Vom Umgang mit der Angst

Die Debatte um die zivile Verteidigung in Zeiten des Terrorismus

Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 11.01.2017

Von: Miriam Zerbel

Foto: APB Tutzing

# Verfassungsfragen

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Mit dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt vor wenigen Tagen hat unsere Podiumsdiskussion unerwünschte Aktualität erhalten. Wie soll zivile Verteidigung in Zeiten des Terrorismus aussehen? In der Sicherheitsdebatte gibt es zahlreiche Ideen, wie die Bürger geschützt werden können, nicht nur vor den Gefahren von Terroranschlägen wie in Berlin, Paris oder Brüssel, sondern auch vor Cyberattacken und Klimakatastrophen.


Dass dieses Thema viele Menschen beschäftigt, war am bis auf den letzten Platz gefüllten Hörsaal der Akademie unschwer zu erkennen. Können wir uns schützen? Und wenn ja, wie? So lautete die zentrale Frage des Abends, den die Akademie in Zusammenarbeit mit der Universität der Bundeswehr München und dem Forschungszentrum RISK organisiert hat. Auf dem Podium diskutierten dazu Experten aus den unterschiedlichsten Fachrichtungen, moderiert vom BR-Chefredakteur Sigmund Gottlieb.

Professor Norbert Gebbeken, Sprecher des an der Universität der Bundeswehr ansässigen Forschungszentrums RISK (Risiko, Infrastruktur, Sicherheit und Konflikt) will Städte nicht zu Festungen ausbauen, sondern baulichen Schutz so umsetzen, dass die Bürger ihn gar nicht erkennen. Seit dem Berliner Anschlag häufen sich die Anfragen bei Gebbeken nach Schwachstellenanalysen in Unternehmen. Auch dort werde das Problem der baulichen Sicherheit aufmerksamer betrachtet, die Menschen werden nachdenklicher, so Gebbeken, der auch Präsident der International Association of Protective Structures ist. 

Schlimmstes Szenario: Blackout

In Zusammenarbeit mit Norbert Gebbeken kümmert sich auch Christoph Unger um baulichen Bevölkerungsschutz. Nach den Worten des Präsidenten des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) ist ein Verständnis dafür nötig, dass die Herausforderungen wachsen. Ein worst-case-Szenario wäre, Unger zufolge, ein flächendeckender, lang anhaltender Stromausfall. Der könnte wie in der Ukraine, auch militärische Ursachen haben. Die Herausforderungen werden demnach immer diffuser und sind mit den herkömmlichen Kategorien gar nicht mehr zu fassen.

„Die gesamte Gesellschaft muss resilienter werden." Christoph Unger, Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe

Er empfiehlt beispielsweise im BBK- Ratgeber zur Vorsorge im Katastrophenfall einerseits durchaus Vorräte anzulegen, fordert aber auch eine offene Diskussion über die neuartigen Herausforderungen. Wenn die Terrororganisation IS mit chemischen Kampfstoffen experimentiere, dann müssten auch Rettungskräfte in Deutschland geschult und darauf vorbereitet werden.

Akademiedirektorin Professorin Ursula Münch sieht im Terrorismus eine Form perfider Kommunikation. „Es verändert sich etwas in den Köpfen: wie nehme ich andere Menschen wahr?“ Münch drängte auf eine langfristige Beschäftigung mit dem Komplex der zivilen Verteidigung. Einig war sie sich darin mit dem Chef der BBK, dass dabei sowohl die Politik gefragt sei, als auch jeder Einzelne. 

Mehr ruhige Analyse

Die Angst vor Terrorismus ist zwar in den vergangenen Jahren stärker geworden. Dennoch fühlen sich nach einer Umfrage von infratest rund 73 Prozent der Deutschen sicher. Für den Münchner Polizeipräsidenten Hubertus Andrä ein Zeichen des großen Vertrauens in die Sicherheitsbehörden, die auch von einer gefühlten Sicherheit abhängt. Um ein solches Gefühl zu vermitteln, reiche aber Polizeipräsenz allein nicht aus. Denn während offene getragene Maschinenpistolen bei dem einen beruhigend wirkten, sei bei anderen das Gegenteil der Fall. Andrä lobte zwar die Zurückhaltung der Politiker nach dem OEZ-Anschlag in München. Seine Forderung dennoch generell mehr Gelassenheit in der Politik zu zeigen, um zunächst die Fakten und Sachverhalte zu analysieren und dann die richtigen Schlüsse zu ziehen, brachte ihm den spontanen Applaus des Publikums ein.


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BBK: Vorsorge für den Katastrophenfall


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