Islamismus

Herausforderung und Bedrohung der Demokratie

Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 21.05.2015

Von: Miriam Zerbel und Carina Schmotz

# Integration, Religion, Politische Bildung

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Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA hat sich das Interesse der deutschen Öffentlichkeit zunehmend auch auf den Islamismus im eigenen Land konzentriert. Dessen Erscheinungsformen in den muslimisch geprägten Teilen der Bevölkerung sind vielfältig. Weil sich aber die Wissenschaft vor allem mit den gewaltbereiten Islamisten beschäftigte, fehlen einschlägige Erkenntnisse für Bedeutung und Gefahrenpotential islamistischer Bestrebungen. Fakt ist, dass sich das Phänomen inzwischen auch auf die Schulen auswirkt. Wie sollen Lehrer damit umgehen?

In Kooperation mit der Akademie für Lehrerfortbildung in Dillingen beschäftigte sich die Tagung in der Akademie für Politische Bildung zunächst mit dem Grundverständnis des Phänomens „Islamismus“.  Mitarbeiter des Verfassungsschutzes klärten für die Lehrer verschiedener Schularten in Bayern zunächst Begriffe und Positionen.

Salafismus als Rückbesinnung

So stammt der Begriff Salafismus von dem arabischen „salafiyya“, was übersetzt „die frommen Altvorderen“ bedeutet. Das Ideal dieser ultrakonservativen Strömung ist die Purifizierung der Religion, also eine Rückbesinnung auf das „Goldene Zeitalter“ des Islam, um zu alter Macht zu kommen. Zentral ist für die Salafisten dabei einerseits ein überspitzter Monotheismus und zum anderen die Unfehlbarkeit des Korans. Nach dem Motto „Menschen irren, der Koran nicht“, stellt sich die ultrakonservative Strömung auf Grundlage von Korantexten gegen bestehende Hierarchien. Mit der vermeintlichen Erziehung und Reinigung der Gemeinden soll der Islam in seiner ursprünglichen Form verbreitet werden. „Bottom up“ ist das Prinzip: Die Gesellschaft soll von unten her überzeugt werden. Das Prinzip „top down“, also eine gewaltsame Machtübernahme, bei der die Vorstellungen und Ideale der Regierenden einer Gesellschaft aufgezwungen werden, lehnen die Salafisten ab.

Aktuelle Daten nur vom Verfassungsschutz

Laut Verfassungsschutz sind rund 43.000 Menschen in Deutschland dem Islamismus zuzurechnen - ein Phänomen, das die Gesellschaft erreicht hat und auch an die Schulen ausstrahlt. Die Konfliktfelder sind bekannt: Dürfen Mädchen am Schwimmunterricht oder Klassenfahrten teilnehmen? Wie geht die Schule mit Kleidungsnormen und Speisevorschriften oder der Forderung nach Gebetsräumen um?

Anziehungskraft des „Pop-Jihad“

Was die salafistische Szene in Deutschland ausmacht, referierte Claudia Dantschke vom Zentrum Demokratische Kultur in Berlin. Die Expertin verwies auf die heterogene Struktur der salafistischen Strömungen, die seit 2004 in Deutschland offensiv missionierend in Erscheinung treten.

  • Puristische Salafisten: Ähnlich wie die Amish-People in den USA bauen sie eine Parallelgesellschaft, die sich aber nicht explizit gegen die deutsche Gesellschaft richtet.
  • Politisch-missionarische Salafisten, die nicht auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen, Gewalt aber ablehnen.
  • Politisch-missionarische Salafisten, die Gewalt in Form des bewaffneten Jihad legitimieren („geistige Brandstifter“).
  • Jihadisten, („die nicht reden, sondern handeln“)

Welche Anziehungskraft charismatische Salafisten-Prediger auf muslimische Jugendliche ausüben, machte Dantschke mit dem Begriff „Pop-Jihad“ deutlich. Darunter versteht sie eine radikale Jugendkultur als Teil und Produkt der westlichen Popkultur und spricht in Anspielung auf die Salafisten-typische Haartracht von „Straßen-Gangs mit Bart“.

Sie warnte, mit dem Angebot der Salafisten von Gemeinschaft und Identität böten sie den Jugendlichen gleichsam eine Ersatzfamilie von Brüdern und Schwestern an. Zudem ergriffen die Jugendlichen nur zu gern die Gelegenheit, Eltern und Gesellschaft herauszufordern und maximale Aufmerksamkeit in ihrem Umfeld zu erreichen. Vermeintliches Wissen, einfache Wahrheiten und angebliche Werte erleichterten den Jugendlichen  die Orientierung bei ihrer Suche nach dem richtigen Weg zum Ziel.

„Gemeinsam ist all diesen jungen Menschen, dass sie zuvor keinen reflektierten Umgang mit Religion hatten. Und nun ist die emotionale Berührung der Jugendlichen letztendlich wichtiger als die korrekte Interpretation des Koran“, erklärte Dantschke die Gefahr.
Fazit der renommierten Kennerin der deutschen Szene: „Salafisten holen die Jugendlichen nicht von Alkohol und Drogen weg, sondern von der Demokratie.“


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