Bürokratie als Maschinerie des Staates
Die Rolle der Verwaltung für Gesellschaft und Demokratie
Die Bürokratie kämpft mit einem schlechten Image. Beamtendeutsch und Ineffizienz sind nur zwei Schlagworte ihrer Kritiker. Ist Bürokratie überhaupt notwendig oder lähmt sie die Demokratie? Die Rolle der Verwaltung für die Gesellschaft und die Demokratie war das Thema der politisch-philosophischen Fachtagung "Die Maschinerie des Staates" in der Akademie für Politische Bildung.
Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 30.01.2020
Von: Beate Winterer / Foto: Beate Winterer
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"Gesellschaft und Bürokratie sind nicht zu trennen", sagt Berthold Vogel vom Soziologischen Forschungsinstitut Göttingen (SOFI) an der Georg-August-Universität. Eine funktionerende Verwaltung orientiert sich an den Universalien der Gesellschaft und stellt Partikularinteressen zurück. "Das kann für Betroffene frustrierend sein, aber es ist auch ein Ausdruck der Herrschaft von Recht und Verfahren und der Freiheit von Willkür und persönlichen Beziehungen", erklärt der Soziologe. Mit Vertretern seines Fachs, der Politikwissenschaft und der Philosophie hat er in der Akademie für Politische Bildung in der politisch-philosophischen Fachtagung "Die Maschinerie des Staates" (so wird die Bürokratie sinnbildlich genannt) über die Bedeutung der Verwaltung für die Demokratie diskutiert.
Der Soziologe Julian Müller von der Ludwig-Maximilians-Universität beschreibt die moderne Gesellschaft als eine bürokratisch verfasste Gesellschaft. Die Bürokratie ist daraus genauso wenig wegzudenken wie Geld oder technologischer Fortschritt. "Die Verwaltung erweckt die Verfassung zum Leben", umschreibt Vogel die Rolle der Bürokratie. Ohne Verwaltungsmitarbeiter, die ihre Aufgabe ernst nehmen sei eine Verfassung nichts wert. Das habe die Weimarer Republik gezeigt. "Verwaltung und Verfassung haben damals nicht zusammengefunden."
Beamtendeutsch erschwert und erleichtert Verwaltung
Heute scheint es oft, als würden Bürger und Bürokratie nicht zusammenfinden. Vor allem das Beamtendeutsch wird als unverständlich und lebensfremd kritisiert. "Die Sprache entkoppelt sich von der Alltagssprache", sagt Müller. Nicolai Dose von der Universität Duisburg-Essen hält den Fachjargon dennoch für unverzichtbar: "Sie erleichtert die Kommunikation in der Behörde und macht sie effizienter. Schriftsätze wären sonst viel länger." Dose hält es jedoch für unerlässlich, dass Verwaltungsmitarbeiter Bürger und Unternehmen beraten, beispielsweise beim Ausfüllen von Formularen.
Bürger und Bürokraten: ein gutes Verhältnis
Obwohl die Bürokratie mit einem negativen Image kämpft, sind die Bürger überwiegend zufrieden mit der öffentlicher Verwaltung und berichten von positiven Kontakten mit deren Mitarbeitern. Daniela Strüngmann von der Universität Duisburg-Essen hat dieses Paradoxon untersucht. Sie fand heraus, dass über die Einstellung gegenüber der Verwaltung nicht der letzte Kontakt entscheidet, sondern Kontakte in existenziellen Lebenssituationen, zum Beispiel bei Arbeitslosigkeit oder einem Hausbau. Begegnet das Verwaltungspersonal Bürgern in solchen Situationen freundlich und hilfsbereit, hinterlässt das einen langfristigen positiven Eindruck. Ob der Bürger am Ende auch mit der Leistung zufrieden ist (also bekommt, was er will), ist zweitrangig. "Wichtiger ist die Gesetzestreue der Verwaltung. Dass sie die Regeln befolgt", sagt Strüngmann. Ihre Forschung zeigt, dass die Bürokratie eine wichtige Quelle für die Legitimität des Staates darstellt und er die Kontakte zwischen Bürgern und Bürokratie positiv nutzen kann.
Technokratisierung als politische Strategie
Nicht zu verwechseln mit der Bürokratie, der Herrschaft der Verwaltung, ist die Technokratie, die Herrschaft von Sachverständigen. Immer wieder werden Forderungen laut, schwierige politische Entscheidungen Experten zu überlassen, die sachlich, rational und wissensbasiert abwägen. Sogar über ein gestuftes Wahlrecht, das politische Bildung honoriert, haben Theoretiker schon nachgedacht. "Aber die Technokratisierung beruht auf einer anderen Logik als die demokratische Wahl", sagt Astrid Séville, die an der Ludwig-Maximilians-Universität München dazu forscht. Bei der Setzung gesellschaftlicher Ziele verzichtet die Technokratie auf Ideologie und demokratische Willensbildung zugunsten einer effektiven Planung. Dennoch sind Demokratie und Technokratie keine Gegensätze. Bereits seit den 60er Jahren beraten wissenschaftliche Beiräte deutsche Ministerien. In den vergangenen Jahren kamen viele Unternehmens- und Rechtsberatungsunternehmen dazu. Tendenz steigend. Séville versteht diese Technokratisierung nicht in erster Linie als Depolitisierung, sondern als Herrschaftstechnik. "Die Politik verschiebt die Verantwortung auf andere", sagt die Politikwissenschaftlerin, die darin auch eine Instrumentalisierung der Wissenschaft sieht.