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Das Nie-Dagewesene als Herausforderung

Ingenieure, Wissenschaftler und Politiker wie Harald Lesch, Armin Nassehi und Markus Blume diskutieren über Innovation


Lesch Nassehi Blume Akademie Tutzing


Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 23.04.2016

Von: Sebastian Haas und Sibylle Kölmel

# Kommunalpolitik, Ökologie und Nachhaltigkeit

Download: Innovation: Das "Nie-Dagewesene" als Herausforderung


Ohne das Neue droht der Verlust des Alten – und daher möchten Wissenschaft und Wirtschaft, Politik und Gesellschaft die Innovationskraft fördern. Doch was macht Neues zur Innovation? Was begünstigt Innovation? Gibt es Patentrezepte, wie man gezielt etwas erneuert, um Besseres zu erreichen? In Kooperation mit der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau haben Ingenieure, Politiker und Wissenschaftler wie Harald Lesch über diese Fragen diskutiert.

Die Grundlagen des Innovationsbegriffs waren das Thema von Dietmar Harhoff, Direktor des Max-Planck-Instituts für Innovation und Wettbewerb, und des Soziologen Armin Nassehi von der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München. Nach Meinung des Letzteren kommt Innovation nicht aus dem Nichts, sondern sei „das Neue im Hinblick auf das Alte“. Als innovativ gelte gemeinhin das, was zuvor für unmöglich gehalten wurde, aber offensichtlich möglich war (eine „unmögliche Möglichkeit“). Innovation als Umsetzen eines neuen Konzeptes ist nach Aussage von Dietmar Harhoff mit großen Schwierigkeiten verbunden: „Ich kratze an Rang und Status der in bestimmten Organisationen Arbeitenden. Das macht eher Angst, als zu begeistern.“

Wer kann nun Innovation? Eigentlich jeder, meint der Astrophysiker, Naturphilosoph und Fernsehmoderator Prof. Dr. Harald Lesch von der LMU München. Zumindest jeder, der über folgende Voraussetzungen verfügt:

  • in einer stabilen, wissenschaftlich wahrnehmbaren und beschreibbaren (Um-)Welt zu leben
  • Kenntnisse über die Naturgesetze zu besitzen
  • Zeit zum Nachdenken zu haben
  • sich den Risiken einer möglichen Innovation bewusst zu sein und
  • Irrtum und Fehler als Methode auf dem Weg zur Erkenntnis anzuerkennen.

Emporirren erwünscht? Emporirren erlaubt!

Freiheit benötigt es also im ersten Schritt, um darüber zu philosophieren, was wir ökonomisch und ökologisch haben wollen. Und im zweiten Schritt braucht es den Mut, Irrtümer einzugestehen und seine Innovation gegebenenfalls zu korrigieren. Wer seinem Pioniergeist in dieser Weise folgt, wer empor irrt, wird Geistesblitze kommen und gehen sehen. „Gerade bei uns in der theoretischen Physik sind die Papierkörbe besonders groß“, meint Harald Lesch. Doch wird die Innovationslust an verschiedenen Stellen ausgebremst; zum Beispiel dadurch, dass sich die finanziellen Mittel für Innovationen im Wesentlichen auf Finanzmärkte und „wenige Täler im Süden Kaliforniens“ verteilen; oder durch Misstrauen und kurze Erwartungshorizonte derer, „die Zeit, Geld und Wissen zur Verfügung stellen“ – also vor allem durch das Misstrauen innerhalb der Bildungsinstitutionen. So werden nach Ansicht Leschs Generationen von (Hoch-)Schülern herangezogen, die unfähig sind für (hoch-)geistige Spielereien, denen die „Performance wichtiger ist als die Position“.

Hochschulen als Wegbereiter zur Disruption?

Ganz anders sehen das erwartungsgemäß die Vertreter der bayerischen Hochschulen. Gerhard Müller, Vizepräsident der Technischen Universität München, und Michael Pötzl, Präsident der Hochschule Coburg, sehen ihre Institutionen sehr wohl als Wegbereiter von Innovation und Disruption, dem Auf-den-Kopf-Stellen bisheriger Herangehensweisen. Dies führt beispielsweise zu digitalen Angeboten wie airbnb oder uber, die heute traditionelle Geschäftsmodelle wie Hotel und Taxi bedrohen. Fächerübergreifendes und gemeinsames Denken, (Hinter-)Fragen und Arbeiten, ein „Kommunikationsring zur Befruchtung des Denkprozesses“ ist an den Technischen Hochschulen und an denen für Angewandte Wissenschaft inzwischen fest verankert (drei von vielen Beispielen sind das Munich Center for Technology in Society, das Munich Center for Internet Research oder die International Graduate School of Science and Engineering).

Vielfalt als Grundlage für Innovation

So versuchen die Bildungseinrichtungen umzusetzen, was Experten wie Kathrin S. Trump vehement fordern: Vielfalt und Teamarbeit als Grundlage für Innovation. Wie die Leiterin des Instituts für Diversity Management berichtet, erbringen einheitlich zusammengesetzte Arbeitsgruppen zwar verlässliche Leistungen, heterogen zusammengestellte Teams aber können deutlich leistungsfähiger und kreativer sein.

  • Kulturelle Vielfalt in einer Gruppe sorgt einerseits für mehr Kreativität, andererseits für mehr persönliche Distanz.
  • Ein erhöhter Frauenanteil im Team sorgt für mehr Denkleistung, die größte Experimentierfreude herrscht dort, wo der Anteil von Männern und Frauen in etwa gleich ist.
  • Eine große Altersspanne hat ein gutes Arbeitsklima zur Folge, hemmt aber die Innovationsfreude.

Um also die Fliehkräfte zu drosseln und die Kreativität zu fördern, ist ein gelungenes Teammanagement nötig. Ein solch gutes Ein- und Aufarbeiten bot sich den Teilnehmern unserer Tagung in drei Workshops zu den Themenbereichen „Innovatives Bauen im Klimawandel“ (mit Professor Werner Lang, TU München), „Sharing Economy“ (mit Michael Bucher, Fraunhofer IAO) und „Wie können Innovationen entstehen?“ (mit Professor Andreas König, Universität Passau).

Zukunftslust statt Zukunftsangst

Zum Abschluss der Tagung diskutierten über politische Voraussetzungen für Innovation: Markus Blume, Medienpolitischer Sprecher der CSU-Landtagsfraktion, Oliver Fischer, Lehrstuhlinhaber für Massivbau an der TU München, und Matthias Jena, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes Bayern. Dabei waren sich der Gewerkschafter und der Politiker erstaunlich einig: Innovation war noch nie so einfach umzusetzen (weil eine App so schnell programmiert ist), war noch nie so umstritten (weil sie Berufe überflüssig machen kann) und war noch nie so nötig für wirtschaftlichen Erfolg (und also doch zur Sicherung von Arbeitsplätzen).

Was also tun? „Zukunftslust statt Zukunftsangst verbreiten“, meint Markus Blume und hofft auf eine aktive Ordnungspolitik, um den rechtlichen Rahmen für eine innovationsfreudige Gesellschaft abzustecken. Letztlich solle jeder Einzelne zum kreativen Denken angeregt und beim Umsetzen seiner Ideen angemessen unterstützt werden. Oder anders gesagt: Entscheidend für die Innovationsfähigkeit ist nicht die Größe eines Unternehmens, sondern die Idee, die es vorantreibt.

Weitere Informationen

Homepage der Expertenkommission Forschung und Innovation

Harald Leschs YouTube-Kanal: Der Urknall, das Weltall und das Leben

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