Europa: Identität, Krise, Zukunft

Festspiele Europäische Wochen: Rolle und Zukunft der Europäischen Union sind Thema beim 20. Passauer Tetralog

Passau / Tagungsbericht / Online seit: 14.07.2017

Von: Beryll Kunert

Foto: APB Tutzing

# Europa, Europäische Integration

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Was läuft gut in der Europäischen Union, was bedeutet sie den Bürgern und was muss verbessert werden? In Zusammenarbeit mit den Festspielen Europäische Wochen Passau und der Universität Passau lud die Akademie mit Altdirektor Heinrich Oberreuter zum 20. Passauer Tetralog ein, um über Identität, Krise und Zukunft der EU zu sprechen. Auf dem Podium diskutierten Zdzisław Krasnodębski, Henri Ménudier, Martin Selmayr und Manfred Weber.

Gruppenbild Passauer Tetralog


Krise? Welche Krise? Universitätspräsidentin Carola Jungwirth mahnte in ihren Grußworten zu Beginn an: „Wir sollten Europa nicht in Zweifel ziehen". Eine Krise wäre es, wenn die EU kurz vor ihrem Zerfall stünde und das tut sie nicht, meint Jungwirth. Trotz Brexit spreche kein weiteres Land über einen EU-Austritt, stimmte ihr unser Altdirektor Heinrich Oberreuter zu. Pluralismus sei das Grundprinzip Europas, derzeit fände eine Erneuerung der gemeinsamen Identität statt.

Kein Gefängnis und kein Imperium

Martin Selmayr, Kabinettschef des EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker, erinnerte an die drei Gründungsversprechen der Europäischen Union: Frieden, Freiheit und Wohlstand. Er sieht in der EU allerdings gleich fünf aktuell bestehende Krisen, die den Eindruck erweckten, dass diese Versprechen nicht mehr gehalten werden könnten. Neben der Finanz- und Wirtschaftskrise, der Flüchtlingskrise, dem anwachsenden Terrorismus, dem schlechten Verhältnis zu Russland biete vor allem die sich andeutende Rechtsstaats- und Wertekrise populistischen Tendenzen einen Nährboden. Es sei daher enorm wichtig, sich vor Augen zu halten, dass „die EU ein Zusammenschluss freier, souveräner Staaten ist. Sie ist kein Gefängnis und kein Imperium", betonte Selmayr.

Als Ausdruck der europäischen Krise bewertete Zdzisław Krasnodębski, Professor für Soziologie an der Universität Bremen sowie EU-Parlaments-Politiker der polnischen Partei Recht und Gerechtigkeit, die aktuellen Proteste, wie sie anlässlich des G20-Gipfels in Hamburg stattfanden. Das größte Problem liege in der Identifizierung, die aus polnischer Sicht zwar mit dem Kontinent Europa vorhanden sei, nicht jedoch mit dem politischen Gebilde Europäische Union. Zwar sehe laut Umfragen der Großteil der polnischen Bevölkerung positiv, doch wünschte sie sich gleichsam eine Rückführung von Kompetenzen auf die nationale Ebene.

Ausgleich dringend benötigt

Manfred Weber, Fraktionsvorsitzender der Fraktion der Europäischen Volkspartei, hält nicht die Rückführung von Kompetenzen, sondern den Ausgleich zwischen regionaler, nationaler und europäischer Identität für unerlässlich: „Ich bin ein bayerischer Europäer", bekannte er. Kompromiss und Konsens seien wichtig, doch sei es vor allem Aufgabe der EU, die nationalen Egoismen zu zügeln. Es gebe zu viele Aufgaben, die nicht mehr allein auf nationalstaatlicher Ebene gelöst werden könnten. Das größte Problem sieht Weber in der Vermittlungsschwäche der EU. Es fehle eine lebendige, öffentliche Debatte. Dennoch betonte er: „Die heutige EU ist die beste Konstruktion, die dieser Kontinent je hatte."

Es sei ein großer Gewinn, dass Staaten ihre eigene Souveränität zugunsten von Supranationalität einschränkten, meinte hingegen Henri Ménudier, Professor an der Universität Paris III Sorbonne Nouvelle. Die Geschichte der europäischen Integration sei eine Erfolgsgeschichte. „Nach drei Kriegen in 75 Jahren, herrscht nun seit über 60 Jahren Frieden in Europa", sagte Ménudier. Er lobte die Stabilität der deutschen Demokratie, die vor allem auf die großartige politische Bildungsarbeit zurückzuführen sei. Gelöst werden könnte die Krise der EU durch das erneute Anspringen des deutsch-französischen Motors. Es müsse ein neues Klima des Vertrauens geschaffen werden. Doch trotz aller Krisen blickt Ménudier positiv in die Zukunft der Europäischen Union: „Ich bin optimistisch. Denn schlussendlich ist die EU eine sehr solide Institution."

Auf dem Gruppenfoto zu sehen sind: (v.l.) Prof. Dr. Hénri Menudier, der Intendant der Festspiele Europäischen Wochen Thomas Bauer, Prof. Dr. Heinrich Oberreuter, die Vorsitzende des Festspielvereins Rosemarie Weber, Universitätspräsidentin Prof. Dr. Carola Jungwirth, Prof. Dr. Martin Selmayr, Manfred Weber, Prof. Dr. Zdzisław Krasnodębski sowie der Generalkonsul der Republik Polen in München Andrzej Osiak (Foto: Kunert).


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Festspiele Europäische Wochen Passau


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