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Missbrauchte Heimat

Volkskultur im Nationalsozialismus

Die Nationalsozialisten haben den Begriff "Heimat" nachhaltig in Misskredit gebracht. Die Online-Tagung "Missbrauchte Heimat: Volkskultur im 'Dritten Reich'" der Akademie für Politische Bildung und der Fachberatung Heimatpflege des Bezirks Oberbayern hat sich damit auseinandergesetzt, wie der Heimat-Begriff in verschiedensten Teilen des gesellschaftlichen Lebens als Propaganda-Träger diente. Außerdem wurde diskutiert, ob und wie Demokraten sich mit dem Heimat-Begriff beschäftigen sollten.

Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 20.05.2021

Von: Antonia Schatz / Foto: Antonia Schatz

Programm: Missbrauchte Heimat

Missbrauchte Heimat

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"Will man die Rolle der Volkskunde in der Zeit des Nationalsozialismus zusammenfassen, muss man feststellen, dass sich unsere Vorfahren im Feld oft vor den Karren der Machthaber haben spannen lassen", sagt Heidrun Alzheimer von der Universität Bamberg. Die Volkskunde wurde als Hilfswissenschaft instrumentalisiert, um die Ideologie der Nazis zu stützen. Die Online-Tagung "Missbrauchte Heimat" der Akademie für Politische Bildung und des Bezirksheimatpflegers von Oberbayern, Norbert Göttler, hat sich mit dem Missbrauch des Heimat-Begriffs durch die Nationalsozialisten und die Neue Rechte beschäftigt. Außerdem ging es um die Frage, wie man sich von einem demokratisch-liberalen Standpunkt aus dem Thema Heimat nähern kann.

Volksmusik, Heimatfilm und Heimatkunst als Propagandaträger

Nicht nur die Volkskunde wurde von den Nationalsozialisten zu Propaganda-Zwecken benutzt: "Alles Volkstümliche wird im NS-Staat verklärt und politisch instrumentalisiert. Volkslied und Volksmusik waren tragende Säulen der Blut- und Boden-Ideologie, genau wie die Begriffe Volkstum und Heimat", sagt Elisabeth Tworek, Leiterin der Abteilung Kultur und Bildung beim Bezirk Oberbayern. Volksmusik, Heimatfilme und Heimatkunst, aber auch Tourismus und sogar das Weihnachtsfest wurden zur Verbreitung von Propaganda und zur Schaffung eines ideologisch aufgeladenen Heimat-Begriffes politisiert und umgedeutet.

Tobias Grill, Musikwissenschaftler und Geschäftsführer des Katholischen Kreisbildungswerks Mühldorf berichtet im Bereich der Volksmusik von einer schleichenden Gleichschaltung und Umdeutung des Heimatverständnisses "weg von Regionalitäten, hin zu einer Großen Deutschen Idee". Dafür wurde vor allem das Volkslied genutzt, mit dem Liedtext als Hauptträger der identitätsstiftenden Symbolik, der Propaganda. Singen in der Gruppe sei nicht nur integraler Teil der nationalsozialistischen Kultur gewesen, sondern auch ein Grundpfeiler der Identitätsbildung und Meinungsfindung. Musikausübung ohne staatliche Kontrolle war kaum mehr möglich. Zum einschlägigen NS-Repertoire gehörten auch Lieder, die man teilweise heute noch als "echte Volkslieder" kennt. Das liege daran, erklärt Grill, dass die Instrumentalisierung der Volksmusik nach 1945 meist verschwiegen wurde. Nach dem Krieg wurde das Heimatbild der Nazis "eigentlich bruchlos weitergeführt". Es sei eine verbreitete Meinung, dass sich die Volksmusik nie politisch instrumentalisieren habe lassen. Es gibt jedoch in Österreich bereits zahlreiche fundierte Studien, die das Gegenteil beweisen, sagt Grill.

Zugleich wurde der Heimatfilm unter den Nationalsozialisten vom Nischenprodukt zum Leitmedium, erklärt der Kulturkritiker und Autor Georg Seeßlen. Das Genre habe seinen Ursprung in Bergfilmen, die in der Weimarer Republik ein Gegengewicht zu Stadtfilmen bildeten. Diese waren zwar nicht propagandistisch gemeint, konnten aber gut umgedeutet werden, da der Heimatfilm "den ideologischen Tendenzen der Nazis durchaus entgegenkam". Die grundsätzliche Dramaturgie ist immer gleich, nämlich, dass die Heimat bedroht ist. "Und da haben wir schon ein Einfallstor für die Ideologie: Wer bedroht die Heimat?", fragt Seeßlen. So werde eine Konfliktsituation geschaffen: "Jede Geschichte, die der Heimatfilm erzählt, erzählt im Grunde das Werden dieser Identität und wer identisch ist, und wer nicht dazugehört. Und so baut der Heimatfilm Feindbilder auf, die der Ideologie der Nationalsozialisten entsprechen."

Auch das Konzept der Heimatkunst wurde nationalsozialistisch umgedeutet: Während Heimatkunst ursprünglich Kunst meint, die die Heimat des jeweiligen Künstlers widerspiegelt, ändert sich die Bedeutung im "Dritten Reich" zum "Kunstschaffen, das auf ideologischer Ebene dem NS-Staat dient", erklärt Thomas Schindler vom Bayerischen Nationalmuseum in München. Adressaten der nationalsozialistischen Heimatkunst waren traditionell Bildungs- und Kunstferne, also die Bevölkerungsmehrheit. Als niederschwelliges, eingängiges Kunstformat eignete es sich besonders gut zur Propagandaverbreitung. "Heimatkunst konstruiert nie dagewesene Kulissen, übersetzt die Flucht aus der Gegenwart in eine retrospektive Ausdrucksform und fußt auf Antimodernismus." Eine politische Prägung habe die Heimatkunst bereits vor der Zeit des Nationalsozialismus besessen: "Bis 1918 kompensierte Heimatkunst die fehlende nationale Identität, in der NS-Zeit visualisierte sie ländliches Leben als Ideal gegen die Republik, jüdische Mitbürger und Mitbürgerinnen und generell gegen die als großstädtisch unnatürlich aufgefassten Lebensverhältnisse in den urbanen Ballungsräumen." Es stelle sich daher die Frage, ob das NS-Regime die Heimatkunst überhaupt missbraucht habe, oder ob es sich einer Kunstform bediente, die per se anschlussfähig an ihre Ideologie war. Nach dem Krieg gelang es vielen in der NS-Zeit gefeierten Heimatkünstlern, durch Änderung ihrer Ausdrucksformen ihre Motive im Geschmack der Zeit zu modernisieren.

Tourismus und Weihnachtsfest im Zeichen der NS-Ideologie

Elisabeth Tworek beschäftigt sich mit der Änderung des Heimat-Begriffs im Tourismus des 19. und 20. Jahrhunderts am Beispiel des Ortes Murnau am Staffelsee. Von Anfang an sei die Unterscheidung des "Eigenen" und des "Fremden" zentral gewesen: Begriffe wie Fremdenverkehrsamt, Fremdenlisten, Fremdenzimmer oder Fremdenführer machen das deutlich. Besonders die vaterländischen Vereine spielen eine große Rolle beim Missbrauch des Heimat-Begriffs. "Ortsgrößen stehen mehreren Vereinen gleichzeitig vor. Sie bilden zwischen Monarchie, NS-Staat und Nachkriegszeit eine Kontinuität." Diese Vereine hatten den Fremdenverkehr seit den 1920er Jahren fest im Griff. "Die Nationalsozialisten missbrauchen das Heimatgefühl, indem sie in Zeiten des Wandels und der Umbrüche mit Heimat Halt, Tradition, Verankerung verbinden. Das Tragen von Dirndl und Lederhose findet darin seinen Ausdruck", erklärt Tworek. In den 1920er Jahren zeigte sich Adolf Hitler in Lederhose und ließ sich auch später gerne mit Kindern in Tracht fotografieren. "Das Tragen von Tracht in der Zeit des Nationalsozialismus, da würde ich von Missbrauch sprechen", sagt Tworek.

Das Gleiche lässt sich von der nationalsozialistischen Weihnacht sagen: Auch hier geschah eine Umdeutung und Politisierung des Weihnachtsfestes, erklärt Esther Gajek von der Universität Regensburg. Ziel sei es gewesen, das Weihnachtsfest zu dechristianisieren und stattdessen neue Bräuche zu schaffen, die Familie mit Volksgemeinschaft verbinden und somit einen direkten Zugang zu schaffen, um Propaganda nach Hause ins Wohnzimmer zu transportieren. Das Weihnachtsfest wurde in Sonnwendfeier umbenannt und das christliche Weihnachtslied "Stille Nacht" ersetzt durch "Hohe Nacht der klaren Sterne", welches bis heute vielen bekannt sei.

Die politische Aufladung des Heimat-Begriffs

Die politische Instrumentalisierung des Heimatkonzepts ist jedoch keine Erfindung der Nationalsozialisten, sondern reicht bis in die Romantik zurück. Damals wechselte im deutschen Sprachgebrauch die Semantik des Wortes "Heimat" von rechtlich-territorial zu bürgerlich-emotional. Dieser Wechsel habe erstmals das Konzept des Fremden in das Wort "Heimat" einfließen lassen, erklärt Ingo Schneider von der Universität Innsbruck. Sowohl die Nationalsozialisten als auch die SED in der DDR nutzten Heimat-Begriffe, um Menschen für ihre jeweilige Gesellschaftsform zu begeistern. "Das bot sich an, weil 'Heimat' für viele Menschen positiv besetzt war", sagt Thomas Schaarschmidt vom Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam über den Heimat-Begriff als Ideologieträger. "Dank seiner Bedeutungsoffenheit konnte man den Heimat-Begriff beliebig rassistisch oder sozialistisch umdeuten."

Diese Bedeutungsoffenheit veranlasst Ingo Schneider zur These, "dass es einen unpolitischen Gebrauch des Heimatkonzepts nicht gibt." Fest macht er das am Beispiel des Bundespräsidentschaftswahlkampf in Österreich im Jahr 2016. Die rechtspopulistische FPÖ beansprucht den Heimat-Begriff seit Jahren für sich. Im Wahlkampf standen sich aber plötzlich ein geschlossenes, statisches, essentialistisches und exkludierendes Heimatbild ihres Kandidaten Norbert Hofer und ein offenes, nicht-statisches, anti-essentialistisches, inkludierendes Heimatbild des Grünen-Kandidaten Alexander van der Bellens gegenüber. "Der Zauber und zugleich die Gefahr des Heimat-Begriffs liegen darin, dass er dafür empfänglichen Menschen verspricht, etwas wiederherzustellen, was es so nie gab", sagt Schneider. Rechte Parteien sind deshalb auf der Überholspur, weil sie es verstehen, den Heimat-Begriff durch die Konstruktion von Bedrohungsszenarien von außen für sich zu nutzen.  Es sei daher eine "vermutlich wahlentscheidende Idee" des Teams um Wahlsieger Alexander van der Bellen gewesen, "den Heimatbegriff bei der Bundespräsidentschaftswahl 2016 nicht den rechten Populisten zu überlassen."

Wie Heimat heute missbraucht wird: die Neue Rechte

Auch Sebastian Enghofer von der Universität Regensburg beschäftigt sich mit der Neuen Rechten. Der zentrale Unterschied zwischen Alter und Neuer Rechten sei "die Einsicht, dass es nicht zwingend eine Machtergreifung braucht, um Ideologie voranzutreiben". Man habe erkannt, dass es in Deutschland nicht aussichtsreich sei, einen positiven Bezug zum Nationalsozialismus herzustellen. Das Gefährdungspotenzial der Neuen Rechten sei aber genau diese Intellektualisierung, die bestimmte Positionen verschleiert. "Das erlaubt es eben, eine größere Gruppe von Menschen der gemäßigten Mitte anzusprechen als bei klassischem Rechtsextremismus." Es gibt deutliche ideologische Kontinuitäten zwischen der Alten und der Neuen Rechten, aber unterschiedliche strategische Ausrichtungen. Das Problem beim Umgang mit Rechtsextremismus heute sei daher immer die Frage: "Wie gehen wir mit rechten Kräften um, die sich legaler Mittel bedienen, um ihre ideologischen Ziele zu verfolgen?" Schließlich sei die NSDAP auch mit legalen Mitteln an die Macht gekommen.

Dass sich Rechtsextremismus immer öfter in einem neuen Gewand, als Wolf im Schafspelz, präsentiert, bestätigt auch Haldor Hron von der Bayerischen Informationsstelle gegen Extremismus am Beispiel der Identitären Bewegung. Bei dieser rechtsextremistischen Gruppierung, sagt Hron, "dürften doch weite Teile der Bevölkerung Probleme haben, diese Leute dem Rechtsextremismus zuzuordnen." Er zeigt ein Bild, auf dem zwei junge Frauen in Liegestühlen und bunten T-Shirts vor einem Infostand zu sehen sind. Lediglich ein kleines Logo auf der Brust zeigt ihre Zugehörigkeit zur Identitären Bewegung. "Man will sich hier bewusst von anderen Arten des Rechtsextremismus abgrenzen: Man spricht anderen Kulturen ihr Existenzrecht nicht ab. Allerdings sollen die verschiedenen Kulturen klar voneinander getrennt bleiben. Aber: Kultur ist nichts Statisches. Das Grundgesetz sagt ja auch ganz deutlich: Wer die deutsche Staatsangehörigkeit erwirbt, wird Teil des Deutschen Volkes." Die Vorstellung eines homogenen "Volkes" und der Missbrauch des Heimat-Begriffs als Propagandaträger werde über die Identitäre Bewegung hinaus in unterschiedlichen Ausprägungen im ganzen rechtsextremistischen Spektrum geteilt und stelle ein verbindendes Element dar.

Annäherung an einen demokratisch-liberalen Heimat-Begriff 

"Vermutlich entspringt das Bedürfnis, wieder mehr über Heimat zu reden der Tatsache, dass sie uns in unserem oft als undurchsichtig und unsicher erscheinenden Alltag als bedroht vorkommt", sagt Daniela Sandner vom Bayerischen Landesverein für Heimatpflege in München. So kann die AfD vor allem in strukturell schwachen Gebieten punkten, wo die Heimat als vergessen, als abgehängt wahrgenommen wird. Kernthema der AfD ist das deutsche Volk, das bewusst in Abgrenzung zu den Ausländern, den Migranten und den Flüchtlingen konstruiert wird. "Diese Strategien funktionieren deshalb so gut, weil ihr Treibstoff Gefühle sind. Heimat wird über Emotionen assoziiert." Es sei die Aufgabe von Heimatvereinen, dafür zu sorgen, dass alle Menschen in Deutschland eine (mentale) Heimat bekommen: "Heimat ist schließlich ein Angebot", sagt Sandner. Auch Haldor Hron sieht alle in der Pflicht, Heimat nicht mehr nur den rechten Kräften zu überlassen: "Wenn man diesem statischen, exklusiven Heimatbegriff einen liberalen Heimatbegriff entgegensetzt, dann können Rechtsextremisten auch solche idyllischen Bilder nicht für sich einnehmen. Das ist die Aufgabe aller Demokraten."

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