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Europas Grenzen - Grenzen in Europa

Wie gelingt eine europäische Migrationspolitik?

Ist ein gemeinsamer Schutz der EU-Außengrenzen nötig, um Migration sinnvoll zu managen? Oder dient er nur der Abschottung gegenüber Not und Krieg? Wie ist das europäische Grenzregime menschenrechtlich zu beurteilen? Gibt es Perspektiven für eine Einigung in der Flüchtlingsfrage? Oder gerät die EU dabei an ihre Grenzen? Über die Grenzen Europas und die Grenzen in Europa wurde in den vergangenen Jahren heftig debattiert. In unserer Tagung näherten wir uns diesen Fragen im Gespräch mit Wissenschaftlern, Politikern und zivilgesellschaftlichen Akteuren.

Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 04.04.2019

Von: Beate Winterer, Katarina Furlan / Foto: Beate Winterer

Programm: Europas Grenzen - Grenzen in Europa

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Prof. Dr. Petra Bendel, FAU Erlangen-Nürnberg, über "Die Grenzen Europas - EU-Flüchtlingspolitik in der Krise"

Laut UNO-Flüchtlingshilfe waren 2017 weltweit rund 68,5 Millionen Menschen auf der Flucht. Nicht einmal ein Prozent von ihnen stellte im selben Jahr einen Asylantrag in der EU - dennoch wurde und wird kaum ein Thema lauter und heftiger diskutiert als Migration. "Die Menschen in Deutschland überschätzen den Anteil der Migranten an der Bevölkerung extrem", sagt Sabine Lindau von der Interkulturellen Akademie der Inneren Mission München. Die einen fordern mehr europäische Solidarität, die anderen mehr deutsche Eigenständigkeit. Weitgehend einig sind sich die meisten nur darin, möglichst wenig Migranten nach Europa zu lassen. Aber wie sieht eine sinnvolle Migrationspolitik aus?

Asylanträge aus Drittstaaten?

Um Menschen an der gefährliche Flucht über das Mittelmeer zu hindern, setzt sich Prof. Christopher Hein, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats im italienischen Flüchtlingsrat CIR, dafür ein, dass Menschen auch aus Drittstaaten Asylanträge in der EU stellen können - beispielsweise in den Botschaften der Mitgliedsländer. Nach der Bearbeitung könnten sie dann über sogenannte humanitäre Korridore mit dem Flugzeug einreisen. Selbst die populistische italienische Regierung könnte von dieser Praxis überzeugt werden, glaubt er. Dafür spricht sich auch Dr. Stephan Dünnwald vom Bayerischen Flüchtlingsrat aus. "Horst Seehofer hat eine Obergrenze von 200.000 Flüchtlingen pro Jahr vorgeschlagen, die Deutschland schaffen kann. Wieso schöpfen wir diese Zahl bei den aktuell sinkenden Asylzahlen nicht aus? Man könnte aus Resettlement mehr machen", findet er.

Mehr Verantwortung für Kommunen

Ein entsprechendes Modell stellte Petra Bendel vom Zentralinstitut für Regionenforschung der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg vor. Sie rät, den Kommunen mehr Spielraum zu geben, denn auch in migrationskritischen Staaten seien manche Städte und Gemeinden bereit, mehr Flüchtlinge aufzunehmen als sie müssten. Beispielsweise um Arbeitsplätze zu besetzen oder eine Überalterung der Gesellschaft zu verhindern. Ein Matching-System könnte Kommunen und Migranten mit ähnlichen Bedürfnissen zusammenbringen. Der Zugang zu europäischen Strukturfonds für die regionale Weiterentwicklung wäre ein weiterer Anreiz für Kommunen, sich zu engagieren. "Ein derartiges Programm ist keine Alternative zu nationaler und europäischer Flüchtlingspolitik - aber eine Ergänzung", erklärt Bendel.

Entwicklungshilfe zur Verhinderung von Migration?

Solang in den Mitgliedstaaten die Bereitschaft zum Resettlement fehlt, setzt die EU-Kommission, vertreten durch den Leiter der Münchner Außenstelle Joachim E. Menze, darauf, den Migrationsdruck durch Investitionen in die Herkunftsstaaten der Flüchtlinge zu senken. Dass diese Strategie nur bedingt erfolgreich sein kann, glaubt David Kipp von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Studien hätten gezeigt, dass Entwicklungshilfe in Staaten mit niedrigen Einkommen die Wanderung sogar verstärke, bei mittleren Einkommen sei kein Effekt beobachtbar. "Das könnte daran liegen, dass Menschen in sehr armen Ländern die Mittel fehlen, um sich überhaupt auf den Weg zu machen", erklärt Kipp.

Genfer Flüchtlingskonvention vs. Populismus

Mit der Frage, welche Gesetze für diejenigen gelten, die sich bereits auf den Weg nach Europa gemacht haben, beschäftigt sich Prof. Dr. Marei Pelzer von der Hochschule Fulda. "Nach heutiger Auslegung gilt die Genfer Konvention an der Grenze. Flüchtlinge dürften also nicht zurückgewiesen werden", sagt die Juristin. Der EU-Türkei-Deal stelle beispielsweise eine Verletzung dieses Refoulementverbots und somit der Menschenrechte dar. Anders als vermutet, fand eine Verschärfung der Flüchtlingspolitik aber nicht erst durch rechtspopulistische Regierungen statt. Laut Dr. Oliviero Angeli vom Mercator Forum Migration und Demokratie der TU Dresden hätten in einigen EU-Mitgliedsstaaten bereits die konservativen Vorgängerregierungen aus Angst vor den Populisten härtere Gesetze verabschiedet. Die erhofften Wahlerfolge blieben oftmals jedoch aus.

Seenotrettung in der Praxis

Während die Podiumsgäste die rechtlichen und ethischen Aspekte der Seenotrettung diskutierten, erzählte Michael Buschheuer aus der Praxis. Er hat zusammen mit seiner Frau in Regensburg den Verein Sea-Eye e.V. gegründet, der mit zwei gebrauchten Fischkuttern bisher 14.000 Geflüchtete aus dem Mittelmeer gerettet hat. Ob es sich bei der Überfahrt um eine "bewusst herbeigeführte Gefährdungssituation" handelt, wie es Menze von der EU-Kommission ausdrückt, ist für Buschheuer zweitrangig. Ihm geht es darum, ein gesellschaftliches Bewusstsein für das Massensterben an Europas Grenzen zu schaffen. "Während wir hier diskutieren, suchen unsere Kollegen nach Ertrinkenden", sagt er.

Flickr APB Tutzing

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