Deutschland bleibt was?
Identität zwischen Abgrenzung und Anerkennung
Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 14.03.2017
Von: Tobias Rieth
Foto: APB Tutzing
# Gesellschaftlicher Wandel, Integration
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Eine Einführung in den Begriff „kollektive Identität“ gab Sebastian Haunss, Sozialwissenschaftler an der Universität Bremen. Eine Gruppenidentität entstehe durch eine gemeinsame Handlung, die das „Wir“ und „Nicht-Wir“ bestimme, die Zeit, Ort und Handlungsform festlege und immer wieder ausgehandelt werden müsse. Diese Dynamik begünstige die Integration Außenstehender. Allerdings kann das Kollektiv auch die Integration neuer Teilnehmer erschweren. Das geschehe, wenn die Gruppe ihre Gemeinsamkeit im Nachhinein nicht mehr durch das gemeinsame Handeln, sondern durch das Tragen eines Merkmals – Religion, Sprache, Staatsangehörigkeit – erkläre.
Ablehnung + Respekt = Toleranz
Professor Bernd Simon ging stärker auf den Begriff der Identität ein. Identitäten ständen stets in Beziehung zu anderen Identitäten, denn „Wir sind, was wir sind, weil Ihr nicht seid, was wir sind“. Außerdem seien Identitäten, vor allem auf der Ebene von Gruppen, meist mit Ablehnung verbunden. „Aber“, beruhigte der Sozialpsychologe die Teilnehmer, „ein vernünftiger Umgang miteinander ist auch bei gegenseitiger Ablehnung möglich.“ Denn es gelte die Formel „Ablehnung + Respekt = Toleranz“. Während in traditionellen Gesellschaften Respekt von der sozialen Position abhinge, basiere in modernen Gesellschaften gegenseitiger Respekt idealerweise darauf, dass man sich als Gleiche anerkenne. Fehlenden Respekt könne man als Gruppe durch (gewaltlosen) Kampf, aber auch durch das Erweisen von Respekt gegenüber den anderen erlangen.
Das bayerische Integrationsgesetz
Einen Einblick in die Politik gab Markus Gruber vom Bayerischen Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration mit einem Vortrag über das bayerische Integrationsgesetz. Das Gesetz sei notwendig, um „die freiheitliche demokratische Grundordnung sowie das sozialstaatliche Niveau zu erhalten“ im Angesicht der großen Menge an neuen Bewohnern aus Herkunftsländern mit kulturellen, sprachlichen und religiösen Differenzen. Die Bayerische Staatsregierung wolle mit dem Gesetz „Integration eine Richtung geben“, ein Zeichen setzen. Der eine Schwerpunkt des Gesetzes sei das Prinzip Fördern und Fordern, das heißt, dass die Migrantinnen und Migranten Anspruch auf Hilfe haben, aber Eigenleistung zeigen müssen, zum Beispiel durch den Erwerb der deutschen Sprache – sonst drohen Sanktionen. Der andere Schwerpunkt sei die Verpflichtung zur Achtung der sogenannten Leitkultur. Gruber definierte diesen Begriff als „gemeinsame Rechts- und Wertebasis, die tagtäglich im Land gelebt wird“. Das bayerische Integrationsgesetz sei vor allem ein Rahmengesetz, das die verschiedenen Lebensbereiche abhandle und aufschlüsselt, wo der Staat wie mit Bildung den Migrantinnen und Migranten helfen könne, sich in Bayern einzufinden.
Professor Krassimir Stojanov, Bildungsphilosoph an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, beurteilte das Integrationsgesetz kritischer. Für ihn sei es ein „Bildungsverhinderungsgesetz“, weil pauschal von Menschen mit Migrationshintergrund geredet werde, wodurch diese Identität erst konstruiert und das „Gegenteil von Anerkennung“ generiert werde. Außerdem könnten gewisse Grundreche abgesprochen werden.
Theater schafft Identität
Nina de la Chevallerie brachte zum Schluss noch mehr Leben in das Thema. Die Theaterregisseurin vom Theaterkollektiv „boat people project“ führt mit Deutschen und Geflüchteten Stücke auf, zu Themen wie ehrenamtliche Hilfe und Radikalisierung. Anhand eines Jugendoper-Projekts mit deutschen und geflüchteten Jugendlichen teilte Chevallerie ihre Erfahrungen mit der Konstruktion von Gruppenidentitäten. Im Laufe des Projekts würden sich eigene Rituale ausbilden, die die Gruppe verbinden. Beliebt sei ein Lied mit deutschen und arabischen Strophen, denn „die Jugendlichen singen es deswegen so gerne, weil sie es zusammen singen“.
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