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Politische Bildung als Problemlöser?

Strategien, Formate und Methoden für die Arbeit in der Coronakrise

Der Druck auf die repräsentative Demokratie wächst. Populismus, Extremismus und Verschwörungstheorien sorgen gerade während der Corona-Pandemie für Verunsicherung. Wie die politische Bildung zeitgemäß auf neue Herausfoderungen reagieren kann, war Thema der Online-Tagung "Problemverursacher oder Problembewältiger?" der Akademie für Politische Bildung.

Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 13.11.2020

Von: Franziska Pohlmann / Foto: Franziska Pohlmann

Programm: Problemverursacher oder Problembewältiger?

Problemverursacher oder Problembewältiger?

Flickr-Galerie © Akademie für Politische Bildung Tutzing. Bitte klicken Sie auf das Foto, falls die Galerie nicht lädt. Sie werden zu Flickr weitergeleitet.

"Muss politische Bildung mehr kämpfen?", fragt Akademiedirektorin Ursula Münch. Bereits vor der Corona-Pandemie stand die politische Bildung vor Herausforderungen wie dem demografischen Wandel, der Heterogenisierung der Gesellschaft und der Digitalisierung. Die Krise bietet Populisten und Extremisten neue Angriffspunkte. Mit welchen Methoden und Formaten die politische Bildung ihnen entgegentreten kann, haben Wissenschaftlerinnen und politische Bildner auf der Online-Tagung "Problemverursacher oder Problembewältiger? Politische Bildung in Zeiten des Umbruchs" der Akademie für Politische Bildung diskutiert.

Wo steht die politische Bildung?

Karl-Rudolf Korte von der Universität Duisburg-Essen beschreibt die Situation, die sich der politischen Bildung durch die Coronakrise stellt folgendermaßen: Durch Kontaktbeschränkungen und die Stilllegung des öffentlichen Lebens zur Bekämpfung des Coronavirus erleben Westdeutsche zum ersten Mal Einschränkungen in ihrer Freiheit. Gleichzeitig erfahren wir durch das Einhalten der Regeln, insbesondere das Tragen eines Mund- und Nasenschutzes, eine neue Form der Solidarität. Andrea Szukala von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster fordert die politischen Bildner auf, herauszufinden, was Menschen wirklich bewegt und wo ihr politisches Bewusstsein steckt. An diesen Vorstellungen müssten sie ihre Arbeit ausrichten. Die Teilnehmenden diskutieren, ob sie in der politischen Bildung Texte gendern sollten. Sie sind sich uneinig, ob Gendern zu einer gerechteren Gesellschaft oder zu einer weiteren Radikalisierung beiträgt. Durch eine zu starke Positionierung bestehe die Gefahr, dass politische Bildner und Bildnerinnen als kulturelle Elite wahrgenommen werden. Einig ist man sich hingegen, dass die politische Bildung mit ihrer Professionalität stolzer an derartige Themen herantreten soll.

Herausforderungen der politischen Bildung

Aber auf welche Themen muss sie sich fokussieren? "Die Digitalisierung", sagt Mandy Schiefner-Rohs, Professorin für Allgemeine Pädagogik an der Universität Kaiserslautern. "Digitalisierung funktioniert nicht mehr über den Computer, sondern die Digitalisierung ist in unsere Hosentasche gewandert, wir tragen sie tagtäglich mit uns herum." Der Begriff der "Postdigitalität" beschreibt diese neue Entwicklung: Wo es früher um Hardware und die Funktion des Internets ging, spielen heute kulturelle Prozess eine größere Rolle. Entscheidend ist, wie die Welt erschlossen und wahrgenommen wird. Kinder wachsen heute mit Online-Medien auf. Das wirkt sich auf ihre Vorstellungen und ihren Bildungsprozess aus. Radikalisierende Inhalte können deshalb problematisch sein. Die politische Bildung wirkt dem - gerade in der Pandemie - durch eigene Online-Veranstaltungen entgegen. "Persönliche Begegnungen können digitale Formate aber nicht ersetzen", sagt Ina Bielenberg, Geschäftsführerin des Arbeitskreises deutscher Bildungsstätten, sie können sie aber unterstützen.
 
Eine weitere Herausforderung ist die zunehmende Heterogenität der Gesellschaft. Setzt sie die Ziele der politischen Bildung unter Druck? "Nein", sagt Kathrin Hahn-Laudenberg von der Universität Wuppertal, "Demokratie braucht Heterogenität." Die politische Bildung erreicht jedoch nicht alle Bürger und Bürgerinnen gleichermaßen. Fazit einer vorgestellten Studie ist, dass Kinder mit einem schlechteren sozioökonomischen Hintergrund weniger über Demokratie wissen. Die politische Bildung muss deshalb neue Strategien entwickeln, damit diese Menschen nicht in eine Radikalisierung abrutschen oder sich aus dieser lösen. Rico Behrens, Politikwissenschaftler an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, rät dazu, bewusst das Gespräch zu suchen, wenn sich eine Radikalisierung andeutet, um durch Fakten ein Wissensdefizit zu beseitigen. Ist die Radikalisierung allerdings fortgeschritten, spricht er sich für eine klare Haltung zum Schutz von Betroffenen aus. Nicht jede Auseinandersetzung sei sinnvoll, da extremistischen Ideen sonst zu viel Raum gegeben wird. Bei Verschwörungstheorien ist das anders als bei Extremismus. "Sie gehören in Krisen zum Menschsein dazu", sagt Claus Oberhauser von der Pädagogischen Hochschule Tirol. Er empfiehlt, die Theorien ernst zu nehmen und sie nicht lächerlich zu machen. Das Erfinden einer eigenen Verschwörungstheorie mit Jugendlichen kann beispielsweise dazu beitragen, die Konstruiertheit sichtbar zu machen.

Neue Methoden in der politischen Bildung

Auch andere neue Formate und Methoden können die politische Bildung auf die Höhe der Zeit bringen. Sandra Busch-Janser von der Konrad-Adenauer-Stiftung zeigt, wie auch während der Pandemie mit 3D-Brillen eine 360-Grad-Führung durch den Bundestag möglich ist. Sogenannte "Alternate Reality Games" für Jugendliche kombinieren traditionelle Stadtführungen mit einem Rollenspiel. Dennis Lange vom Verein Waldritter hat das Spiel "Cybris" vorgestellt. Es handelt von einer angeblichen Verschwörung, bei der eine Frau von einem Forschungsinstitut entführt wird. Später stellt sich heraus, dass die Tat einen familiären Hintergrund hatte und die Verschwörungstheorie nicht richtig war. Durch andere Spiele erhalten Jugendliche auch die Möglichkeit, sich mit Themenkomplexen wie Rechtsextremismus auseinanderzusetzen. Durch das aktive Mitspielen machen sie gemeinsame Erfahrungen und reflektieren im besten Fall die eigene Handlungsweise. Von Selbstreflexion spricht auch Laura-Kristine Krause, Geschäftsführerin von More in Common Deutschland. Selbstreflexion sei der erste Schritt, um sich mit den Bedürfnissen anderer Menschen auseinanderzusetzen. Welche Menschen spricht die politische Bildung an und welche nicht? Passen Inhalt und Format zur Zielgruppe? Diese Fragen gibt Krause ihren Kolleginnen und Kollegen mit auf den Weg, um die politischen Bildung neu zu strukturieren.
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