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Die Meinungsfreiheit und ihre Grenzen

Forum Verfassungspolitik mit Hans-Jürgen Papier

Meinungsfreiheit ist ein Grundrecht. Aber wo hat sie ihre Grenzen? Und wie können diese im Internet kontrolliert werden? Das "Forum Verfassungspolitik" mit dem ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgericht Hans-Jürgen Papier hat über Beleidigungen, Zensur und das Netzwerkdurchsuchungsgesetz diskutiert.

Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 06.07.2020

Von: Janina Böttger / Foto: Janina Böttger

Programm: Forum Verfassungspolitik: Meinungsfreiheit

Forum Verfassungspolitik: Meinungsfreiheit - Ein Grundrecht im Meinungsstreit

Flickr-Galerie © Akademie für Politische Bildung Tutzing. Bitte klicken Sie auf das Foto, falls die Galerie nicht lädt. Sie werden zu Flickr weitergeleitet.

Muss Meinungsfreiheit in Zeiten des Internets neu gedacht werden? "Nein", sagt der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier. "Unsere Standards haben sich über die Jahrzehnte bewährt. Das Internet ist kein rechtsfreier Raum." Beim Forum Verfassungspolitik diskutierte er in diesem Jahr mit Experten unter dem Titel "Meinungsfreiheit - Ein Grundrecht im Meinungsstreit". Aufgrund der Corona-Pandemie fand die Veranstaltung nicht in der Akademie für Politische Bildung, sondern online statt.

Gilt die Meinungsfreiheit auch im Netz?

Papier unterstützt die weitläufige Auslegung des Gesetzgebers von Meinungsfreiheit. Entscheidend für dessen Bewertung einer Aussage ist: Vor welchem Hintergrund wurde sie getroffen? Beschäftigt sie sich im Speziellen mit der Thematik? War die Botschaft vulgär gemeint? Uwe Volkmann von der Goethe-Universität Frankfurt stellt jedoch infrage, dass dabei immer die abwegigsten Deutungsmöglichkeiten zugrunde gelegt werden müssen. Ebenso bezweifelt er, dass anonyme Äußerungen - wie sie häufig im Netz getätigt werden - überhaupt vom Grundrecht der Meinungsfreiheit in Artikel 5 gedeckt werden.

Netzwerkdurchsuchungsgesetz gegen Hetze

Im Herbst 2017 wurde das Netzwerkdurchsetzungsgesetz verabschiedet, das die Rechtsdurchsetzung in den Sozialen Medien verbessern soll. Unter anderem verpflichtet es die Anbieter, rechtswidrige Inhalte zu löschen und an das Bundeskriminalamt zu melden. Papier kritisiert die vielen Regelungen und Einschränkungen. Sie würden Bürger verunsichern, ihre Meinung öffentlich zu sagen, was letztendlich die Meinungsfreiheit einschränke. Georg Eisenreich, Bayerischer Staatsminister für Justiz, befürwortet hingegen einen aktiven Kampf gegen Beschimpfungen und Hetze im Netz mithilfe des Netzwerkdurchsuchungsgesetzes. Zwar soll jeder seine Meinung frei äußern dürfen, allerdings ohne die Ehre anderer zu verletzen. "Es kann nicht sein, dass Menschen aus Sorge vor Anfeindungen oder Übergriffen ihre öffentliche Meinung nicht mehr sagen", erklärt er. Das Recht habe die Aufgabe und Möglichkeiten, den Respekt untereinander hochzuhalten und die Achtung des Einzelnen zu schützen. So könne es auch einen "edukatorischen Effekt" erzielen und klarstellen, dass die Rechtsprechung bei Hass und Hetze im Netz nicht tatenlos zusieht.

Zensur im Netz

Grundsätzlich unterstützt Papier die Neuregelung von Verfahren durch den Gesetzgeber, aber die Kontrolle der Rechtmäßigkeit dürfe keinesfalls in private Hände wie die von Google oder Facebook gegeben werden. Obwohl Eisenreich das Netzwerkdurchsuchungsgesetz für einen Fortschritt im Kampf gegen Hass und Hetze sieht, warnt auch er vor der Gefahr, Monopolisten könnten es zur Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit missbrauchen. Von Werbekunden kann Zensur bei Google und Facebook aktiv gesteuert werden, indem sie für das Löschen bestimmter Meinungen zahlen. Der Verleger Wolfram Weimer befürchtet hingegen, dass Netzwerkbetreiber aus Angst vor Strafen "zu viele Dinge löschen, die man gar nicht löschen muss" und spricht beim Netzwerkdurchsuchungsgesetz von einem der größten, staatlichen Zensureingriffe in Deutschland.

Nachjustieren notwendig

Volkmann fordert, die Kriterien für Meinungsfreiheit im Netz zu verschärfen, um Rechtsverletzungen zu unterbinden. Es müsse über ein "Recht zum Gegenschlag" diskutiert werden - zum Beispiel in Form einer Strafanzeige bei persönlichen Verletzungen. Eisenreich denkt ebenfalls über ein Beleidigungsstrafrecht nach. "Die Diskussionskultur verändert sich, das Klima vergiftet sich", kritisiert er die Stimmung in den Sozialen Netzwerken. Auch Papier beobachtet einen aggressiveren Ton als noch vor einigen Jahren. Zwar hätte es auch in den 1960er bis 1980er Jahren messerscharfe Äußerungen gegeben, aber seitdem haben sich Verbreitungsformen geändert. Im Internet fehle eine effiziente Durchsetzung seitens des Gesetzgebers. Trotz veränderter technologischer Mittel muss die staatliche Justizgewährung gesichtert sein,also die Möglichkeit für den Einzelnen, zu jeder Zeit ein Gericht anzurufen. Ob bundes - oder europaweit, es bedarf Änderungen der Gesetze, um die Meinungsfreiheit zu gewährleisten und Diversität weiterhin eine Stimme zu geben.

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