Politische (Urteils-)Bildung
Herausforderungen, Ziele, Formate
Tutzing/Nürnberg / Publikation / Online seit: 31.10.2015
Von: Miriam Zerbel und Sebastian Haas
# Politische Bildung, Populismus und Extremismus
Bei der Vorstellung des Sammelbandes "Politische (Urteils-)Bildung. Herausforderungen, Ziele, Formate" kamen im Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände Nürnberg auf dem Podium zusammen: (v.l.) Prof. Dr. Gotthard Jasper, Akademiedirektorin Prof. Dr. Ursula Münch, Dr. Walter Eisenhart, Prof. Dr. Armin Scherb, Akademie-Dozent Dr. Michael Schröder sowie Florian Dierl (Foto: Haas).
Die Warnsignale sind unübersehbar: Die Wahlbeteiligung sinkt auf allen Ebenen, Parteien und Verbände verlieren ihre Mitglieder. Größer werdende Teile der Bevölkerung wenden sich von der Politik ab. Radikalisierung und Extremismus nehmen zu. Das fehlende Wissen über Demokratie, Parlamentarismus und Parteienstaat wird begleitet von einem lauter werdenden Ruf nach Mitbestimmung, mehr direkter Demokratie und Bürgerbeteiligung.
Ein wirksames Mittel gegen Politikverdruss, Apathie, Extremismus und Populismus ist ein Mehr an politischer Bildung. Doch ihre Wirkung kann sie nur entfalten, wenn sie nicht als Feuerwehr missbraucht wird. Eine stabile Demokratie braucht Demokraten. Die fallen aber nicht vom Himmel (Theodor Eschenburg). Und als Demokrat wird man nicht geboren (Michael Greven). Deswegen brauchen Demokraten politische Bildung - ein Leben lang.
Aus diesem Grunde haben die Akademie für Politische Bildung, der Landesverband Bayern der Deutschen Vereinigung für Politische Bildung (DVPB) im Wochenschau-Verlag den Sammelband „Politische (Urteils-)Bildung im 21. Jahrhundert“ herausgegeben. Es ist, wie Mitherausgeber und DVPB-Landesvorsitzender Armin Scherb erläuterte, ein Plädoyer für eine wertgebundene, an Rationalität orientierte und kontinuierliche politische Bildung. Es ist sowohl Rückblick wie auch Bestandsaufnahme und Ausblick auf die Herausforderungen für die politische Bildung in einer globalisierten, digitalen Medienwelt. Das Buch vermittelt Wissen, methodische Fähigkeiten und Werthaltungen und analysiert die kritische Situation der politischen (Schul-)Bildung gerade in Bayern.
Politische Bildung: Lebenselixier der stabilen Demokratie
Die Vorstellung des Sammelbands fand im Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände in Nürnberg statt. Dessen Leiter Florian Dierl begrüßte die gut 100 Zuhörer – darunter viele Studierende der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg – und wies darauf hin, wie wichtig es ist, gerade an historischen (Lern-)Orten wie dem Reichsparteitagsgelände über den Stand der politischen Bildung zu diskutieren. In den Ausführungen von Gotthard Jasper – der Historiker und Politologe war von 1990 bis 2002 Rektor der Universität Erlangen-Nürnberg und ist Träger des Bayerischen Verdienstordens – stand das persönliche Engagement jedes Einzelnen für die Stabilität der freiheitlich-demokratischen Grundordnung im Mittelpunkt. So bedeute politische Bildung mehr als das Nachdenken über aktuelle Entwicklungen zu fördern, sie sei vielmehr das „Lebensexilier einer stabilen Demokratie“.
Nur wer seine politische Urteilskraft stärkt, kann denen wirksam entgegentreten, die das Ringen der Politik um Kompromisse diffamieren.
Ursula Münch
Akademiedirektorin Ursula Münch thematisierte den steigenden Einfluss von Revisionisten und Extremisten: „Weite Kreise der Bevölkerung werden durch eine gefährliche Mischung aus Abgeklärtheit, Alltagshochmut und Rechthaberei zu respektlosen Äußerungen gegenüber der Politik verleitet – analog und vor allem digital.“ Um denen gegenübertreten zu können, die das Ringen der Politik um einen Interessensausgleich diffamieren, benötige es ein grundlegendes politisches Wissen und Urteilskraft. Dazu kommt, dass sich politische Prozesse beschleunigen, internationaler und komplizierter werden, und zugleich die Plattformen, die seit Jahrzehnten zwischen Bürgern und Politik vermitteln und die Orientierung erleichtern – Parteien, Kirchen, der (öffentlich-rechtliche) Rundfunk – an Bedeutung verlieren.
So bleibt es zuletzt doch bei jedem Einzelnen, sich eine intensive Kenntnis der politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und historischen Grundlagen der Bundesrepublik anzueignen. Letzteres vor allem, weil die Zeitzeugen des NS-Regimes sterben und unsere Jugend mehr und mehr von der weltweiten Migration geprägt ist. Qualitativ hochwertige historisch-politische Bildung ist also unumgänglich, um die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu festigen. Ein Baustein dafür kann unser Buch sein. Wir empfehlen die Lektüre ausdrücklich.
Mit den „Tutzinger Schriften zur politischen Bildung“ eröffnete die Akademie im Jahr 2009 eine neue Reihe, die einzelne Themenbereiche fachwissenschaftlich durchdringen, ihre Bedeutung für die politische Bildung aufzeigen und Hinweise für die praktische Umsetzung in Bildungsprozessen geben sollte. Die Bücher der Reihe können über die Homepage des Wochenschau-Verlages oder über den Buchhandel bestellt werden.
Weitere Informationen
Buchvorstellung in Nürnberg am 30. Oktober 2015
Das Netzwerk Politische Bildung Bayern berichtet über die Buchvorstellung in Nürnberg
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