Mediatisierte Gesellschaften

Medienkommunikation und Sozialwelten im Wandel

Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 28.02.2016

Von: Miriam Zerbel und Heinrich Rudolf Bruns

Foto: APB Tutzing

# Gesellschaftlicher Wandel

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In unserem Alltag hat sich in den vergangenen Jahren die Kommunikation verändert. Neben den Austausch von Angesicht zu Angesicht sind Formen ditgitalen Austauschs getreten: Facebook, Twitter, Instagram, WhatsApp oder Xing, verändern nicht nur die private, sondern auch die öffentliche Sozialwelt und somit unser gesellschaftliches Leben. Welchen Einfluss haben moderne Medien auf unser Kommunikationsverhalten und unser gesellschaftliches Zusammenleben? Was bedeutet das für politische Prozesse und die demokratische Ordnung?

Fragen, die in der Akademie für Politische Bildung nicht nur Wissenschaftler und Journalisten zusammenbrachte, sondern auch Personen, die sich generell für demokratische Prozesse, Medien und Politik interessieren. Die Veranstaltung, die in Kooperation mit dem Zentrum für Medien- und Kommunikationsforschung (ZeMK) der Universität Bremen stattfand, drehte sich also um die Mediatisierung der Gesellschaft. Einen Begriff, den Professor Friedrich Krotz vom ZeMK in seinem Eröffnungsvortrag beleuchtete.

„Medien sind kein Geschenk Gottes.“

Für den Kommunikationswissenschaftler ist der Medienwandel ein Langzeitprozess, der sich nicht allein auf die jüngste Vergangenheit bezieht. Das Mediensystem hat sich aus einzelnen analogen Medien zu einer digitalen, computergesteuerten Infrastruktur verwandelt. Frühere Techniken wie die Fotokultur als eigenständiges Medium verschwinden darin. Mit der Mediatisierung, worunter Krotz die Vermittlung durch digitale Strukturen versteht, wandelt sich das alltägliche Handeln. „Entscheidend sind nicht die digitalen Daten, sondern dass wir Aufgaben in einer bestimmten Weise lösen“, erklärte Krotz. „Medien sind kein Geschenk Gottes.“ Weil Medien nach Krotz Worten nur Potentiale sind, die einen Entwicklungsraum vorgeben, hat sich die Forschung nicht auf die Medien, sondern auf die soziale Welt konzentriert. Denn: ohne Medien ist eine mediatisierte Welt nicht zu verstehen. Das zeige selbst die mediatisierte Welt eines Fußballclubs.

Roboter in unseren Haushalten

Verändern Roboter als Spielzeuge oder Begleiter unser Verhältnis zur Technik? Artificial companions nennt Professorin Michaela Pfadenhauer von der Universität Wien diese spielzeughaften Artefakte, die als Assistent, Bewacher und Partner eingesetzt werden. Unter Verweis auf mehrere Filmbeispiele thematisierte Pfadenhauer die Fiktionen von companionship als künstliche Begleiter. In social robots werde zudem die Materialisierung von Emotionen in der Technik sichtbar. Angesichts einer zunehmenden Beziehungsmüdigkeit ist das technische Gerät durchaus willkommen: man kann es ein- oder ausschalten. Doch wie wirken diese künstlichen Begleiter? Sind sie ein soziales Gegenüber oder doch ein Vehikel in eine kulturelle Erlebniswelt? Für die Forscherin steht außer Frage: “Artificial Companions werden bald unsere Haushalte bevölkern.“

Internet verstärkt Herdenverhalten in der Demokratie

Eine provokante These von Professor Hendrik Hansen von der Budapester Andrássy Universität sorgte dann für hohe Aufmerksamkeit beim Abendvortrag. Hansen vertrat die Ansicht, dass das Internet Herdenverhalten verstärkt. Zur Begründung seiner These verwies er zunächst auf entsprechendes Verhalten an den Finanzmärkten vor der Krise im Jahr 2008. Damals ließen sich die Investoren nicht von realwirtschaftlichen Ertragsaussichten leiten, sondern davon, was der allgemeinen Meinung zufolge als Ergebnis der Durchschnittsmeinung zu erwarten war. Beflügelt wurde diese Entwicklung durch neue Technologien und damit neue Produkte an den Finanzmärkten. Die Folge war die Tendenz zu gleichförmigem Verhalten auf den Märkten.

Für Politiker ist es durchaus rational auf Themen zu setzen, die mehrheitsfähig sind und Stimmungen zu folgen und sogar zu antizipieren. Professor Hendrik Hansen

Diese Erkenntnis übertrag er dann auf demokratische Entscheidungsprozesse. Hansen präsentierte drei Modelle im politischen Wettbewerb. Zum einen die rationale Auseinandersetzung mit Sachfragen. Hier zählen die besseren Argumente. Zum zweiten, das Aushandeln von Interessen. Hier existiert ein Wettbewerb von verschiedenen Interessengruppen, die sich auf Kompromisse einigen. Schließlich die Durchsetzung von Stimmungen, was der Tatsache Rechnung trägt, dass politische Entscheidungen immer komplexer werden, im Journalismus neue Medien Einzug gehalten haben und vermehrt Stimmungen vermittelt werden. „Ausschlaggebend im demokratischen Wettbewerb sind Stimmungen. Für Politiker ist es durchaus rational auf Themen zu setzen, die mehrheitsfähig sind und Stimmungen zu folgen und sogar zu antizipieren“, so Hansen. „Das Ergebnis ist, dass sich Positionen mit negativen Folgen durchsetzen.“ Sein kulturpessimistisches Fazit lautete: wenn es zu Herdenverhalten in der Politik komme, sei es um die Demokratie schlecht bestellt.

"Piraten scheiterten an der realen Welt"

Unter der Überschrift "Regieren in einer mediatisierten Welt" beschäftigte sich Professor emeritus Ulrich Sarcinelli von der Universität Kobelenz-Landau mit dem Thema politische Führung im Spannungsfeld zwischen Entscheidungs- und Dartstellungspolitik. Am Beispiel der Piratenpartei machte Sarcinelli deutlich,dass politisches Scheitern manchmal vorprogrammiert sei. "Die Piraten haben mit ihrem Ansatz zwar vor allem die jüngere Bevölkerung angesprochen, sind aber gescheitert im Zusammentreffen mit der realen Welt, die etwas mit Sachkompetenz, physischer Präsenz und Durchsetzungsfähigkeit zu tun hat." Als Musterbeispiel stellte Sarcinelli einen eher den alten Medien verhafteten Politiker heraus: Winfried Kretschmann, baden-württembergischer Ministerpräsident, sei eine Figur, die im Ländle außerordentlich gut ankomme, insbesondere was den Umgang mit Medien, ihren Produzenten und Nutzern angehe.

Tweets zur Veranstaltung unter #apb_media

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