Spiegel Online die heimlich gefilmten Aufnahmen des Gesprächs veröffentlichen, tritt Strache als österreichischer Vizekanzler zurück und die Koalition mit der ÖVP bricht. Bastian Obermayer, Leiter des Ressorts Investigative Recherche der Süddeutschen Zeitung, führte die Recherchen zur Ibiza-Affäre. Im Webtalk der Akademie für Politische Bildung hat er darüber erzählt.

Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 04.12.2020

Von: Franziska Pohlmann / Foto: Franziska Pohlmann

Programm: Tutzinger Journalistenakademie: Webtalk: Die Recherchen rund um Ibiza-Gate

Bastian Obermayer kommt in ein Hotelzimmer, er wird durchsucht, ihm wird sein Handy abgenommen und er bekommt Kopfhörer aufgesetzt. Anschließend darf der Leiter des Ressorts Investigative Recherche der Süddeutschen Zeitung 15 Minuten eines - wie er es formuliert - "Best-of-Strache-Videos" sehen. Gefilmt wurden die Ausschnitte 2017, kurz vor der österreichischen Nationalratswahl, auf Ibiza. Sie zeigen die FPÖ-Politiker Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus in einer Villa mit einer vermeintlichen russischen Oligarchennichte. Strache schlägt ihr vor, seine Partei durch Wahlkampfspenden zu unterstützen - über einen "gemeinnützigen Verein", vorbei am Rechnungshof. Im Gegenzug verspricht er Staatsaufträge. Als Süddeutsche Zeitung und Spiegel Online die Aufnahmen zwei Jahre später veröffentlichen, behauptet Heinz-Christian Strache - inzwischen Vizekanzler - es sei "eine bsoffne Gschicht" gewesen. Dennoch tritt er zurück, die Koalition mit der ÖVP bricht, Österreich muss Neuwahlen abhalten. Wie er und seine Kollegen den Korruptionsskandal aufdecken konnten, hat Bastian Obermayer im Webtalk der Akademie für Politische Bildung erzählt.

Falle oder große Geschichte?

Was ihn erwartet, weiß Obermayer vor dem Treffen mit den Hintermännern nicht. Den Namen der Stadt, in der er später die Videoausschnitte sehen soll, erfährt er erst am Vortag. Das Treffen wird um mehrere Stunden verschoben, der Ort öfter gewechselt. Dann endlich das Treffen in einem Hotel. Wie viele Menschen es sind und ob er sie vorher kannte, verrät Obermayer nicht - Informantenschutz. Als er schließlich Heinz-Christian Strache zwischen Zigaretten und Wodka-Bull über illegale Parteispenden verhandeln hört, stellt sich ihm die Frage: "Werde ich selbst gefilmt?"

Zu diesem Zeitpunkt wäre es noch absolut denkbar, dass man ihm eine Fälschung andrehen möchte. Etwa um zu beweisen, dass die Süddeutsche Zeitung ihre journalistische Sorgfaltspflicht vernachlässigt, sobald ihr eine brisante Geschichte über rechte Politiker wie Strache angeboten wird. "Eine Aussage wie 'Super, es ist gegen Strache, wir bezahlen und machen alles, was ihr wollt'", wäre der Beweis, dass die SZ nicht ergebnisoffen, sondern tendenziös recherchiert. Deshalb erklärt er im Hotelzimmer immer wieder, dass seine Zeitung weder für Informationen bezahlt noch Absprachen über den Zeitpunkt der Veröffentlichung trifft. Trotzdem scheinen seine Gesprächspartner nicht abgeneigt, ihm die Aufnahmen zur Verfügung zu stellen. Bei einem weiteren Treffen sieht er das gesamte Videomaterial und weiß: "Das wird eine große Geschichte - wenn sie stimmt." Dennoch dauert es noch ein Jahr bis Obermayer und sein Team das Videomaterial tatsächlich erhalten.

Einigung mit Spiegel Online und Prüfung des Materials

In der Zwischenzeit erfährt die Süddeutsche Zeitung, dass auch der Spiegel zum Strache-Video recherchiert. "Lassen die (die Hintermänner, Anm. d. Red.) uns jetzt gegeneinander laufen?", fragt sich Obermayer und kontaktiert Spiegel-Reporter Martin Knobbe. Sie handeln eine Einigung aus - mit dem jeweils härtesten Konkurrenten.

Schließlich erhalten beide Zeitungen mehrere Videos des Abends auf Ibiza, beispielsweise gefilmt aus einer Ladestation und vermutlich aus einem Lichtschalter. Ein Digitalforensiker prüft die Aufnahmen und kommt zu dem Schluss, dass sie mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,9 Prozent echt sind. Auch an den Tonspuren lassen sich keine Manipulationen feststellen. Das Fraunhofer-Institut kontrolliert das Material erneut und kommt zum selben Ergebnis.

Jetzt weiht Obermayer Florian Klenk ein, den Chefredakteur der Wiener Wochenzeitung Falter. Er will sichergehen, dass die deutschen Journalisten nichts übersehen, keinen Dialekt oder eine österreichische Floskel überinterpretieren. "Es hat gut getan, einen Österreicher sagen zu hören: 'Das ist wichtig'", erzählt Obermayer. Er wendet sich an die Rechtsabteilung der SZ, um das Stück rechtlich abzusichern. Die Juristinnen und Juristen sehen den Fall wie er: Straches Angebot von Staatsaufträgen gegen illegale Parteispenden sei von so hohem öffentlichen Interesse, dass die Veröffentlichung von heimlich gefilmten Ausschnitten gerechtfertigt sei. Nachdem Spiegel Online und Süddeutsche Zeitung sich auf die wichtigsten Stellen in den Videos geeinigt haben, stellen sie die Ausschnitte online.

Heinz-Christian Strache tritt zurück

"Eigentlich muss das sein Ende sein", hatte Klenk gesagt. Und tatsächlich tritt Strache noch am selben Tag als Vizekanzler zurück. Andere Medien jagen danach die Hintermänner des Videos. Obermayer bedauert, dass die Recherchen vor allem in diese Richtung laufen und nur wenige Kolleginnen und Kollegen versuchen, illegale Parteispenden zu finden. Obermayer selbst gerät durch die Ibiza-Affäre in einen Shitstorm der rechten Szene, mit dem er nicht gerechnet hatte. Ihm und seinem Team wird gedroht und vorgeworfen, sie hätten die Aufnahmen manipuliert. Es folgen Gerichtsverfahren wegen Verletzung der Persönlichkeitsrechte von Strache und Gudenus sowie Klagen auf Unterlassung der Verbreitung der Aufnahmen. Die Verfahren wurden inzwischen aber eingestellt oder Obermayer und sein Team haben sie gewonnen. "Das ist eine gute Werbung für den freien Journalismus", findet Obermayer.

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