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Demokratie auf dem Prüfstand

Ist der politische Liberalismus in der Krise?

Entgegen aller Prognosen hat sich die liberale Demokratie nicht als alternativlos erwiesen und sie ist immer wieder Kritik ausgesetzt. Befindet sich unsere Demokratie in einer Krise? Wie haben sich die Erwartungen gegenüber politischer Kommunikation und Repräsentation verändert? Über die Auswirkungen der Vergangenheit und die Dimensionen der Demokratie haben wir zusammen mit der Stiftung Bundespräsident-Theodor-Heuss-Haus in unserer Tagung "Democracy Revisited" gesprochen.

Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 15.10.2019

Von: Natalie Weise / Foto: Natalie Weise

Programm: Democracy Revisited

Vorträge des Theodor-Heuss-Kolloquiums 2019 "Democracy Revisited" in einer Online-Publikation

Democracy Revisited

Flickr-Galerie © Akademie für Politische Bildung Tutzing. Bitte klicken Sie auf das Foto, falls die Galerie nicht lädt. Sie werden zu Flickr weitergeleitet.

"Demokratie ist zeitgebunden und gesellschaftlich eingebettet, sie ist ein Expermentierfeld", sagt Paul Nolte von der Freien Universität Berlin. Trotz negativer Prognosen befände sich die wohlgeordnete Demokratie der Nachkriegsjahre nicht in einer Krise. Sie ist viel mehr in einem neuen Aggregatzustand, der einer Neudeutung bedarf. Typisch für die wohlgeordnete Demokratie seien eine milieustrukturierte Gesellschaft, Vertrauen in Eliten und Pragmatismus gewesen. "Doch das Leben in der heutigen entgrenzten Demokratie bedeutet Vielfalt", meint der Historiker. Zum Beispiel hatten Frauen in der patriarchalischen Demokratie nicht die gleichen Möglichkeiten wie heute.

In unserer Tagung "Democracy Revisited" haben wir zusammen mit der Stiftung Bundespräsident-Theodor-Heuss-Haus Praktiken, Ordnungen und Begrenzungen der Demokratie in Deutschland, Frankreich und Italien untersucht. Dabei stand die Frage im Mittelpunkt, ob die Krisen und Ernüchterungserfahrungen mit der Demokratie in vergangenen Entwicklungen liegen. Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen diskutierten unter anderem über politische Kommunikation, Verwaltung, Partizipation und Repräsentation.

Politische Kommunikation - in den Parteien und durch Architektur

"Die CSU zu Zeiten Strauß' war kein bloßer Wahlverein, sondern die Funktionäre traten selbstbewusst auf", sagt Bernhard Gotto vom Institut für Zeitgeschichte. Zwar hatte die CSU in den 80er Jahren eine übergeordnete Stellung in Bayern, doch gab es innerhalb der Partei oft Streit zwischen Lokalpolitikern und Parteigrößen. Die lokalen Vorstände drohten in Briefen mit Streiks oder kollektiven Austritten, wenn sie unzufrieden waren. Dieses Verhalten ist auf die Veränderung des Rollenverständnisses in der Politik durch die 68er Bewegung zurückzuführen. "Die Vorstände sahen sich als Mitgestalter im politischen Prozess", erklärt Gotto.

"Hierachien aufzulösen, die das dritte Reich geschaffen hatte, war Anliegen des Bonner Hauses", betont Phillipp Nielsen vom Sarah Lawrence College in New York. Die Architektur des ersten Bundestags sollte eine Begegnungsstätte zwischen Bürgern und Politikern schaffen und die politische Kommunikation stärken. Beispielsweise hatten die Menschen in den vielen Gängen und im Restaurant die Möglichkeit, mit Abgeordneten ins Gespräch zu kommen.

Yes Minister! Der Civil Service in Großbritannien

Wie wird die Macht des Staates organisiert? Die Antwort liegt in den Verwaltungsstrukturen. Mit der Verwaltungselite in Großbritannien beschäftigt sich Nikolai Wehrs von der Universität Konstanz. "Der Civil Service gilt als Schaltfläche des Establishments", beschreibt Wehrs die Wahrnehmung einiger Bürger über die Verwaltungsspitze. Zum Dienstethos des Civil Service zählt die neutrale Beratung der Regierung, da die Mitarbeiter unabhängig von Wahlergebnissen ihre Posten behalten. Mittlerweile haben aber Reformprozesse dazugeführt, dass Berater der Minister, sogennante "special adviser", den Einfluss des Civil Service verringern. "Denn einige Minister führten einen ständigen Kleinkrieg gegen Bevormundungen durch den Civil Service", meint der Zeithistoriker.

Die 68er Bewegung als Prüfung für die Parlamente

Nicolas Batteux von der Sorbonne Paris untersuchte das Selbstbild der sozialdemokratischen Abgeordneten während der Zeit der Studentenrevolten 1968 in Frankreich und Deutschland. "Die 68er Bewegung fungierte als Prüfung für die Parlamente", sagt er. Die Rollen der deutschen und französischen Sozialdemokraten im Parlament hätte jedoch nicht unterschiedlicher sein können. Schließlich war die französische soziallistische Partei FGDS in der Fundamentalopposition zu den Gaullisten und die SPD befand sich in einer Großen Koalition mit der CDU. Aus diesem Grund unterstützte die FDGS die Studenten und Jugendlichen, während die SPD im Spannungsfeld zwischen Unterstützung und Kompromiss gefangen war.


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