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Energiewende 2.0

Sauber, sicher und bezahlbar?

Strom-, Wärme- und Mobilitätswende sind die Eckpfeiler einer nachhaltigen Klimapolitik. Doch wie gelingt diese Wende? Welche Hürden stehen ihr im Weg? Und wer bezahlt dafür? Über diese Fragen haben wir mit Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft in der Tagung "Energiewende 2.0" gesprochen, die wir mit der Petra-Kelly-Stiftung veranstaltet haben.

Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 30.11.2019

Von: Beate Winterer

Programm: Energiewende 2.0

Petra-Kelly-Stiftung

Energiewende 2.0

Flickr-Galerie © Akademie für Politische Bildung Tutzing. Bitte klicken Sie auf das Foto, falls die Galerie nicht lädt. Sie werden zu Flickr weitergeleitet.

Photovoltaikanlagen auf Dächern, Wänden und Straßen, drei Meter breite Radwege in Städten und Batterien von Elektroautos als kurzfristige Speicher für überschüssige Wind- und Sonnenenergie: So könnte sie aussehen, die Energiewende 2.0. Noch sind Deutschland und Europa weit davon entfernt. Sebastian Oberthür von der Vrije Universiteit Brussel spricht von einer "nachlaufenden Untersteuerung". Die Politik mache im Vergleich zu wissenschaftlichen Empfehlungen konstant ein Drittel zu wenig, um ihre Ziele zum Ausbau erneuerbarer Energien zu erreichen. Wie die Energiewende trotzdem noch gelingen kann, haben die Akademie für Politische Bildung und die Petra-Kelly-Stiftung in der Tagung "Energiewende 2.0" mit Vertretern aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Energieunternehmen diskutiert.

Klimaneutrales Europa bis 2050?

Der European Green Deal sieht ein klimaneutrales Europa bis 2050 vor. Bis 2020 soll der Ausstoß an Treibhausgasen um 40 Prozent unter das Niveau von 1990 sinken, bis 2050 um 80 bis 95 Prozent. Der Anteil der erneuerbaren Energien am Bruttostromverbrauch soll bis 2050 auf 80 Prozent steigen. Experten halten dieses Ziel für erreichbar, da schon jetzt rund 38 Prozent des deutschen Stroms aus erneuerbaren Energien erzeugt wird. Anders ist die Situation in den Bereichen Wärme und Verkehr. Der Anteil der Erneuerbaren im Wärmesektor liegt gerade einmal bei 14 Prozent, im Verkehrsbereich bei fünf Prozent. "Wir sind in einer Situation, in der wir wissen, was wir tun müssten: konsequent Erneuerbare ausbauen. Aber das Gegenteil geschieht", sagt Manfred Fischedick vom Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie.

Sonne oder Wind - woher kommt der Strom der Zukunft?

Vor allem der Ausbau der Onshore-Windenergie ist ins Stocken geraten. Das liegt an Bürgerinitiativen, die gegen Windräder kämpfen, aber vor allem an der geplanten Abstandsregelung, die Windräder künftig nur noch mindestens 1000 Meter von Siedlungen (ab fünf Gebäuden) entfernt erlaubt. "Dadurch gibt es kaum noch Möglichkeiten, Windräder zu bauen", sagt Fischedick. Das macht die Energiewende noch schwieriger, unmöglich ist sie dennoch nicht. Krisztina André vom Bündnis Bürgerenergie sieht neben Windenergie Photovoltaikanlagen als Schlüssel zu einer dezentralen Energiewende. Jeder Quadratmeter Photovoltaikanlage erzeugt laut André jährlich die Energie, die ein Elektroauto für 1000 Kilometer benötigt. Die Fläche für mögliche Photovoltaikanlagen ist riesig: jedes Dach, viele Gebäudefassaden und sogar Schallschutzwände an Autobahnen eignen sich. Als kurzfristige Speicher könnten auch Batterien von Elektroautos dienen, die über bidirektionale Ladestationen mit dem Stromnetz verbunden sind. "Die Energie- und Mobilitätswende ist mit Erneuerbaren bis spätestens 2030 möglich", glaubt André.

Sonnen- und Windenergie allein hält Markus Lieberknecht, Pressesprecher beim Stromnetzbetreiter Tennet, nicht für ausreichend. Um Engpässe an regnerischen und windstillen Tagen zu überbrücken, brauche es weiterhin Kraftwerke. Die Planung der Stromproduktion werde durch Photovoltaik- und Windanlagen sehr viel schwieriger als früher. "Wir brauchen extrem gute Wetterprognosen, um abschätzen zu können, wie viel Strom wir aus Kraftwerken kaufen müssen. Dafür nutzen wir viele Quellen, unter anderem auch die Wetterdaten, die moderne Autos erheben", sagt Lieberknecht. Außerdem pocht er auf den Ausbau des Hochspannungsnetzes von Nord- nach Süddeutschland, den das Bündnis Bürgerenergie vermeiden möchte.

Wer bezahlt die Energiewende?

Robert Brandt von der Agentur für Erneuerbare Energien beschäftigt sich mit der Wärmewende. Damit diese gelingt, müssten neben Photovoltaikanlagen und Windrädern auch mehr Biogasanlagen gebaut werden - und das Fernwärmenetz erweitert. "Bisher erreicht Fernwärme nur fünf Prozent des Wohngebäudebestands in Deutschland", sagt Brandt. Für den Fernwärmeausbau bestehen bisher kaum Anreize, denn der Ölpreis ist im langjährigen Vergleich niedrig. "Das liegt daran, dass die Folgen nicht eingepreist sind", erklärt Brandt.

"Vor allem die Umwelt- und Gesundheitskosten trägt aktuell nicht der Verursacher, sondern die Allgemeinheit", bestätigt Kai Schlegelmilch vom Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft. Er plädiert dafür, diese Kosten zu internalisieren, beispielsweise in die Preise von Heizöl und Flugtickets. "Falsche Preise führen zu Marktversagen, weil sie falsche Kauf- und Produktionsentscheidungen begünstigen", erklärt Schlegelmilch. Vor allem im Bereich Verkehr sieht Schlegelmilch Möglichkeiten, umweltschädliche Subventionen und steuerliche Begünstigungen abzubauen. Er schlägt vor, auf internationale Flüge die Mehrwertsteuer zu erheben, Subventionen für Regionalflughäfen und steuerliche Begünstigungen für Dienstwagen abzuschaffen und die Pendlerpauschale durch eine Härtefallregelung für die wenigen Geringverdiener mit langen Arbeitswegen zu ersetzen. "Natürlich muss man dabei soziale Elemente berücksichtigen", betont Schlegelmilch. Möglich seien eine Klimaprämie, die pro Kopf ausgezahlt wird, Investitionen in energieeffizienten Wohnungsbau und die Senkung der Lohnnebenkosten.

Verkehrswende steckt im Stau

Martin Randelhoff, wissenschaftlicher Mitarbeiter der TU Dortmund und Betreiber des Blogs "Zukunft Mobilität", beobachtet ebenfalls "massive Umsetzungsprobleme" bei der Verkehrswende. Da der überwiegende Teil der Deutschen täglich nur wenige Kilometer zurücklegt, sieht er gerade in der Stadt große Potentiale für den Radverkehr - wenn in entsprechend breite und sichere Radwege investiert wird. Den Ausbau der Ladeinfrastruktur für Elektroautos hält er in Großstädten dagegen für überflüssig, da die Menschen dort zu Fuß, mit dem Fahrrad und dem öffentlichen Nahverkehr mobil sind. Er würde die Ladesäulen auf dem Land aufstellen und in der Stadt Parkplätze reduzieren. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg. "Wir brauchen auch einen kulturellen Wandel. Es gibt noch zu viele Verkehrstabus", betont Randelhoff.

Technologie als Retter

Was die Energiewende trotz aller Verzögerungen am Ende retten könnte, ist der technische Fortschritt. "Wir müssen überlegen, wie wir Technologie und die Energiewende zusammenführen können", sagt Miranda Schreurs von der Hochschule für Politik München. Im Kleinen können das Bewegungsmelder sein, die Lichter automatisch abschalten, wenn niemand im Raum ist, im Großen neue Verfahren zur Stahlproduktion ohne Kohle.

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