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Die USA und ihre ewigen Kriege

Die amerikanische Interventionspolitik nach 9/11

Nahostkonflikt, Russland, Guantanamo: Die USA stehen vor Herausforderungen. Was hat sich seit 9/11 verändert? Wird der neue Präsident Joe Biden die "ewigen Kriege" seiner Vorgänger beenden? Diese Fragen zur amerikanischen Demokratie und Interventionspolitik haben Politikwissenschaftler auf der Online-Tagung "Ewig Kriege" der Akademie für Politische Bildung und der Technischen Universität Kaiserslautern diskutiert.

Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 30.11.2020

Von: Franziska Pohlmann / Foto: Franziska Pohlmann

Programm: Ewige Kriege

Ewige Kriege

Flickr-Galerie © Akademie für Politische Bildung Tutzing. Bitte klicken Sie auf das Foto, falls die Galerie nicht lädt. Sie werden zu Flickr weitergeleitet.

Nach den Anschlägen am 11. September haben die USA ihren Krieg gegen den internationalen Terrorismus von Afghanistan über den Irak und schließlich über weite Teile des Nahen und Mittleren Ostens ausgebreitet. Viele dieser Auseinandersetzungen sind bis heute nicht beendet. Doch 20 Jahre nach 9/11 stoßen die nicht endenden Kriege in der Bevölkerung auf Widerstand. Kann Joe Biden die Auseinandersetzungen beenden? Die Online-Tagung "Ewige Kriege" der Akademie für Politische Bildung und der Technischen Universität Kaiserslautern hat sich der amerikanischen Interventionspolitik nach 9/11 und dem Zustand der amerikanischen Demokratie gewidmet.

Politische Ausgangssituation nach 9/11

Mit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 entstand für die USA eine weltpolitische Herausforderung, wie es sie seit dem Ost-West-Konflikt nicht gegeben hat. Laut Verfassung liegt das Recht zur Kriegserklärung ("to declare war")  beim Kongress. 72 Stunden nach den Anschlägen verabschiedete dieser das Gesetz "Authorization for Use of Military Force" (AUMF), das dem Präsidenten die Ermächtigung gibt, die Streitkräfte zu mobilisieren. Der Ermächtigung sind dabei keine geografischen oder zeitlichen Begrenzungen gesetzt. Marcus Müller, Politikwissenschaftler an der Technischen Universität Kaiserslautern, spricht von einem "Blankoscheck an den Präsidenten". Der Kongress ordnet sich unter und meidet gleichzeitig die politische Verantwortung. Im Erfolgsfall kann er applaudieren, er behält sich aber gleichzeitig die Möglichkeit vor, Verfehlungen zu kritisieren.

Doch mit jeder präsidial verfügten Interventionen nimmt die Zustimmung zur Finanzierung der Kriege in der Bevölkerung ab. Um dem entgegen zu wirken, richtet sich der Präsident direkt an das Volk und versucht, die amerikanische Öffentlichkeit zu mobilisieren. "Going Public" heißt die Strategie. Beliebt ist die Fokussierung auf die liberalen Werte und die amerikanische Verantwortung als moralisch überlegenes Land. "Das knüpft an das Selbstverständnis Amerikas als 'shining city upon a hill' an", erklärt Lukas D. Herr von der Technischen Universität Kaiserslautern. Die Zweifel an der Legitimität des AUMF können solche Sonntagsreden allerdings nicht vertreiben. Eine Reform erscheint naheliegend, da eine neue Generation an Demokraten nicht länger bereit ist, die Verfügungen des Präsidenten hinzunehmen. Spannend bleibt, wie der Kongress sich in dieser Frage unter Biden positioniert - und welche Strategien der zukünftige Präsident für den Umgang mit dem Nahostkonflikt und insbesondere Israel entwickelt.

USA und der Nahostkonflikt

Steffen Hagemann von der Heinrich-Böll-Stiftung in Tel Aviv beschreibt die Beziehung zwischen den USA und Israel als "special relationship". Die USA bauten ihre militärische Präsenz im Nahen aus, mussten aber mit der Zeit feststellen, dass die Demokratisierung und die Schaffung einer stabilen regionalen Ordnung dort scheiterten. Die Gewalt eskaliert in Form von weiteren Anschlägen. Die Strategie der USA gleicht einem Rückzug. Um die Militärpräsenz weiter abbauen zu können, wird Biden mit dem Iran über ein neues Atomabkommen verhandeln.

Russisch-amerikanische Beziehungen

Nicht nur die Beziehungen in den Nahen Osten werden sich unter Biden ändern, sondern auch die zu Russland. Die russisch-amerikanische Beziehung sei eine "Geschichte der Missverständnisse, falscher Erwartungen und falscher Machtvorstellungen", sagt Gerhard Mangott von der Universität Innsbruck. Obama bemühte sich um eine "Reset-Politik", in der er stärker mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin kooperieren wollte. Sowohl in der zivilen Zusammenarbeit als auch bei der Abrüstungs- und Iranpolitik gab es Erfolge. Nachdem Russland zur Destabilisierung in der Ukraine beigetragen hatte, verfolgte Obama die "Reset-Politik" aber nicht weiter. Die Beziehung zwischen Russland und den USA erkaltete. Trump versprach, sie wieder zu verbessern. Nach dem "Russia-Gate", also dem Vorwurf einer Wahlfälschung durch Russland, war Trumps Spielraum zur Annäherung an Russland jedoch weitestgehend eingeschränkt. Auch Veto-Akteure wie das Sicherheitskabinett und der Kongress vereitelten den Ausbau der Beziehungen.

Biden bezeichnet nun Russland als größten Feind der USA und Putin als "KGB-Gangster". Mangott vermutet deshalb, dass er die Sanktionen gegenüber Russland beibehalten oder sogar verschärfen wird. Daraus ergeben sich drastische Folgen für die russische Wirtschaft. Putin wird aggressiv gegenüber den USA reagieren. Im schlechtesten, aber eher unwahrscheinlichen Fall, führt das zu einer militärischen Auseinandersetzung. Hakan Akbulut von der Technischen Universität Kaiserslautern plädiert deshalb für eine neue Abrüstungspolitik.

Schließung des Gefangenenlagers Guantanamo

Innenpolitisch wird Biden in den kommenden Monaten Guantanamo Bay beschäftigen. "Warum schließt man Guantanamo nicht?", fragt Johannes Artz, Politikwissenschaftler von der Technischen Universität Kaiserslautern. Für eine Schließung spricht das amerikanische Freiheitsideal. Dem gegenüber steht das Bedürfnis nach Sicherheit. Bereits Obama versuchte, Guantanamo zu schließen. Der Kongress jedoch ließ das Vorhaben mit seinem Budgetrechts scheitern. Außerdem ist der Verbleib der inzwischen nur noch 40 Gefangenen seit Jahren ein Streitpunkt. Nach dem Motto "not in my backyard" weigern sich die Bundesstaaten, Gefangene aufzunehmen. Anfragen an das Ausland waren bisher wenig ergiebig. Biden, Vizepräsident unter Obama, kündigte an, Guantanamo im Rahmen seiner Präsidentschaft zu schließen. Anja Opitz, Expertin für internationale Politik und Sicherheitspolitik, plädiert grundsätzlich dafür, innovative Wege zu gehen. "Ansonsten werden wir in fünf Jahren bei einer Tagung über die gleichen Dinge sprechen."

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