Wirtschaftsfaktor Alter

Erwin Huber und Ulrich Walwei zu Herausforderungen und Chancen des demografischen Wandels

Tutzing / Tagungsbericht / Online seit: 06.11.2015

Von: Corinna Korn

# Gesellschaftlicher Wandel, Sozialstaat

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Erwin Huber steht im Hörsaal der Akademie für Politische Bildung auf dem Podium am Rednerpult und hält einen Vortrag

Erwin Huber, Mitglied des Bayerischen Landtags und Staatsminister a.D., sprach über Herausforderungen, die eine alternde Gesellschaft mit sich bringt - sowohl für die Politik als auch für die Wirtschaft (Foto: Korn).

Unsere Gesellschaft altert. Infolge des demografischen Wandels wird 2035 jeder dritte Deutsche älter als 60 Jahre sein. Dabei ist dieser Teil der Bevölkerung gebildet, lebens- und konsumfreudig wie nie zuvor. Die Generation Ü60 hat Potenzial – als Wähler, als Konsumenten und vor allem als Erwerbstätige. Wie also kann die Gesellschaft das Potenzial der Älteren richtig nutzen? Welche Herausforderungen, aber auch Chancen bestehen für Politik und Wirtschaft?

Als Landtagsabgeordneter und ehemaliger bayerischer Wirtschaftsminister gab Erwin Huber einen Überblick über Herausforderungen in einer alternden Gesellschaft und zeichnete dabei ein zunächst düster erscheinendes Bild:

"Der demografische Wandel bringt tiefgreifende Veränderungen mit sich und erfasst alle Lebensbereiche."
Erwin Huber

Vor allem im Bereich der Pflege sieht Huber Finanzierungsprobleme: „Auf lange Sicht werden die Jüngeren diese Last zu tragen haben und einen Beitrag ihres Einkommens erbringen müssen, um die ältere Generation humanitär zu versorgen.“ Dies sei keine einfache Bürde. Entgegen des lange gehegten Credos der Nachkriegsgeneration, 'unsere Kinder sollen es einmal besser haben', sei sogar zu befürchten, dass die Lebensbedingungen der nächsten Generationen nicht mehr so gut sein werden wie die heutigen.

Verschärfung des Fachkräftemangels

Weiterhin führe der demografische Wandel zu einer Verschärfung des Fachkräftemangels – ein Problem, das nicht leicht zu beheben sei. Potenziale sieht Huber vor allem bei Frauen, die bisher in Teilzeit beschäftigt sind. Hier müssten Unternehmen, allen voran der Mittelstand, ansetzen und weiter in Familienfreundlichkeit investieren. Auf kritische Fragen seitens des Publikums stieß Huber mit seiner These, der Alterungsprozess bremse gar die wirtschaftliche Dynamik der Bundesrepublik. Seiner Meinung nach führe die Lebenssituation älterer Menschen zu einer geringeren Risikobereitschaft, was mit Skepsis gegenüber neuen Technologien und Zurückhaltung gegenüber weiterem Wachstum einhergehe. Wirtschaftlich gesehen werde Deutschland so auf lange Sicht hinter jüngere Gesellschaften zurückfallen.

"Wir brauchen stärkere Flexibilität beim Rentenzugang"

Gänzlich anderes argumentierte der Vizepräsident des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), Dr. Ulrich Walwei. Er schrieb der älteren Generation eine wichtige Rolle am Arbeitsmarkt zu: „Vor dem Hintergrund eines tendenziell schrumpfenden Arbeitskräfteangebots wird der Beitrag der älteren Generation als Fachkräfte und Wirtschaftsfaktor immer stärker gefragt.“ Veränderte institutionelle Rahmenbedingungen wie eine Erhöhung des Renteneintrittsalters hätten dazu geführt, dass heute schon 63,5 Prozent der 55- bis 64-Jährigen in Deutschland erwerbstätig seien – ein enormer Fortschritt gegenüber der Vergangenheit und Platz drei im internationalen Vergleich hinter Schweden und Japan. Trotzdem stellt Walwei fest: Je älter die Menschen, desto geringer ihre Partizipation am Arbeitsmarkt. Da dies in besonderem Maße auf Geringqualifizierte zutreffe, müssten mit einem Mehr an Bildung bereits frühzeitig Gegenmaßnahmen getroffen werden. Außerdem plädierte Walwei für eine stärkere Flexibilität beim Rentenzugang, um nicht mehr allein das Alter als ausschlaggebenden Faktor zu berücksichtigen.

In der Diskussion mit den Tagungsteilnehmern auf mögliche Auswirkungen des aktuell hohen Flüchtlingszustroms angesprochen, gaben sich beide Referenten nur bedingt zuversichtlich. Zwar könnten die weitgehend jungen Migranten laut Erwin Huber die demografische Kurve in Deutschland langfristig verbessern. Jedoch sei eine schnelle Lösung des Fachkräftemangels aufgrund häufig fehlender Qualifikationen nicht möglich. Auch Ulrich Walwei betonte, dass eine erfolgreiche Integration der Asylbewerber in den Arbeitsmarkt enorme Investitionen und ein erhebliches Maß an Geduld benötigen werde.

Die Tagung fand in Kooperation mit der LandesSeniorenVertretung Bayern (LSVB) und dem Bayerischen Landesausschuss für Hauswirtschaft e.V. statt.


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