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Corona als Beschleuniger?

So verändert die Pandemie unseren Umgang mit Technik

Hat die Coronakrise die Digitalisierung beschleunigt? Wie sind die Corona-Maßnahmen zu bewerten? Welche Auswirkungen hat die Pandemie auf die Gesellschaft? Und wie sieht jetzt gute Krisenkommunikation aus? Darüber haben sich Experten aus Technik, Politik und Soziologie auf der Tagung "Corona als Beschleuniger?" der Akademie für Politische Bildung und acatech - Deutsche Akademie der Technikwissenschaften ausgetauscht.

Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 24.09.2020

Von: Anna-Lena Engelen / Foto: acatech - Deutsche Akademie der Technikwissenschaften

Programm: Corona als Beschleuniger?

acatech - Deutsche Akademie der Technikwissenschaften

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"Corona hat Deutschland einen Digitalisierungsschub verpasst" sagt Dietmar Harhoff, Direktor des Max-Planck-Instituts für Innovation und Wettbewerb. Vor allem in der Telemedizin sei die Dringlichkeit der Digitalisierung sichtbar geworden. Denn zu Zeiten von Corona ist es sinnvoll, nicht für jedes Rezept eine Arztpraxis aufzusuchen, sondern es digital zu erhalten. Wie die Digitalisierung durch die Coronakrise vorangeschritten ist und wie sich diese Entwicklung auf die Gesellschaft und die Wirtschaft auswirkt, haben Harhoff und andere Experten für Technik und gesellschaftlichen Wandel in der Tagung "Corona als Beschleuniger?" der Akademie für Politische Bildung und acatech - Deutsche Akademie der Technikwissenschaften diskutiert.

Beschleunigung der Digitalisierung

"Corona erzwingt eine Ad-hoc-Digitalisierung im Bildungswesen hin zu vollständigem Online-Unterricht" sagt Michael Zwick, Technik- und Umweltsoziologe der Universität Stuttgart. Er beobachtet durch Corona eine hochgradige und alternativlose Digitalisierung im privaten, beruflichen und öffentlichen Leben. Während die Deutschen vor der Coronakrise der Digitalisierung skeptisch gegenüberstanden, sehen viele die Digitalisierung jetzt als Chance. Diese Beobachtung teilt auch Dietmar Harhoff: "Plötzlich gibt es eine unfreiwillige Zunahme an Nutzung und Akzeptanz digitaler Technologien." Harhoff ist sich sicher, dass sich die Digitalisierung nach der Pandemie aus betriebswirtschaftlichen Gründen durchsetzen wird. Ein Unternehmen spart enorm viel Geld, wenn beispielsweise Dienstreisen durch digitale Konferenzen ersetzt werden.

Die Corona-Pandemie treibt auch die Digitalisierung der Tagungen an der Akademie voran. Einige Referenten wurden per Zoom in den Hörsaal geschalten. Darunter Claudia Eckert, Leiterin des Fraunhofer-Instituts für Angewandte und Integrierte Sicherheit. Sie sieht in der rasanten Digitalisierung, die Harhoff und Zwick beschreiben, eine Gefährdung der digitalen Souveränität. Vor allem beim Home-Office müsse sicheres, mobiles Arbeiten ermöglicht und vertrauenswürdige Datennutzung garantiert werden. Diese Herausforderungen sind nicht neu, betont sie. Jedoch hat Corona die Handlungsdringlichkeit verdeutlicht.

Kommunikation in der Krise

Die Coronakrise führt eine Beschleunigung in der Digitalisierung herbei, doch wodurch zeichnet sich die Krise aus? "Eine Krise ist erst real, wenn über sie berichtet wird", zitiert Ortwin Renn, Geschäftsführender Wissenschaftlicher Direktor des Institute for Advanced Sustainability, den Soziologen Niklas Luhmann. Gerade in der Coronakrise ist Kommunikation zentral, um die Gefahr des Virus darzustellen. "Das Coronavirus ist nicht sichtbar. Man sieht die Konsequenzen, aber nicht den Aggressor", sagt Renn. Weil das Virus und die damit einhergehende Gefahr nicht unmittelbar erkennbar sind, kursieren Spekulationen und Verschwörungstheorien. Nur eine gute Krisenkommunikation kann das Vertrauen in die staatlichen Institutionen aufrecht erhalten.

Renn empfiehlt deshalb, bei Aussagen über das Coronavirus auf Plausibilität und Verhältnismäßigkeit zu achten. Abstrakte Zahlen über die Infektionsverbreitung sind weniger hilfreich als anschauliche Beispiele. Die Verbreitung des Virus lässt sich anhand eines Kaufhauses in Berlin erklären, das im Schnitt 10.000 gesunde Menschen und fünf Infizierte pro Tag betreten. Aber niemand weiß, wer die fünf Infizierten sind. "Die Pandemie ist nicht komplex", sagt Renn. Im Vergleich zum Klimawandel erscheint sie recht simpel, ebenso die Gegenmaßnahmen. Jedoch zwingt uns die Pandemie zu komplexen Abwägungsfragen und es entstehen Sekundäreffekte aus den Folgen und Maßnahmen. Diese treffen zum Beispiel die Gastronomie, die aufgrund der Pandemie und des Lockdowns schließen musste und nun über Einbußen klagt. Die Kommunikation in der Coronakrise wird von einem Kampf um die Deutungshoheit geprägt. Besonders vehement wird er von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ausgetragen. "Christian Drosten ist mittlerweile fast bekannter als Angela Merkel", scherzt Renn.

Vergesundheitlichung als Totschlagargument

Neben einer guten Krisenkommunikation kommt es bei der Bekämpfung der Pandemie auch auf die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen an. "Vergesundheitlichung kann ein Totschlagargument sein", warnt Jessica Heesen vom internationalen Zentrum für Ethik in den Wissenschaften. Der Schutz vor Krankheiten dürfe nicht zu einem alles übersteigenden Gebot werden. Die Dominanz dieser Thematik sei ein Problem für die demokratische Wertordnung. "In einer Demokratie gibt es keine Optimierung nach einem bestimmten Schema, sondern das Schema selbst wird ausgehandelt", sagt Heesen. Es könne nicht einfach eine Ausgangsperre verhängt werden. Verordnungen müssten immer wieder neu verhandelt werden. Den Kontextbezug betrachtet Heesen ebenso als notwendiges Elemente der Krisenbewältigung. Je nach Anzahl der Infizierten und Kapazitäten der Krankenhäuser unterscheiden sich die Corona-Maßnahmen der Bundesländern zurecht.

So wirkt Corona auf die Gesellschaft

Ursula Münch, Direktorin der Akademie für Politische Bildung hält die Corona-Pandemie für eine vertrauensbildende Erfahrung für die Gesellschaft. Die meisten Menschen haben das Gefühl, dass die Politik zu ihrem Schutz handelt. Dennoch lassen sich die Auswirkungen der Pandemie auf die Bevölkerung nicht verallgemeinern. Jede gellschaftliche Gruppe nehme diese anders wahr.


Videos

Corona als Beschleuniger? Ortwin Renn (Institute for Advanced Sustainability Studies)

Corona als Beschleuniger? Jessica Heesen (Eberhard Karls Universität Tübingen)

Corona als Beschleuniger? Dietmar Harhoff (Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb)

Corona als Beschleuniger? Karl-Peter Repplinger

Corona als Beschleuniger? Michael Decker (Karlsruher Institut für Technologie)

Corona als Beschleuniger

Flickr-Galerie © Akademie für Politische Bildung Tutzing. Bitte klicken Sie auf das Foto, falls die Galerie nicht lädt. Sie werden zu Flickr weitergeleitet.

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