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Innenansichten einer geprüften Nation

Politik und Gesellschaft in Griechenland


Tasos Telloglou (v.l.), Barbara Stamm, Ursula Münch und Evripidis Stylianidis stehen nebeneinander im Bayerischen Landtag und lächeln in die Kamera

Sprachen im Landtag über Griechenland zwischen Hoffnung und Resignation: v.l.: Tasos Telloglou, Barbara Stamm, Ursula Münch, Evripidis Stylianidis. (Bildarchiv Bayerischer Landtag, Foto Rolf Poss)


München / Tagungsbericht Akademie-Gespräch / Online seit: 28.10.2015

Von: Miriam Zerbel

# Regionalismus


Auch wenn Griechenland aktuell von den Flüchtlingen aus den Schlagzeilen fast vertrieben wurde: Das Land leidet noch immer. Es kämpft mit der höchsten Staatsverschuldung in der Europäischen Union und zwischenzeitlich hat es mit der drohenden Zahlungsunfähigkeit sogar den Fortbestand der gemeinsamen Währung gefährdet. Doch wie sieht der Alltag der Hellenen aus, von denen viele düster in die Zukunft blicken? Die Arbeitslosigkeit ist unverändert hoch, die Erholung der griechischen Wirtschaft lässt auf sich warten – und damit nicht genug. Neue Herausforderungen belasten das Land. Täglich kommen rund 10.000 Flüchtlinge auf den Ägäischen Inseln an, die auf einer der wichtigsten Transitstrecken in der östlichen Mittelmeerroute liegen.

Grund genug für Landtagspräsidentin Barbara Stamm und Akademiedirektorin Professor Ursula Münch zum 51. Akademiegespräch im Landtag zwei Griechen auf das Podium im Maximilianeum zu laden: Den Juristen Dr. Evripidis Stylianidis, ehemaliger griechischer Minister und Abgeordneter, und den investigativen Journalisten Tasos Telloglou. Knapp 300 Gäste im gut gefüllten Senatssaal des Bayerischen Landtags folgten der Diskussion über die innenpolitischen und gesellschaftlichen Verhältnisse Griechenlands.

Mit Griechen über Griechenland sprechen

Während aktuell einmal mehr die Gläubiger die griechischen Reformfortschritte prüfen, ging es im Landtag nicht um Schulden und Sparpakete:

Wir sprechen mit zwei Griechen über ihr Land und die Fragen: was kann Griechenland allein bewältigen, wo ist Hilfe von außen möglich?
Ursula Münch

So formulierte die Akademiedirektorin, die das Gespräch moderierte, die Intention der Veranstaltung. Denn aus der Ferne ist die soziale Lage der Griechen kaum zu beurteilen. Statistische Daten, Expertenbewertungen, Eindrücke, die uns durchs Fernsehen vermittelt werden - häufig widersprechen sie einander.
Vieles an der griechischen Politik erscheint uns rätselhaft: das Wählerverhalten bei den jüngsten Abstimmungen, das teils als provozierend empfundene Auftreten griechischer Politiker in Brüssel. Dass Griechenland anders ist als andere EU-Länder, erklärte die Akademiedirektorin so: nach 2000 Jahren Fremdherrschaft  habe sich ein grundsätzliches Misstrauen unter den Griechen auch gegen den eigenen Staat ausgebildet. Zudem präge das Phänomen des Klientelismus das griechische Parteiensystem und die Gesellschaft, in der viele darauf achteten, ihre persönlichen Privilegien zu behalten.

„Ökonomische Elite hat uns im Stich gelassen“

Die Situation in Griechenland führte Evripidis Stylianidis, der zwischen 2007 und 2013 mehrere verschiedene Ministerämter bekleidet hatte, auch auf die Schwäche der Europäischen Union zurück. Das Problem Europas sei primär politisch und erst in zweiter Linie wirtschaftlich. Konkreter wurde dann seine Kritik an der ökonomischen Elite seines Landes: „Diese Leute haben im Moment der Krise dem Land den Rücken gekehrt. Sie haben den Staat ausgenutzt, aber die Vorteile nicht der Gesellschaft zurückgegeben.“ Die Auswirkungen der Krise auf die griechische Gesellschaft seien dramatisch. Stylianidis verwies darauf, dass fast jeder zweite Jugendliche arbeitslos ist und die Armutsrate bei 23 Prozent liegt. Investitionen seien dringend nötig.

„Es gibt kein institutionelles Gedächtnis“

Hart ins Gericht mit den strukturellen Voraussetzungen seines Landes ging der Journalist Tasos Telloglou. Ein nicht funktionaler Staat, mit quasi verstaatlichten Parteien, einer schwachen Industrie, einer Wirtschaft, geprägt von vielen Kleinstunternehmen und nicht zuletzt eine widersprüchliche Gesetzgebung seien alte Probleme in Griechenland. Laut Telloglou ist es beispielsweise noch immer schwieriger eine Firma zu liquidieren als eine zu gründen. Ein ebenfalls aktuelles Defizit sieht er in den institutionellen Strukturen. „Keine griechische Regierung hat die Verantwortung übernommen zu sagen: `Das ist unser Programm´. Das konnten sie schlicht nicht, denn es gibt kein institutionelles Gedächtnis in Griechenland“, so Telloglou. „Bei jedem Regierungswechsel geht der gesamte Beamtenapparat mit seinem Minister.“ Auch der ehemalige Minister Stylianidis forderte ein neues organisatorisches Modell der öffentlichen Verwaltung.

Griechenland fürchtet Domino-Effekt

Treiben die geforderten Reformen gar die junge Bevölkerung aus dem Land? Uneinig waren sich die Diskutanten mit Blick auf den Bildungssektor. Stylianidis sprach von einer erfolgversprechenden Zukunft, Telloglou zeigte sich skeptisch. Mit Verweis auf seine eigene Tochter, die in Deutschland studiert und nicht plant nach Griechenland zurückzugehen, sagte der Journalist, viel zu wenige junge Leute, nämlich nur 230.000 hätten Griechenland verlassen, um sich woanders eine Zukunft aufzubauen.
Dass Griechenland aktuell einer Doppelbelastung durch Finanzkrise und Flüchtlingsströme ausgesetzt ist, war in der Diskussion unbestritten. Ist beides möglich: die Bewältigung der Flüchtlingsströme und die Umsetzung der vereinbarten Reformen? Während Stylianidis betonte, 15 Prozent der Bevölkerung Griechenlands bestehe inzwischen aus Flüchtlingen, steht für Telloglou außer Frage, dass es ohne Hilfe der EU nicht weitergehen kann. Sein Land befürchtet sogar einen „Domino-Effekt“: „Wenn Deutschland die Grenzen schließt, dann folgen Österreich und die anderen Staaten auf der Balkanroute. Griechenland mit seinen EU-Außengrenzen ist das letzte in der Reihe und hat dann den schwarzen Peter.“

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Akademiegespräche im Bayerischen Landtag

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