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Von der analogen zur hybriden Öffentlichkeit

Auswirkungen auf Politik und Gesellschaft

Social Bots, Fake News und Hasskommentare: Die Auswirkungen der Digitalisierung auf Öffentlichkeit und Meinungsbildung sind deutlich zu spüren. Was heißt das für unsere Gesellschaft? Wie verändert sich die politische Kommunikation? Und was bedeutet das für die traditionellen Medien? Diesen Fragen sind wir auf unserer Tagung "Von der analogen zur hybriden Öffentlichkeit" nachgegangen.

Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 20.11.2019

Von: Frederik Haug / Foto: Frederik Haug

Programm: Von der analogen zur hybriden Öffentlichkeit

Von der analogen zur hybriden Öffentlichkeit

Flickr-Galerie © Akademie für Politische Bildung Tutzing. Bitte klicken Sie auf das Foto, falls die Galerie nicht lädt. Sie werden zu Flickr weitergeleitet.

"Die gegenwärtigen Phänomene entsprechen revolutionären Ereignissen, wie der Erfindung des Buchdrucks", beschreibt Ulrike Klinger von der Freien Universität Berlin unsere Zeit, in der sich Falschnachrichten über Social Media schneller verbreiten als wahre Neuigkeiten. Die Öffentlichkeit befindet sich durch die digitale Transformation in einem Wandel. Sie ist zunehmend fragmentiert und von Dissonanzen geprägt. Zudem wird die öffentliche Meinung durch Bots, Trolle und Algorithmen verzerrt, teilweise sogar manipuliert. "Für 13 Prozent der Bevölkerung ist das Internet die Hauptnachrichtenquelle" sagt Klinger, die das Ende der Öffentlichkeit diagnostiziert, wie wir sie kennen.

Ein digitaler Graben durchzieht die Gesellschaft

Richard Gutjahr, Journalist, Blogger und Moderator, spricht von einem Informationskrieg, der sich gegenwärtig vor allem im Internet abspiele. Schuld daran ist seiner Meinung nach ein digitaler Graben, der sowohl zwischen verschiedenen Altersgruppen verläuft, was die Internetnutzung anbelangt, als auch zwischen der analogen Welt und einer digitalen Parallelwelt. In Letzterer verbreiten sich Informationen und Meinungen, bevor sie überprüft werden können, und fördern verschiedene Auffassungen der Wirklichkeit. Wesentlicher Bestandteil dieser Parallelwelt ist die Videoplattform YouTube. Hier werden den Nutzern algorithmenbasiert immer extremere Inhalte angeboten, um sie bei der Stange zu halten. Gutjahr fordert deshalb, schon in der Schule mit Medienbildung anzufangen, um "nicht nur den Pöblern das Internet zu überlassen".

Verroht unsere Sprache?

Wurde früher Langeweile im politischen Diskurs beklagt, herrscht nun sprachliche Verrohung. Thomas Niehr von der RWTH Aachen beobachtet anstößige Formulierungen in der Politik schon länger. Neu sei allerdings, dass das Brechen sprachlicher Tabus mit der Abwertung gesellschaftlicher Minderheiten einhergehe und die Grenzen des Sagbaren aktiv verschoben werden. Vor allem AfD-Politiker sprechen damit ihre Anhänger an, die sich ohnehin außerhalb des politisch korrekten Sprachgebrauchs bewegen. Die Medien stecken wiederum in einem Dilemma: Gibt man Rechtspopulisten eine Bühne oder füttert man den Vorwurf der Zensur?

Social Bots beeinflussen das Meinungsklima

"Es gibt automatisierte Akteure, sogennante Social Bots, in fast allen Wahlkämpfen der vergangenen Jahre", sagt Ulrike Klinger. Social Bots sind Computerprogramme, die in sozialen Netzwerken menschliches Verhalten imitieren und mit Fake-Accounts Menschen manipulieren. Beeinflusst wird in erster Linie das Meinungsklima. "Menschen passen sich beim Redeverhalten häufig an die Mehrheitsmeinung an. Wenn durch Bots nun eine Massenmeinung suggeriert wird, aktiviert dies das Redeverhalten vieler", fasst Klinger zusammen. Bots zu entlarven sei allerdings schwierig, verlässliche Zahlen gibt es nicht.

Das Internet als Chance für die Demokratie?

Ist also alles schlecht an den neuen Technologien? Teresa Naab von der Universität Augsburg gibt zu Bedenken, dass bei traditionellen Medien die Bedingungen für Öffentlichkeit eingeschränkt sind. Produktion und Selektion obliegen wenigen Journalisten und stehen auch unter dem Einfluss ökonomischer Interessen. Das Internet bietet dagegen Potentiale wie geringere Barrieren für Produzenten und einen egalitären Zugang. Doch diese Potentiale erfüllen sich gegenwärtig nicht. Im Gegenteil: Auch Naab erkennt eine digitale Spaltung der Gesellschaft, die zu einer Missrepräsentanz sozialer Gruppen führt. Kommerzielle Interessen und Social Bots verzerren das Meinungsklima. Und auch Verteter undemokratischer Meinungen können online relativ einfach falsche Informationen streuen.

Auswirkungen auf die traditionellen Medien

Erhebliche Auswirkungen hat der Öffentlichkeitswandel auf die Medien. "Studien zeigen aber, dass es keinen pauschalen Vertrauensverlust gibt", meint Nayla Fawzi von der Ludwig-Maximilians-Universität München. Jedoch könne man ein polarisiertes Medienvertrauen feststellen. Menschen haben entweder ein hohes oder ein niedriges Vertrauen in die Medien. Etwa jeder vierte Deutsche äußert fundamentale Kritik an den Medien und ein beträchtlicher Teil findet die eigenen Interessen darin nicht beachtet. Je mehr Vertrauen Menschen in ihre Mitmenschen und die Politik haben, desto größer fällt auch ihr Medienvertrauen aus.

"Das Vertrauen der Leser muss man sich täglich erarbeiten", sagt Peter Lindner, Leiter des Politikressorts der Süddeutschen Zeitung. Das gelingt durch sorgfältige Recherche, aber auch durch neue Dialog- und Beteiligungsformen. Die Süddeutsche Zeitung experimentiert mit dem Format "Werkstatt Demokratie". Übers Internet stimmen die Leser über Themen ab, zu denen Redakteure dann auf einer Deutschlandtour Workshops anbieten.

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