Musik. Macht. Politik.
125 Jahre Münchner Philharmoniker – Partituren deutscher Geschichte
Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 23.09.2018
Von: Sebastian Haas
Foto: Probe in der zerstörten Tonhalle 1946 / Quelle: Münchner Philharmoniker
# Nationalsozialismus, Kultur, Zeitgeschichte
Am Abend vor seiner Ermordung besuchte der bayerische Ministerpräsident Kurt Eisner ein Konzert der Münchner Philharmoniker. Dies ist nur ein Beispiel aus der Geschichte dieses Orchesters, bei dem sich Musik und Macht mit den Zeitläuften kreuzten. Unsere Tagung bildet den ersten Programmpunkt auf dem Weg zum 125-jährigen Jubiläum der Münchner Philharmoniker. Unter dem Motto „Musik macht Politik. Politik macht Musik" wird der scheinbar apolitische Charakter von Musik dekonstruiert.
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Hier bestimmte der Krieg die Musik: Die russischen Musiker Anton Silaev, Denis Lipatov, Vitalii Gritsenko und Anatoly Kojaev spielen Stücke, die von deutschen Kriegsgefangenen in der Sowjetunion komponiert wurden.
Was für Kirchen, Parteien und Gewerkschaften gilt, trifft auch für Orchester zu: Der Weg dorthin ist nicht mehr vorbestimmt, auch die Klassische Musik muss kreativ sein, um an ihr Publikum zu kommen. Wie muss man sich positionieren, um in der Zukunft noch gehört zu werden? „Entscheidend bleibt die Qualität", ist sich der Intendant der Münchner Philharmoniker, Paul Müller, sicher. Dass der Besuch eines Konzerthauses ein gesellschaftliches Ereignis sein kann, zeige sich neuestens am Beispiel der Hamburger Elbphilharmonie.
Qualität unter Druck
Dennoch stehen aus Steuergeldern subventionierte Orchester unter enormem Rechtfertigungsdruck – auch in Bezug auf das Tagesgeschehen: Der Chefdirigent der Münchner Philharmoniker Valery Gergiev zum Beispiel steht als Unterstützer des russischen Präsidenten Vladimir Putin in der Kritik. „Den kulturellen Dialog weiterführen, wenn er im Sinne des Publikums ist, gerade nach Russland", rät der ehemalige BR-Hörfunkdirektor Johannes Grotzky. Der Soziologe Armin Nassehi (LMU München) betont das ästhetische Potenzial der Musik und formuliert sehr direkt: „Es ist wie beim Fußball: Selbst der größte Vollidiot kann überzeugt werden, wenn er sich auf das Erlebnis einlässt."
Die Philharmoniker in der NS-Zeit
Mit den Münchner Philharmonikern in der Zeit des Nationalsozialismus setzte sich Sebastian Stauss (LMU München) auseinander. Er beschrieb, wie ästhetische Standpunkte und kulturpolitische Positionierung der Philharmoniker dem NS-Regime Gelegenheit boten, sich das Orchester dienstbar zu machen – und es auf kommunaler Seite professionell zu organisieren und zu etablieren. Die Aufarbeitung der eigenen NS-Geschichte, zum Beispiel unter Chefdirigent Oswald Kabasta, zog sich lange hin. „Verwaltungsmäßig musste völlig neu aufgebaut werden" – so stand es im Jahresbericht der Philharmoniker von 1945. Der Historiker Wolfram Pyta (Universität Stuttgart) betonte, dass die NS-Kulturpolitik sich viel mehr auf Baukunst und Musiktheater denn auf konzertante Aufführungen fokussierte.
Klingende Beispiele
Bereits während der gesamten Tagung hatten Gunter Pretzel, Bratschist der Münchner Philharmoniker, der Dirigent und Musikschriftsteller Peter Gülke sowie der Kulturwissenschaftler Jens Malte Fischer über verschiedene Aspekte orchesterinterner Hierarchien diskutiert, in denen der Dirigent mit seinem Taktstock geradezu eine absolutistische Macht in den Händen hält. Gedichte über Dirigenten gibt es Einige, ein diskutables – und in der Akademie diskutiertes – Beispiel ist dieses von Franz Werfel aus dem Jahr 1938:
Er reicht den Violinen eine Blume / Und ladet sie mit Schmeichelblick zum Tanz. / Verzweifelt bettelt er das Blech um Glanz / Und streut den Flöten kindlich manche Krume. // Tief beugt das Knie er vor dem Heiligtume / Des Pianissimos,der Klangmonstranz. / Doch zausen Stürme seinen Schwalbenschwanz, / Wenn er das Tutti aufpeitscht, sich zum Ruhme. // Mit Fäusten hält er fest den Schlußakkord. / Dann harrt er, hilflos eingepflanzt am Ort, / Dem ausgekommenen Klange nachzuschaun. // Zuletzt, daß er den Beifall dankend rüge, / Zeigt er belästigte Erlöserzüge / Und zwingt uns, ihm noch Größres zuzutraun.
Wie klingt nun eine 125 Jahre andauernde Orchester-Geschichte? Das haben wir auch klanglich nachvollzogen, die vergangenen Programme der Münchner Philharmoniker als Grundlage genommen – und die Klangfarben der Weimarer Republik, des Nationalsozialismus und der Bundesrepublik in der Akademie ertönen lassen. Ensembles der Münchner Philharmoniker spielten Werke von Felix Weingartner, Wilhelm Furtwängler, Gustav Mahler, Hans Pfitzner, Sigmund von Hausegger, Béla Bartók, Luigi Nono und Anton Bruckner. Außerdem spielten russische Musiker Stücke, die von deutschen Kriegsgefangenen in der Sowjetunion komponiert wurden – hier standen Musik und Gewalt in einem unfreiwilligen Zusammenhang.
Die Tagung "Musik macht Politik. Politik macht Musik" fand vom 21. bis 23. September 2018 in der Akademie für Politische Bildung statt und war eine Kooperation mit den Münchner Philharmonikern unter Beteiligung des Deutsch-Russischen Museums Berlin-Karlshorst.
Wie klingt die Musik der Gefangenschaft? Das gesamte Konzert zum Nachhören auf Soundcloud
Bildergalerie
Flickr-Galerie © Akademie für Politische Bildung Tutzing
Weitere Informationen
Münchner Philharmoniker: Kurze Zusammenfassung der Orchester-Geschichte
BR Klassik: Die Münchner Philharmoniker und ihr Chefdirigent Valery Gergiev in New York
WELT: Offener Brief von Valery Gergiev an das Münchner Publikum (2014)
BR Klassik: Hitler. Macht. Oper - Bericht zum Symposium am Staatstheater Nürnberg
BR Klassik: Gustav Mahler heute - Reflexionen von Jens Malte Fischer
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