Alles Lüge?

Medien, Wahlkampf und Populismus

Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 23.10.2017

Von: Sebastian Haas und Sebastian Meyer

Foto: Pixabay CC0 / eigene Collage

# Parlamente Parteien Partizipation, Medien, Medienethik, Ethik

Download: Fake News und "alternative Fakten"

Die Bundestagswahl ist technisch gut über die Bühne gegangen, doch sind Fake News und Social Bots nicht verschwunden. Journalisten wie Politiker bereiten sich auf eine schwierige Legislaturperiode vor – und daher zogen wir aus der Analyse des Wahlkampfs (siehe dazu auch den Bericht zur Tagung „Bundestagswahl 2017") Schlüsse auf die digitalen Instrumente des Populismus.


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Flickr APB Tutzing

Flickr-Galerie © Akademie für Politische Bildung Tutzing

Politiker vom gegenwärtigen US-Präsidenten Trump über AfD-Spitzenpolitiker bis zur Grünen-Kreisverbandsvorsitzenden wenden sich über Socia-Media-Kanäle direkt an die Bürger. Damit umgehen sie die Qualitätsfilter etablierter Medien – die wiederum als Lügenpresse und Verbreiter sogenannter alternativer Fakten diffamiert werden. Ein Teil des falsch informierten Publikums zieht sich in Echokammern zurück, in denen es nicht mehr von Informationen gestört wird, die das eigene Weltbild erschüttern könnten. Das ist nichts Neues. Doch war es noch nie so leicht, Meinungen zu manipulieren.

Gewinnt die AfD durch moderne Kommunikation?

Haben also die klassischen Medien (ungewollt) und die Nutzer der „Sozialen Netzwerke" (gewollt) zu den jüngsten Erfolgen von Rechtspopulisten beigetragen? Kommunikationsforscher Carsten Reinemann von der Ludwig-Maximilians-Universität München analysierte den Vorwurf, über die AfD sei im Vorfeld der Bundestagswahl zu (un)kritisch, zu viel und mit zu großem Fokus auf das Themenspektrum Migration berichtet worden. Seine Erkenntnisse:

  • Flucht und Zuwanderung waren seit 2015 in der Bevölkerung die wichtigsten politischen Gesprächsthemen – weil sie Fragen der Verteilungsgerechtigkeit, der Ausgestaltung der Sozialsysteme und der Bildung nach sich ziehen.
  • Anhand dieser wahrgenommenen Wichtigkeit orientierte sich auch die thematische Schwerpunktsetzung der klassischen Leitmedien (zu sehen im TV-Duell Merkel-Schulz, bei dem eine Stunde lang über die Folgen der Migration debattiert wurde).
  • Die größtenteils kritische Berichterstattung über die AfD ging an deren klassischen, „system"- und medienkritischen Wählermilieu vorbei.

Der Journalist Peter Welchering stimmte zu, ergänzte aber, man müsse dennoch nicht „über jedes Stöckchen springen, dass die Partei den Medien hinhält", und ihr so zu noch mehr Aufmerksamkeit verhelfen.

Wenn Roboter Wahlkampf machen

Sein eigentliches Thema aber waren Social Bots. Das sind leicht zu programmierende und mehr oder weniger schlaue Programme, die in den Social Media automatisiert kommunizieren können – und so Themen und Personen scheinbar wichtig werden lassen, sodass die Medien berichten. „Verbreiten diese nun Falschmeldungen, untergraben sie damit ungewollt das Vertrauen in politische Institutionen und die eigene Arbeit", erläuterte Welchering. Einen ersten Anhaltspunkt über die Dimensionen liefern Analysen des Oxford Internet Institutes von einer Million Tweets Anfang September: So war nur ungefähr ein Viertel der eingesetzten Social Bots auf Twitter politisch neutral, etwa 45 Prozent arbeiteten der AfD zu, 15 Prozent der Union und die restlichen 15 Prozent den anderen Gruppierungen. Trotz der öffentlichen Distanzierung aller Parteien vom Einsatz der Bots: Sie haben deren Erstellung vielleicht nicht unterstützt, aber auch nicht verhindert.

Wahlen gewinnen?
Im (Wohn-)Block, nicht im Blog

Vom Einsatz von Robotern im Wahlkampf sind die stellvertretende Landesvorsitzende der BayernSPD Marietta Eder und die CSU-Landtagsabgeordnete Mechthilde Wittmann weit entfernt. Während Eder die modernen Kommunikationsmöglichkeiten versucht auszureizen – und sich dabei online mit Kampagnen, Diffamierungen und Sexismus auseinandersetzen muss – ist Wittmann ein Beispiel dafür, dass es auch offline funktionieren kann. Sie trennt berufliches und privates strikt, lässt ihren Facebook-Account von ihren Mitarbeitern pflegen und setzt voll auf die Kommunikation von Angesicht zu Angesicht. Wittmann sagt: „Entscheidend ist, was ich seit dem Einzug in den Landtag getan habe, nicht die acht Wochen vor der Wahl und nicht, was online passiert." Um fake news im Online-Bereich vorzubeugen, ist der digitale Verzicht eben auch ein probates Mittel.

Wer behält den Überblick?

Neue Techniken und Geräte verändern Märkte und Plattformen. Virtual Reality, 360-Grad Berichterstattung, Roboterjournalismus und Sprachassistenzen sind die Schlagworte, die auch die öffentlich-rechtliche Berichterstattung umtreiben. Doch braucht es in diesen undurchsichtigen, privaten Märkten auch jemanden mit der Wächterfunktion, sagt der Chefredakteur des bayerischen Rundfunks Christian Nitsche. ,,Außerdem: Wir beobachten nicht nur technische Verschiebungen - beispielsweise informieren sich immer weniger junge Menschen über verschiedene Nachrichten-Apps, die jeweiligen Social-Media-Timelines reichen vielen bereits." Nitsche bringt das Auditorium auf den aktuellen Stand der Grundfragen und Wandlungen des Rundfunks. Schlussendlich möchte er festhalten: ,,Lassen Sie uns gemeinsam in der Diskussion bleiben und ein offenes Auge für neue Konzepte behalten. Die Stabilität unserer Demokratie hängt auch mit der Informationssicherheit, durch geprüfte und kuratierte Nachrichten zusammen."

In Länderstudien haben sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer unserer Tagung zudem mit Wahlkampf, Populismus und Medien in Frankreich, den Niederlanden und Tschechien beschäftigt. Die Tagung Fake News und „alternative Fakten" – Medien, Politik und Populismus war eine Kooperation mit der Deutschen Vereinigung für Politische Bildung Bayern und der Europäischen Akademie Bayern.

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Weitere Informationen

Wahlkampf der Algorithmen: Ein Beitrag von Peter Welchering im Deutschlandfunk

Populist Communication in Europe: Publikationen eines europäischen Forschungsverbunds

Sind Wähler der AfD besonders anfällig für fake news? Spiegel Online über eine Studie der Stiftung Neue Verantwortung

Übermedien – Medienkritik, Recherche und Analyse

How Fiction Becomes Fact on Social Media (New York Times)

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