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Die ge-hack-te Demokratie?

Grundrechte und Digitalisierung beim Forum Verfassungspolitik / Mit Konstantin von Notz, Max Schrems, Hans-Jürgen Papier und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger

Münch von Notz Schrems Papier Leutheusser-Schnarrenberger Forum Verfassungspolitik

Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 30.06.2018

Von: Sebastian Haas

Foto: APB Tutzing

# Verfassungsfragen, Digitalisierung

Download: Forum Verfassungspolitik


Flickr APB Tutzing

© Akademie für Politische Bildung Tutzing

Die Digitalisierung ermöglicht Bürgerinnen und Bürgern enorme Freiheiten, kann ihre Freiheitsrechte jedoch auch in vielerlei Hinsicht gefährden – Stichworte sind unter anderem die Vorratsdatenspeicherung, das Polizeiaufgabengesetz oder der Staatstrojaner. Und so erinnerte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger an den Schutz der Persönlichkeit vor staatlichen Eingriffen, auch wenn diese zumeist gut gemeinten Zwecken dienen, nämlich dem Verhindern von Kriminalität und Terror: „Es gibt kein Super-Grundrecht auf Sicherheit, das jedwede Eingriffe auf persönliche Freiheitsrechte erlauben würde. Das bloße Anhäufen von Daten führt nicht zu besseren Ermittlungsergebnissen."

Eingriffe in Grundrechte zum Schutz der Grundrechte

Anders argumentierte verständlicherweise Oberstaatsanwalt Lukas Knorr. Der Leiter der Zentralstelle Cybercrime Bayern verfolgt mit seinem Team und teils auch in internationalen Verbünden Banden, Nerds oder Einzeltäter ohne besondere IT-Kenntnisse, die sich ihr Zubehör (ransomware) im Darknet kaufen können. Die Ermittlungen greifen unter engen Voraussetzungen in die Grundrechte von Tätern, womöglich aber auch unschuldig Verdächtigten, ein; als Beispiel sei die Überwachung der Telekommunikation genannt. Knorr erläutert: „Nicht jede verdeckte Maßnahme ist ein schwerwiegender Eingriff in die Grundrechte, entscheidend ist die Qualität der Daten." Ohne verdeckte Maßnahmen sei eine Überführung kaum möglich – und diese schütze schließlich die Grundrechte möglicher Opfer:

  • Körperliche Unversehrtheit (z.B. bei Drogen- oder Waffenhandel)
  • Eigentum (z.B. bei Verstößen gegen das Urheberrecht)
  • Freiheit und Recht auf sexuelle Selbstbestimmung (z.B. bei Kinderpornografie)
  • Informationelle Selbstbestimmung (z.B. bei Phishing)

Der Staatsrechtler Otto Depenheuer (Universität zu Köln) glaubt, dass smarte Umwelt, Digitalisierung aller Lebensbereiche, die „Verdatung des Menschen" den Datenschutz in seiner heutigen Form mit sich reißen werden. Ein effektiver Schutz der Persönlichkeitsrechte sei nicht mehr lange möglich – wobei das, was wir heute als Persönlichkeit bezeichnen, im Zuge von Daten und Algorithmen, Einsen und Nullen mehr und mehr vereinheitlicht, fragmentiert und womöglich sogar aufgelöst wird.

NetzDG, Safe harbour & Schrems I-III

Dennoch kann es nicht schaden, Technikwissen und -gestaltung sowie staatliche Schutzpflichten so gut es geht zu verbinden, wie es der Bayerische Verfassungsrichter Dirk Heckmann von der Universität Passau vorschlägt. Nur ein Beispiel: Am Umgang mit dem Thema Cyber-Mobbing zeigt sich, was passiert, wenn die Digitalisierung nicht zu Ende gedacht wird. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz hält Heckmann für „eine Farce, es schützt die Persönlichkeitsrechte Einzelner nur unzureichend" und sorge für gesteigerte Konfusion im juristischen Graubereich zwischen strafbaren Ehrverletzungen, freier Meinungsäußerung und Kunstfreiheit. Kein Wunder also, dass er mit der Passauer Forschungsstelle For..Net ein Cybermobbing-Gesetz entworfen hat.

Auch beim Schutz Einzelner gegenüber der Digitalwirtschaft gibt es noch Einiges zu tun. Wer wüsste das besser als Datenschutz-Aktivist Maximilian Schrems, der mit seiner Klage vor dem Europäischen Gerichtshof das Safe-Harbor-Abkommen zwischen der EU und den USA beendet hat und der in seinem Vortrag über allerlei Absurditäten des irischen, US-amerikanischen und europäischen Rechtssystems auf dem Weg dorthin berichtete. Zumindest ist inzwischen klar, dass „eine Regelung, die es generell gestattet, auf den Inhalt elektronischer Kommunikation zuzugreifen", gegen Artikel 7 der Europäischen Grundrechte-Charta verstößt. Mit seiner Initiative noyb (none of your business) geht er gegen Datenschutzverletzungen von Unternehmen vor – sein „Lieblingsgegner" ist dabei von Anfang an: Facebook.

Integrität digitaler Infrastruktur

Es gibt also viel zu tun, um die Grundrechte in Zeiten der Digitalisierung wirksam zu schützen. Das machte die Abschlussdiskussion deutlich, in der gleich drei Experten vor den Gefahren für den Rechtstaat warnten und forderten, mehr über Technikfolgen zu forschen, zu lernen, zu reden, zu fragen: Arndt Bode, Präsident der Bayerischen Forschungsstiftung; Rechtsanwalt Alexander Duisberg (Bird & Bird) und Konstantin von Notz, Netzpolitiker und stellvertretender Vorsitzender der Grünen-Bundestagsfraktion. Angesprochen auf Online-Spionage und Datenleaks – von WannaCry über Cambridge Analytica – erklärte von Notz: „Jeder spioniert überall; und die Staaten selbst sind Teil des Problems, dass so wenig Vertrauen besteht in die Integrität der digitalen Infrastruktur." Von der liberalen Demokratie zur gehackten Demokratie ist der Weg kürzer, als es sich die meisten vorstellen können.


Weitere Informationen

Aus Politik und Zeitgeschichte (46/47-2017): Going Dark? Dilemma zwischen sicherer, privater Kommunikation und den Sicherheitsinteressen von Staaten

Entwurf eines Cyber-Mobbing-Gesetzes von Prof. Dr. Dirck Heckmann (PDF-Download)

WannaCry: Ein Themen-Spezial auf sueddeutsche.de

The Cambridge Analytica Files (The Guardian)

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