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Stillstand und Bewegung in der Filmindustrie

Filmgespräch am See zu Produktionen in Zeiten von Corona

Corona hat die Filmindustrie zum Stillstand gebracht. Wochenlange Drehstopps brachten Arbeitslosigkeit für Schauspieler und Unsicherheit für Produzenten - aber auch Ruhe und Kreativität für Drehbuchautoren. Nun geht es wieder aufwärts. Bewegtbild ist die Zukunft. Doch während  Steamingdienste boomen, kämpft das Kino ums Überleben. Über die Filmbranche in Zeiten der Corona-Pandemie haben Schauspielerin Nina Hoss, Regisseurin und Drehbuchautorin Katrin Gebbe und UFA-Chef Nico Hofmann im Rahmen des Fünf Seen Filmfestivals beim Filmgespräch am See in der Akademie für Politische Bildung diskutiert.

Tutzing / Kultur / Online seit: 11.09.2020

Von: Beate Winterer / Foto: Beate Winterer

Programm: Filmgespräch am See

Fünf Seen Filmfestival

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Nina Hoss fühlt sich "ausgebremst". "Alles wurde abgesagt oder verschoben. Ich kann mich nicht mehr ausdrücken. Ich bin nur noch ein halber Mensch, wenn der Austausch mit dem Publikum fehlt", sagt die mehrfach preisgekrönte Theater- und Filmschauspielerin und Trägerin des Hannelore-Elsner-Preises 2020. Katrin Gebbe, Autorin und Regisseurin des Films "Pelikanblut" (mit Nina Hoss), bestätigt das: "Der Kinostart sollte eigentlich im März sein. Wir nahmen so richtig Fahrt auf, alles konzentrierte sich auf diesen Termin. Und dann passiert plötzlich nichts mehr. Ich war einfach nur traurig." Beim Filmgespräch am See haben die beiden im Rahmen des Fünf Seen Filmfestivals an der Akademie für Politische Bildung über Stillstand und Bewegung der Filmindustrie in Corona-Zeiten diskutiert. Mit ihnen auf dem Podium: Sylvia Griss vom Bayerischen Rundfunk und Nico Hofmann, Regisseur und Chef der UFA-Filmproduktion in Babelsberg.

Rettungsschirme reichen nicht

"Seit dem schnellen Lockdown im März arbeitet die UFA weitgehend im Homeoffice. Es gab eine große Solidarität und extrem enge Kooperation innerhalb der Produzentenallianz. Im Moment können 80 Prozent der Produktionen gedreht werden", sagt Hofmann. Die Rahmenbedingungen unter Corona seien zwar schwierig. Alles werde teurer und gehe langsamer. Aber das TV-Geschäft habe man "im Griff". Der Corona-Fonds für Kultur betrage rund 50 Millionen Euro: "Die Monika (Kulturstaatsministerin Grütters, Anm. d. Red.) hat da viel für uns getan." Hofmann gab zu, dass die Existenzsicherung für Selbständige trotz der Rettungsschirme der Politik im Moment schwierig sei: "Das Geld reicht nicht. Die Kultur hat innerhalb der Corona-Hilfsfonds genau den Stellenwert, den Kultur in der Politik generell hat. Erst mal kommt Mercedes-Benz, dann das Gorki-Theater." Was fehle, sei ein Ausfallfonds für Produktionen, der einspringt, wenn die Dreharbeiten wegen Corona-Infektionen im Team unerbrochen werden müssen. "Gerade kleinere Betriebe können die Kosten für einen Produktionsstopp nicht tragen. Das

Wegfall aller Aufträge

Nina Hoss ergänzte, dass derzeit internationale Co-Produktionen praktisch unmöglich seien und beklagte, dass Schauspieler komplett aus allen Rettungsprogrammen herausfielen: "Da bleibt dann nur Arbeitslosengeld oder Grundsicherung. Da Schauspieler nicht als 'Kreative' eingestuft werden, sind wir auch nicht in der Künstlersozialkasse. Ich würde die Monika auch gern mal treffen", sagte die Schauspielerin. Denn es fielen ja alle Aufträge weg: Film, Theater und Fernsehen.

Einen gewissen Vorteil in der Krise sieht Autorin Katrin Gebbe: "Ich konnte mit mehr Ruhe und konzentrierter schreiben als sonst. In normalen Zeiten saß ich auch viel am Schreibtisch allein zu Haus. Zum Glück hatte ich noch eine Drehbuchförderung. Ich lebe ja vom Stoffentwickeln, nicht vom Produzieren." Anders bei ihrem Lebenspartner, der Kameramann ist: "Der kriegte irgendwann die Panik. Er lebt davon, dass er gebucht und gemocht wird." Zwischenzeitlich habe er sogar überlegt, zum Koch umzuschulen, um wieder einer Beschäftigung nachzugehen.

Kinokrise verschärft

Nina Hoss erlebt derzeit eine "Wartesituation", die sie nicht sehr hoffnungsvoll stimmt. Sie glaubt, dass sich die Krise des Kinos verschärfen wird: "Den Rückgang der Kinobesuche gab es vor Corona auch schon." Das werde sich verstetigen. Filmangebote durch Streamingdienste bekamen während der letzten Monate einen ungeheuren Aufschwung. Selbst Hofmanns 84-jährige Mutter streame inzwischen Filme. Katrin Gebbe bedauert, dass sie bei Kinobesuchen kaum noch junge Leute sieht: "Da gehöre ich mit 37 oft schon zu den Jüngsten." Hofmann, der auch als Professor an Filmhochschulen lehrt, ergänzte, dass "sogar die Hälfte meiner Studierenden nicht mehr ins Kino geht." Gebbe wünscht sich deshalb eine Filmerziehung wie in Frankreich. Schon in der Schule solle der Umgang mit Filmen als Kunst vermittelt werden. "Das sind gesellschaftliche Fragen", findet Gebbe.

Hoss will aber Kino und Filme gucken auf dem Sofa daheim nicht gegeneinander ausspielen. "Aber es ist eben was Besonderes, wenn ich im dunklen Kino ohne Ablenkung und Störung zwei bis drei Stunden in eine andere Welt abtauche und nach dem Film als anderer Mensch wieder herauskomme." Mainstreamfilme und Arthouse-Kino gehörten zusammen. "Arthouse muss auch ohne Massenpublikum möglich sein", sagte sie. Hofmann bestätigte, dass Arthouse-Filme für die Förderung junger Talente existentiell seien. Christian Schwochow sei so ein Beispiel. Ohne die Anfänge als Arthouse-Filmemacher hätte er seine inzwischen internationale Karriere nie beginnen können.

Boom der Streaming-Dienste

Trotz aller aktuellen Probleme gibt es für Hofmann keinen Grund zur Depression: "Es geht schnell wieder aufwärts. Der Bewegtbildsektor wird boomen und es wird eine Beschleunigung ohne Ende geben." Gebbe ist ebenfalls optimistisch, auch wenn sie meint, dass Streaming-Dienste die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten als Auftraggeber ablösen werden. "Vor allem das Kino wird kämpfen müssen", sagte sie.

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7. Filmgespräch am See

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